Er war Fußballspieler, ja auch, aber Franz Beckenbauer war mehr als das. Er zelebrierte das Spiel, er jonglierte mit dem Ball, der sein Freund war. Wenn er mit dem Ball am Gegner mühelos vorbeilief, ihn umkurvte als wäre der eine Torstange, konnte man ihn nur bewundern. Im Reich von König Fußball war er der Kaiser. Und dazu ein Mensch, den viele mochten, schätzten ob seiner Freundlichkeit, seiner Ausstrahlung, die ansteckend war. Dem Mann schien alles zuzufliegen, was er anpackte, schien sich in Gold zu verwandeln. Ein Glücks-, ein Sonntagskind, das schon zu Lebzeiten zu einem Denkmal geworden war. Trotz mancher Schattenseiten und Skandale, die sich um ihn rankten, bewiesen wurden sie nie. Eher wirkte manches, was über ihn in diesem Zusammenhang geschrieben wurde, unfair. Dass er die WM 2006 nach Deutschland geholt hatte, war fast eine Sensation, im Grund nur ihm und seiner Berühmtheit und Beliebtheit in aller Welt zu verdanken. Dass dabei Geld geflossen ist, dürfte jeder Zeitgenosse, der sich mit der dunklen Seite der Fifa beschäftigt hat, wissen. Dies Beckenbauer anzulasten, habe ich nie verstanden. Auch Joschka Fischer, damals Bundesaußenminister, und Otto Schily, Bundesinnenminister im Kabinett von Gerhard Schröder, würdigen Beckenbauers Verdienste und nahmen ihn gegen Kritik in Schutz. Ohne ihn, seinen Ruf und seinen Einfluss, wäre Südafrika der Ausrichter der WM 2006 geworden. Man vergesse das nicht. Jetzt ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren in Salzburg gestorben.
Ich habe Franz Beckenbauer mehrfach gesehen, im Stadion an der Grünwalderstraße, als ich in München studierte, später in Dortmund gegen den BVB, ich habe ihn im Fernsehen während der WM in England gesehen und später in Mexiko und natürlich bei der WM in Deutschland. Oder auch 1969 im DFB-Pokalendspiel der Bayern gegen die Schalker im Frankfurter Waldstadion, das die Bayern 2:1 gewannen. Immer wirkte er locker und leicht, er spazierte über den Platz, manches wirkte arrogant, aber so war sein Auftreten. Eben nicht kraftstrotzend, reingrätschend wie Höttges oder Vogts. Er spielte Fußball, schlug die Pässe mit dem Vollspann oder dem Außenriss über 30 und 40 Meter haargenau auf den Mitspieler.
Man musste ihn bewundern
Als Zuschauer musste man ihn bewundern, auch aus der Sicht des Schalker Fans. Ich könnte noch weitere Beispiele erwähnen, darunter ein Interview, das der damalige Sportchef der WAZ, Hans-Josef, genannt Hennes Justen mit Beckenbauer führte und bei dem ich mehr demütiger Zuhörer war. Der Franz Beckenbauer war einfach klasse, fröhlich, er wich keiner Frage aus, war bodenständig, überhaupt nicht arrogant. Den musste man mögen, nicht nur, weil er ein überragender Fußballspieler war, der sich mit einer Leichtigkeit mit und ohne Ball über den Platz bewegte, als wäre das nichts. Ob der je geschwitzt hat, weiß ich nicht, jedenfalls wirkte sein Spiel nie kraftraubend.
Ja, der Franz Beckenbauer. Kein Superlativ ist bei einer Laudatio über ihn zu viel. Kaiser, Lichtgestalt, Liebling der Medien und der Frauen, im Spiel Libero, der freie und letzte Mann im Spiel, der aber nicht als Abwehrrecke hinten drin stand, sondern von hinten das Spiel dirigierte. Und das mit dem Libero gab es vor ihm auch nicht, den Posten hat er erfunden oder die Medien mit ihm zusammen. Wer die Erfolge des Mannes aufzählen will, der im Münchner Arbeiterviertel Giesing aufwuchs, in kleinen Verhältnissen, der Vater war Postobersekretär, muss schauen, dass er sich nicht verzählt. Er hat im Fußball alles gewonnen, was es zu gewinnen galt.
