Gerhart Rudolf Baum, inzwischen 91 Jahre alt, der letzte Liberale einer längst Geschichte gewordenen (im Wortsinne) liberalen Partei, hat heute in einem bemerkenswerten Beitrag in der Süddeutschen geschrieben, dass er sich seit 1945 an keine für die Demokratie so herausfordernde Situation wie heute erinnern könne.
Kein „Hauch von Weimar“ mehr, inzwischen ein „Luftzug“.
Nun, ich bin zwanzig Jahre jünger, habe aber – Jahrgang 1952 – schon einiges miterlebt.
Mit zehn habe ich Papi zum ersten Mal wutschäumend erlebt, etwas, das seinem Naturell fernlag.
Das war im Oktober 1962, als Verteidigungsminister Strauß seinen seit Jahren schwelenden Rachefeldzug gegen das ihm nie wohlgesonnene Magazin „Der Spiegel“ damit beenden wollte, dass er mit Gestapo- Methoden die Chefredaktion kurzerhand verhaften ließ (sogar im damals faschistischen Spanien) und die Zeitung lahmzulegen versuchte. Der greise Kanzler Adenauer unterstützte das zuerst, musste ihn dann aber fallen lassen, bevor er selbst hätte zurücktreten müssen.
Papi regte sich furchtbar auf, weil er (1925 geboren) sowas noch in seinen jungen Jahren erlebt hatte und inzwischen Spiegel- Abonnent war.
Später habe ich dann mit Verwunderung gesehen, da war ich 16, dass da einfach eine Frau hinging und einem silberlockigen Schönredner auf einem Parteitag eine Ohrfeige verabreichte.
Der Mann war Bundeskanzler, hieß Kiesinger und hatte bei Goebbels früher mal Karriere gemacht.
Aber, das war lange her, inzwischen hatte er – Kiesinger – doch eine demokratische Auferstehung vollbracht, mit einem Vizekanzler an der Seite, der damals aus dem Widerstand Nazi- Deutschland bekämpft hatte und sich dafür aus des Kanzlers Partei nun anhören musste, dass er ein Vaterlandsverräter gewesen sei, ein uneheliches Kind sei, eigentlich Frahm und nicht Brandt hieße.
Wenn es nicht Papi war, dann war es diese Backpfeife von Beate Klarsfeld, die mich endgültig politisierte.
Zuerst dachte ich, der ich zu Hause nie Schläge erlebt hatte: „Muss das sein? Geht es nicht subtiler?“
Und dann verschlang ich in regelmäßigen Abständen in der „Konkret“, die ich von meinem Taschengeld abonniert hatte, die grandiosen Beiträge von Ulrike Meinhof.
Dass sie sich später aus der demokratischen Gesellschaft verabschiedete, habe ich unglaublich bedauert.
Ich war immer einer von denen, die glaubten, dass ein geschliffenes Wort und eine vernünftige Begründung des eigenen Standpunkts schon reichen würden, um unsere (damals noch sattelfeste) Demokratie zu bewahren.
Deswegen habe ich Strauß 1980 im Bundestagswahlkampf zwar mit Worten zu bekämpfen versucht, es aber zu plakativ gefunden, mir so einen uniformistischen „Stoppt Strauß!“ Button anzuheften.
Ich wusste im stillen, dass Kohl seinen Intimfeind geopfert hatte, wohlwissend, dass Strauß gegen den damals populären Schmidt 1980 keine Chance hatte.
Die Demokratie war immer leicht fragil, auch in den 16 Kohl- Jahren durch die offensichtlichen Käuflichkeiten der Regierenden, den sieben von Schröder durch seine Hartz- Ferkeleien.
Die darauffolgenden sechzehn Merkel- Jahre mit wechselnden Teams waren vielleicht das letzte Sedativum für die Nation, alles, was irgendwie unangenehm war, wurde erstmal nach hinten verschoben.
So weit, bis Merkel sich von allem verabschiedet hatte (sie ist wirklich gänzlich verschwunden!), und nun muss ein zusammengewürfelter Haufen, in dem jeder gegen jeden agiert, den ganzen Staub der letzten Jahrzehnte wegzuwischen versuchen.
Ich gestehe, dass ich Grün gewählt habe, damals, 2021, und mir tun deren Protagonisten leid, weil sie Kompromisse machen müssen, die ich, wäre ich an ihrer Stelle, entweder nur mit Valium oder reichlich Ouzo/ Raki/ Wodka/ Malteser für mich selbst rechtfertigen könnte.
Aber, nach dem, was jetzt hier abgeht:
Ich würde mir heute, mit fast 72, erstmals einen Button anheften.
NIE WIEDER NAZIS!
Weil sie nicht nur vor der Tür stehen, sondern schon wieder eineinhalb Füße drin haben.
Leute, passt auf!
Es geht um Euch!
Auch wenn Ihr meint, es beträfe nur die anderen.
Manchmal können wir selbst ganz schnell die anderen sein!
Wie stets vertritt Axel Hegmann genau meinen eigenen Standpunkt. Ich bewundere sein gutes Gedächtnis. Würde die Mehrheit der Menschen so denken, brauchte man sich um die Demokratie keine Sorgen zu machen…
Ich freue mich auf den nächsten Beitrag.