Juristisch sei alles geklärt, so hört man es dieser Tage, wenn es um Forderungen griechischer Seite an die Deutschen geht, um Reparationen für himmelschreiendes Unrecht während der Besatzungszeit Griechenlands durch die Nazis. Da wird das Londoner Schuldenabkommen erwähnt, der Zwei-plus-Vier-Vertrag im Zuge der deutschen Einheit, von deutscher Seite trickreich vorgenommen. Man lese dazu den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Nicht zu vergessen das Entschädigungsabkommen zwischen beiden Ländern aus dem Jahre 1960, in dem Bonn Athen 115 Millionen DM an Ofer-Entschädigung gezahlt hatte. Viel? Genug? Völkerrechtlich seien die Ansprüche aus Hellas erloschen, las ich dazu noch in der SZ. Aber so ähnlich klingt es ja auch seit Tagen bei Diskussionsveranstaltungen im Fernsehen, so bei „Hart aber fair“. Dann ist ja alles in Ordnung, zumindest in der Sicht deutscher Krämerseelen. Oder?
Wir haben in diesem Blog vor Tagen schon einmal aus der „Geschichte des Westens“ von Heinrich August Winkler zitiert und den berühmten Historiker als Zeugen für die abscheulichen Verbrechen der Nazis in Griechenland angeführt. Ganze Ortschaften seien ausradiert worden, so Winkler, die Bevölkerung vom Baby bis zum Greis massakriert worden. Kalavrita erwähnte er, Distono und Klissura. Und wenige Zeilen später sprach er die Deportation von 50000 Juden aus Saloniki an, die in die Vernichtungslager von Auschwitz und Treblinka transportiert und dort umgebracht, vergast wurden. Zuvor hatte man ihnen Gold abgenommen. Die Süddeutsche Zeitung erwähnt in diesem Zusammenhang den Fall des Statthalters der Wehrmacht in Saloniki, Max Merten, der 9000 Juden angeboten hatte, ihnen gegen die Zahlung einer hohen Summe die Zwangsarbeit zu ersparen. Die größte jüdische Gemeinde in Hellas zahlte, die Männer wurden dennoch deportiert, nur knapp 2000 Juden entkamen der Hölle der KZ. Übrigens: Merten wurde später festgenommen, verurteilt, kam aber auf Druck aus Bonn wieder frei. Er erhielt sogar eine Heimkehrer-Entschädigung. Welch ein Hohn! Die jüdische Gemeinde hat kürzlich Klage eingereicht gegen Merten vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der 1,9 Milliarden Drachmen, die Merten damals von den Juden als Lösegeld erhalten hatte.
Klagen sind möglich wegen des erwähnten Massakers von Distono, wo 218 Menschen ermordet worden waren, darunter 38 Kinder im Alter zwischen 2 Monaten und zehn Jahren. Die Hinterbliebenen könnten Forderungen an Deutschland stellen in Millionen-Höhe- ein Präzedenzfall, dem andere folgen könnten. Wenn die griechische Regierung die Klage zulässt. Nazi-Verbrechen gab es überall in Europa und gerade in Griechenland mit gnadenloser Brutalität. Die Süddeutsche Zeitung zitiert den Vorsitzenden Richter am BGH, Eberhard Rinne, der vom abscheulichsten Kriegsverbrechen gesprochen und bedauernd ergänzt hatte, dass dem Bundesgerichtshof „juristisch der Weg zur Anerkennung der moralisch, humanitär wie politisch gerechtfertigten Forderungen versperrt sei“.
Moralisch gerechtfertigt. Schuld und Sühne. Nichts ist erledigt, gar erloschen. Dazu der Zwangskredit in Höhe von 476 Millionen Mark, der nie zurückgezahlt worden ist und heute einem Wert zwischen 8 und 12 Milliarden Euro entspricht. In der Sendung „Hart, aber fair“, wurde angerecht, über das deutsch-griechische Jugendwerk Leistungen aus einem entsprechend einzurichtenden Topf zu leisten.
Der Ton in der Politik, im Umgang zwischen Athen und Berlin muss dazu ruhiger werden, friedlicher, nicht mehr so aufgeregt. Entschädigungen wegen der Nazi-Verbrechen gehören sicher nicht in die Diskussion über die Schulden der Griechen heute, aber wir sollten vielleicht mehr Verständnis aufbringen für die Lage des bedrängten Volkes. Dass Griechenland zu Europa gehört, ist keine Frage. Sie muss politisch entschieden werden und nicht durch ein Zahlen-Gebäude des Prof. Sinn aus München.
Einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte wird es nicht geben, ihn kann es nicht geben. Die Deutschen müssen sich diesen schlimmen Verbrechen der Nazis mit Demut stellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Gelegenheit dazu, wenn sie ihren griechischen Amtskollegen Tsipras in Berlin empfängt.
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