Da ist zunächst der Aufstieg des FC Bayern zum deutschen Fußballklub Nummer 1 zu nennen und zu einem der erfolgreichsten Klubs Europas, ja der Welt. Mit heute über 316000 Mitgliedern ist der FC Bayern der größte Verein in der Welt, der bis heute 33mal deutscher Meister wurde und 20mal den deutschen Pokal gewann. Der FC Bayern hat 6mal die Champions League gewonnen, einmal den Europacup der Pokalsieger, ferner die Klub-WM, den Weltpokal, den UEFA-Cup. Und die Basis für diesen Weg nach oben legte einst Franz Beckenbauer, er machte den Klub berühmt. Damit trete ich niemandem zu nahe, weder seinem Berater Robert Schwan, noch Sepp Maier, dem legendären Torwart und auch nicht dem weltberühmten Torjäger Gerd Müller. Auch die Verdienste von Uli Hoeneß will ich nicht ignorieren, der mit Beckenbauer zusammen in einer Mannschaft gespielt hatte und in der Elf der WM 1974 stand wie Paul Breitner und Georg Schwarzenbeck.
Geht´s naus und spielt´s Fußball
Damit bin ich noch nicht fertig mit den Erfolgen Beckenbauers. Er führte als Teamchef die deutsche Nationalmannschaft zum WM-Titel 1990 in Rom. Unvergessen der Elfmeter von Andy Brehme zum 1:0 über Argentinien. Lothar Matthäus war der Star dieser Mannschaft, zu der aber auch Rudi Völler gehörte, Klinsmann, Littbarski, Reuter und und und. „Geht´s naus und spielt´s Fußball“, war ein Spruch des Teamchefs, der aber nicht darüber hinwegtäuschte, dass alles auch harte Arbeit war. Akribisch habe der Trainer Beckenbauer die gegnerischen Mannschaften auf Video-Filmen beobachtet, um ihre Stärken und Schwächen herauszufinden und die eigene Mannschaft darauf einzustellen. Ja, die Erfolge wirkten von außen betrachtet manchmal leicht, aber sie fielen nicht vom Himmel. Selbst dem Kaiser nicht.
Beckenbauer habe den Fußball salonfähig gemacht, so hörte ich in mehreren Nachrufen auf den einzigartigen Fußballer. Stimmt. Die Münchner Schickeria ließ es sich nicht nehmen, ins Stadion zu gehen. Nicht weil sie etwas vom Fußball verstand, sondern, weil sie es zu Ehren von Kaiser Franz tat. Man ging ins Stadion, zum Franz Beckenbauer. Der FC Bayern hatte die 60er aus München längst verdrängt in der Gunst der Massen, München 1860 wurde mehr und mehr zur Skandalnudel, die Probleme des Vereins verdrängten mehr und mehr die zurückliegenden Erfolge. Das Stadion an der Grünwalderstraße hieß im Volksmund 60er Stadion, aber dann kam Olympia in die bayerische Metropole und der Neubau der herrlichen Arena mit dem damals futuristischen Dach. Zwar durften dort auch die 60er spielen, aber es wurde die Heimat des FC Bayern, ehe das neue Stadion in Fröttmaning gebaut wurde. Und diese Allianz-Arena ist in der Hand der Roten, der Bayern.
Von Giesing gings erst nach Solln, das schon feiner war und dann nach Grünwald in eine Villa. Immer nach oben, gemanagt von Robert Schwan, dem Mann mit der Pfeife, vielleicht der erste Manager eines Profi-Kickers in Deutschland. Schwan machte Beckenbauer zur Werbe-Ikone, die zuerst für Suppen warb(Knorr auf den Teller, Kraft auf den Tisch) und sich dann im Singen versuchte(Gute Freunde kann niemand trennen). Beckenbauer wurde zur Marke, die versilbert wurde, was nicht negativ gemeint ist. Schwan achtete darauf, dass für seinen Schützling die Latte immer höher gelegt wurde. Beckenbauer wurde Teil der feinen Gesellschaft, man ging in die Oper, wurde ans Klavier gesetzt und auf ein Pferd, nicht weil man etwas von der Musik verstand oder vom Reiten, sondern weil beides sein musste, um dazu zu gehören. Der Boulevard hatte Spaß an den Bildern. Ich erinnere mich, damals immer wieder auch die Münchner Abendzeitung gelesen zu haben. Dort las man, wer dazu gehörte.
