An deutschen Hochschulen rumort es. Kaum ein politisches Ereignis der jüngsten Vergangenheit hat die Studierenden so aufgewühlt wie der Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der Krieg im Gaza-Streifen. Reaktionen, wie sie bei teilweise gewalttätigen Protesten auf den Straßen von Berlin und München, Hamburg und Düsseldorf zu beobachten waren, zeigen sich auch bei Aktionen auf dem Gelände von Universitäten. Es wird von Aggressivität, Hass und Einschüchterung gesprochen, von Polarisierung, Feindseligkeit und Angst, von einem verstörenden Klima der Verunsicherung.
Ein Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen pro-palästinensischen Demonstranten und Befürwortern des Selbstverteidigungsrechts Israels ist seit Wochen die Berliner Universität der Künste (UdK). Dort kam es am 13. November zu einem Eklat. Im Foyer des Hauptgebäudes hatten sich etwa 100 Menschen zu einer angemeldeten „Performance“ versammelt, Studierende und wohl auch Dozenten der Hochschule, zudem externe Aktivistinnen und sonstige Teilnehmer. Viele der Protestierenden hatten ihre Handinnenflächen rot bemalt – ein bekanntes Symbol der Intifada, ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass Blut an den Händen der Israelis klebt, eine unverhohlene Drohung. In großen, blutroten Buchstaben war der Satz „It’s not complicated“ auf den Boden geschrieben:“Es ist nicht kompliziert“, die Sache ist – aus Sicht der Demonstrierenden – einfach und klar: Schuld tragen Israel und die Juden.
Norbert Palz (53), der Präsident der UdK, der sich zuvor im Namen der Universitätsleitung solidarisch mit Israel erklärt hatte, eilte zu der Menge und wurde niedergebrüllt. Noch Tage danach zeigte er sich in einem Beitrag für die „Zeit“ gleichermaßen schockiert und alarmiert:“Der Protest am 13. November war anders als die propalästinensischen Graffiti, Poster und Banner der letzten Wochen: Die rot angestrichenen Hände, die Radikalität der Aussagen, das spürbare Eskalationspotenzial. Dieser Protest markiert eine neue Front, die Fragen an den zukünftigen Universitätsbetrieb stellt. Mit den Aussagen, die am 13. November fielen, haben die Protestierenden den demokratischen Grund verlassen. Der universitäre Raum wurde zur Kampfzone.“ Klare Worte, eine dramatische Zäsur auch hier. Palz ist sicher, dass nicht allein die UdK von der neuen Qualität von Konflikt und Zusammenprall auf dem Campus betroffen ist, es stünden vielmehr auf breiter Front „Grundsätze der Demokratie auf dem Spiel“.
Nicht bloß an der UdK sind jüdische Studierende besorgt, auch von anderen Hochschulen wird berichtet, dass sich Jüdinnen und Juden zunehmend unsicher fühlen, unter Druck, zuweilen sogar in Gefahr. Manche von ihnen räumen ein, sich nicht mehr zu trauen, falschen Behauptungen oder antisemitischen Positionen offen zu widersprechen. Der universitäre Raum, idealerweise ein Forum des freien Diskurses in gegenseitigem Respekt vor anderen Meinungen, wird zu einer Sphäre von Beschuldigung und Emotionalität, von Verleugnung und Abgrenzung, von Verschwörungstheorien und Antisemitismus. Tania Elstermeyer (38), UdK-Absolventin, Performance-Künstlerin und ab 2024 Mitarbeiterin der Hochschule, warnte in der „Zeit“ vor den Folgen dieser Entwicklung:“Ich mache mir politisch große Sorgen. Wie der Hass auf Juden explodiert, gerade auch unter Deutschen, damit hätte ich nie gerechnet.“
Wieso bricht sich dieser Trend gerade im akademischen Milieu so auffallend Bahn? Woher kommt der Hass auf Israel und die Juden? „Linker Antisemitismus“, so erklären berufene Beobachter, sei nicht neu, mindestens latent immer schon vorhanden in studentischen Kreisen, im Umfeld verschiedener K-Gruppen. Nun trifft er sich mit einem muslimischen Judenhass, der ideologisch oder religiös begründet wird, allzu oft aber auf fehlendem Wissen oder falschen Parolen beruht. Ahmad Mansour, Autor und Psychologe in Berlin, sieht gegenwärtig ein weit verbreitetes „Verständnis für den Terror der Hamas bei Klimaaktivisten, Linksradikalen, Postkolonialen, Islamisten, Migranten, Flüchtlingen, Künstlern, Kuratorinnen“. In deren Weltsicht auf herrschende Machtstrukturen gilt Israel als Besatzer, der die Palästinenser unterdrückt und zu einem militanten Freiheitskampf geradezu provoziert.
Freilich wird ebenso vor Pauschalisierungen gewarnt. Nicht alle Juden, nicht einmal die Mehrheit der Israelis unterstützen die seit langem betriebene Siedlungspolitik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, nicht jeder Palästinenser, schon gar nicht jeder Muslim oder Zuwanderer aus dem Nahen Osten ist ein Anhänger der Hamas. So heißt es in einem Offenen Brief, den inzwischen mehr als 2100 in Deutschland arbeitende Forschende aus allen Disziplinen unterschrieben haben:„Israel muss und darf sich gegen den Terror der Hamas verteidigen, auch mit militärischen Mitteln.“ Gleichzeitig müsse das Leid und Elend der Zivilbevölkerung im Gazastreifen berücksichtigt werden. Ob solche Appelle angesichts der anhaltenden Kampfhandlungen bei den Adressaten fruchten, muss indes bezweifelt werden.