„Schlachtengemälde“ hat eine Kritikerin das Buch von Antony Beevor „Russland. Revolution und Bürgerkrieg 1917 -1921“ genannt. Man könnte auch das Wort Abschlachten als Teil des Tenors des Buches nennen, um zu beschreiben, wie sich die innerrussischen Feinde gegenseitig umgebracht, ja man muss sagen abgeschlachtet haben. Denn die Brutalität verschlägt einem die Sprache. Man liest, wie Menschen zu purem Hass und reiner Rache aufgewiegelt werden. Sie erschießen den Gegenüber nicht einfach, nein, sie schlagen ihm mit dem Säbel den Kopf und die Ohren ab, stechen ihm die Augen aus, sie binden ihm die Hände hinter dem Rücken mit Stacheldraht zusammen und die Füße ebenso und werfen ihn oder sie dann ins eisige Meer. Sie zünden sie an, schlagen ein Loch ins dicke Eis und werfen die Toten in die Tiefe. Sie lassen sie Löcher graben, stecken sie hinein, dass nur noch der Kopf rausschaut und bringen sie um.
Dies ist nur ein Auszug aus einer Fülle von Verbrechen, wie sie der britische Militärhistoriker Beevor im Detail ein ums andere Mal beschreibt. Man muss schon nervenstark sein, man sollte das Buch auch nicht während des Essens lesen, es eignet sich auch kaum als Nachtlektüre, nicht nur weil die 588 Leseseiten dem Werk einiges Gewicht geben, sodass es einem aus der Hand fällt. Vielmehr sind es die Grausamkeiten, die möglicherweise einem den anschließenden Schlaf verderben. Es ist eine Chronik des Schreckens, mancher wird sich an den Überfall von Putins Russland auf die Ukraine erinnern und an die Verbrechen russischer Soldaten an der dortigen Zivilbevölkerung. Man nehme Buchta als Beispiel. Russland, Gefangener seiner Vergangenheit? Und Tolstoi zählt nicht, Gorki, Dostojewski, Puschkin? Als Deutscher sollte man sich zurückhalten, die NS-Zeit ist schon einmalig brutal gewesen. Der Holocaust nur ein Beispiel.
12 Millionen Tote
Mord, Rache, Terror. Bis zu 12 Millionen Menschen sollen im Bürgerkrieg getötet worden sein. Vom Zusammenbruch des Zarenreiches über die Oktoberrevolution bis zum Bürgerkrieg zwischen „Roten“ und „Weißen“, diese Geschichte beschreibt Antony Beevor, der sich mit Kriegshistorie einen Namen gemacht hat. Über die Schlacht von Stalingrad hat der Brite ein bekanntes Werk verfasst wie auch über den Spanischen Bürgerkrieg. In Putins Russland sind seine Werke verboten, wie ich las, der russische Botschafter soll sich über ihn empört haben, weil der Historiker in seinen Büchern eben auch die Gewalt, die Zerstörung, die Massenvergewaltigungen beim Namen nennt. Eine Lüge sind sie gewiss nicht, wie der Botschafter sie kritisierte. Die Soldaten der Roten Armee haben viele deutsche Frauen vergewaltigt, das ist bewiesen, dass die Nazis zuvor ihren Vernichtungskrieg in Russland geführt haben und dabei Frauen, Kinder, Alte, Babies ermordeten, auch.
Der Historiker beruft sich in seinen Schilderungen auf umfangreiche Archivfunde. Er scheint jedes Scharmützel der verschiedenen Kombattanten genau zu kennen, die Namen der Täter wie der vielen Opfer, die Orte, an denen und um die gekämpft wurde. Detailreich beschreibt er die Interessen anderer Nationen, wie der USA, Großbritanniens, Polens, der Tschechoslowakei, Deutschlands und Japans an dem riesigen Land, die strategischer Art waren, weil man an den Bodenschätzen interessiert war oder man Landgewinne machen wollte. Großbritanniens Winston Churchill wollte unbedingt den Sieg der Bolschewisten unter Lenin, Trotzki und Stalin verhindern- vergeblich.
Nie gab es eine Demokratie
Wer über Russland liest, muss zunächst zur Kenntnis nehmen, dass dieses Land nie eine Demokratie kennengelernt hat, möglich, dass der eine oder andere einen Gedanken an eine Art Demokratie verschwendete. Historisch richtig ist aber, dass das größte Land der Welt stets autoritär regiert wurde. Das Zarenreich mag ob seines „Lametta“ hin und wieder geschönt dargestellt werden, der eine oder andere von Peter dem Großen träumen, die Millionen Menschen in Russland hatten nichts zu sagen und oft auch zu wenig zum essen. Die Hoffnung, nach der Ermordung der Romanows werde nun die Herrschaft in die Hände des Volkes übergehen, war eine Hoffnung, nicht mehr. Revolution in Russland bedeutete lediglich die Übergabe der Macht von einem Monarchen an einen Diktator. Die Bolschewiki rissen die Macht an sich und auf dem Weg dahin mordeten sie und mordeten sie. Vergleiche mit heute kommen dem Leser immer wieder, weil der Name Ukraine fällt und der Name Stalins auch damit verbunden ist, dass er Millionen Menschen in der Ukraine verhungern ließ. Holodomor hieß der Tod von drei bis sieben Millionen Ukrainern in den 30er Jahren.
Der Autor beschreibt sowohl die Dekadenz des Zaren und seiner Gefolgsleute wie die Verelendung des überwiegenden Teils der Bevölkerung. Er beschreibt, wie Soldaten von der Obrigkeit behandelt, wie primitiv sie in den Krieg geschickt wurden, wie sie fast verhungerten und in der Eiseskälte starben. Man verscharrte sie einfach, oder ließ sie liegen oder warf die Leichen in den Fluss. Es kümmerte niemanden, der Mord war alltäglich. Der Bürgerkrieg versetzte das Land in ein unbeschreibliches Chaos, das blutig war und jahrelang dauerte. Ein Punkt des Historikers ist auch die Beschreibung der Unabhängigkeitsbestrebungen einzelner Gebiete, wie des Baltikums, Finnlands, der Ukraine.
Russland, das heißt leider, eine Gewaltherrschaft folgte der anderen, die Namen der Diktatoren änderten sich und die Methoden, aber die Freiheit blieb aus, auch wenn nicht mehr wie einst Millionen Menschen umgebracht werden. Der jeweilige Herrscher im Kreml kann ihm missliebige Menschen einsperren lassen. Und dass nicht jeder politische Gegner im Lande überlebt, weiß man aus der Vergangenheit nur zu gut.
Das Buch ist sehr lesenswert, der Autor beschreibt und schreibt sehr verständlich, man erfährt viele Einzelheiten über das Land, die Menschen, das Klima, die Geschichte, ja auch darüber, wozu Menschen fähig sind, wenn man sie lässt oder sie aufhetzt. Es ist eine „schmerzliche Lektion der Gegenwart“, wie der „Daily Telegraph“ urteilt.