Die CSU umgarnte ihn
Die Politik versuchte, Beckenbauer für sich zu gewinnen. Vor allem die CSU bandelte mit dem erfolgreichen FC Bayern an, der gelegentlich die Hilfe der Politik brauchte, weil man es im Umgang mit dem Geld und den zu zahlenden Steuern nicht so genau hielt. Der renommierte Historiker Hans Woller hat sich mit dem Thema beschäftigt und vor Jahr und Tag darüber ein lesenswertes Buch geschrieben. „Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam“. Woller beschreibt den sagenhaften Aufstieg des kleinen Gerd Müller zum umjubelten Spitzenfußballer mit Einkünften in Millionenhöhe, protegiert von bayerischen Spitzenpolitikern. Es war bei weitem nicht alles astrein, was damals gelaufen ist. Da gab es eine Steueraffäre um Müller, aber auch eine um Beckenbauer. Die CSU zeigte sich gern mit dem Fußball-Helden, was Volksverbundenheit demonstrierte. Das Signal: die ruhmreichen Kicker des FC Bayern wählen CSU. Und die Kicker spielten mit. Beckenbauer ließ sich zu einer Äußerung verleiten, Bundeskanzler Willy Brandt sei ein „nationales Unglück“. Und CSU-Finanzminister Huber drückte nicht nur mal ein Auge zu, wenn es um die Einnahmen der Kicker Müller und Beckenbauer ging. Die eine Hand wäscht halt die andere. Man lese das Buch von Hans Woller, wenn man mehr über das Amigo-System erfahren will.
Lichtgestalten scheinen Wunderknaben gleich unverwundbar zu bleiben, lässt man mal kleinere Blessuren beiseite. Sie überstehen manches Unheil. Beckenbauer wich 1977, auch weil Steuerschulden in Millionenhöhe drohten, nach New York aus. Einer der besten Kicker der Welt spielte plötzlich für Cosmos New York, was eher wie Freizeitkick wirkte, wie in Hollywood. Aber er fand sich neben anderen Ball-Größen wie Pele in einer Art Altersteilzeit, wurde gut bezahlt und führte in der Weltstadt ein Leben, das ihn privat mehr schützte, weil ihn kaum einer kannte und erkannte. Niemand bat ihn um ein Autogramm, dem Franz war es recht, weil er diese Art von Öffentlichkeit ohnehin scheute. An der Seite der Fotografin Diana Sandmann- die Ehe mit Brigitte Beckenbauer, mit der er drei Kinder hatte, wurde geschieden- konnte er den Central Park durchstreifen, in einem Restaurant Platz nehmen, spazieren gehen auf der Fifth-Avenue, und alles unerkannt. Die einst heile Welt von München war dahin, die neue Welt war das Thema und der Franz mittendrin. In einem Land, das damals dem Fußball ziemlich gleichgültig gegenüberstand. Aber Beckenbauer und Pele waren berühmte Namen, also wurde der Fußball auch interessant. Wie die Popmusik. Aber New York war der „Place to be“, auch für politische Berühmtheiten wie Henry Kissinger, der sich als „alter Fürther“ für Fußball interessierte und gelegentlich mit dem Hubschrauber aufs Cosmos-Gelände flog, um den Kaiser und seine Ball-Künste zu bewundern.
Der Erfolg des Teamchefs
1980 kehrte Beckenbauer nach Deutschland zurück und spielte noch einige Zeit für den Hamburger SV. Aber der Fußballer Beckenbauer war, vielleicht bedingt durch das Spielen auf Kunstrasen(Günther Netzer) verletzungsanfällig geworden. Und langsamer. Immer öfter passierte es, dass ein junger Spieler das einstige Fußball-Genie einfach überlief, Bilder, die einem wehtaten, wenn man den früheren Beckenbauer noch im Kopf hatte. 1982 war Schluss für den Profi. Aber es war nicht das Ende seiner Tätigkeit für den Fußball, seinen FC Bayern und die Nationalmannschaft, deren Qualitäten am Ball in den 80er Jahren nicht selten als Rumpelfußball beschrieben wurden. Falsch war das nicht, vor allem, wenn man Beckenbauer, Netzer, Overath gekannt hatte.
Es kam die Zeit des Teamchefs, unter Trainer Jupp Derwall reüssierte die Nationalmannschaft nicht mehr, der Ball lief nicht und er flog auch nicht ins gegnerische Tor. Einer wie er, wie der Franz Beckenbauer, wurde gerufen. Er ließ sich bitten und bitten und dann erweichen. Und der Erfolg kehrte zurück. Ihm hörten die Spieler zu, weil er selbst im höheren Alter den meisten Kickern den Ball noch durch die Beine schießen konnte. Er demonstrierte es im ZDF-Studio mit Ball und Weizenbier, natürlich traf er, locker wie immer. Und wer die WM in Italien und das Endspiel in Rom noch in Erinnerung hat, wird das Bild nicht vergessen, als der Teamchef nach dem Sieg allein in der Mitte des Platzes stand und sinnierte- wohl über das Ende der Laufbahn des Teamchefs. Was hätte er auch noch gewinnen können?!
Ja, der Mann zog den Erfolg an, anscheinend mühelos, gerade so, wie er früher selber gespielt hatte. Gleichzeitig war er beliebt wie sonst kein Deutscher. Sicher hätte ihn eine Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt, den Volkshelden Beckenbauer, auch wenn der nur Volksschule vorweisen konnte. Aber ihm gelang einfach alles. Dass seine Ehen scheiterten, bekümmerte das Volk nicht. Man liebte den Franz. Wenn er verbal daneben griff, schadete das seinem Image nicht. Ist halt unser Franz. „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind“, sagte er einst über die außereheliche Zeugung des Sohnes Nummer vier. Und als ich das Fernseh-Porträt in der ARD sah, eine wirklich runde Darstellung des Lebens von Franz Beckenbauer, hörte ich keine abschätzige Meinung über ihn, auch nicht aus dem Mund der drei Frauen, von denen er sich nach Jahren des Zusammenlebens getrennt hatte.
Der beste Botschafter
Franz Beckenbauer war ein Repräsentant Deutschlands, vielleicht der beste Botschafter, den wir je hatten in der Welt. Für ihn öffneten sich die Türen egal welches Herrscherhauses. Wenn er anklopfte, ließ man ihn hinein. Das Sommermärchen 2006 ist ohne ihn nicht denkbar. Er hat die WM nach Deutschland geholt, und das Land und seine Leute zeigten der Welt, was in den Deutschen stecken kann. Eine Willkommenskultur, eine Fröhlichkeit, eine Offenheit gegenüber den Gästen aus aller Welt, die man uns nicht zugetraut hatte. Und mittendrin Franz Beckenbauer.
Am Ende des Lebens verließ ihn das Glück. Der Tod des Sohnes Stephan(„der größte Verlust in meinem Leben“) ging ihm sehr nahe, der Tod des Managers, Beraters und Freundes Robert Schwan traf ihn schwer und die Erkrankungen seines Herzens zeigten ihm die Endlichkeit des Lebens, die für alle Bewohner dieses Planeten gelten. Ein Augeninfarkt kam hinzu und minderte seine Sehkraft. Zurückgezogen lebte er schließlich, auch bedingt durch eine Demenz, in Salzburg.
Und dass das Glückskind Franz Beckenbauer sehr an der öffentlich geäußerten Kritik an seinem Umgang mit der Fifa, dem Geld, das für die WM nebenbei gezahlt wurde, trug, kann man verstehen. Er hat sicher Fehler gemacht, als er bei der umstrittenen WM 2018 für Russland gestimmt hatte, um kurz danach die einträgliche Werbepartnerschaft mit dem russischen Gasriesen Gazprom einzugehen, aber da war er in guter Gesellschaft, man denke an Schalke. Man kann ihm auch die klebrige Nähe zu Fifa-Präsident Sepp Blatter vorhalten, wie ich das im Bonner „Generalanzeiger“ las. Und seine Erklärung zu Katar(„Ich habe dort keinen Sklaven in Ketten herumlaufen sehen“) war auch nicht bedacht, sondern daneben. Aber auch er war nur ein Mensch mit allen Schwächen und unterschrieb damals, was es zu unterzeichnen galt, um die von allen gewünschte Fußball-WM nach Deutschland zu holen. Er war kein Heiliger, das wollte er auch nie sein, ihn aber in Zusammenhang mit dem umstrittenen System der Fifa zu bringen, war mindestens überzogen und wird ihm nicht gerecht. Er war ein Großer dieses Landes, nicht nur am Ball. Viele Weggefährten lobten seine Menschlichkeit, seine Hilfsbereitschaft, dass er ein feiner Kerl war, wie Wolfgang Overath es ausdrückte. DFB-Präsident Bernd Neuendorf würdigte Franz Beckenbauer mit den Worten: „Er war ein liebenswerter Mensch. Wir blicken mit Hochachtung und großer Dankbarkeit auf sein Lebenswerk.“ Und so ist es gut.
Bildquelle: Wikipedia, Stadtarchiv Kiel, Fotoarchiv, CC BY-SA 3.0