Es fällt schwer, an einem solchen Tag, da Israel völlig überraschend von Hamas-Terroristen angegriffen wird, da Raketen auf Tel Aviv fallen, da es Hunderte von Toten und Tausende von Verletzten gibt, Entführungen, Geiselnahmen, ein neuer Krieg wieder mal in Nahost auszubrechen droht, da die Medien davon sprechen, dass Israel seinen 9/11-Albtraum erlebt, über die Landtagswahlen in Bayern und in Hessen zu sprechen. Eigentlich doch banal, Randereignisse in Augenblicken, da es brennt in der Welt und man erneut eine Zeitenwende befürchten muss, weil niemand weiß, wie das wieder mal enden soll. Und natürlich sind wir hier in Deutschland besonders betroffen, wegen der düsteren Geschichte. Angela Merkel hat einst Israels Sicherheit zur deutschen Staatsräson erklärt mit der Zustimmung aller Parteien- mit Ausnahme der AfD.
Und doch müssen wir darüber reden, schreiben: Es waren Landtagswahlen, die Urnengänge in Bayern und in Hessen, in zwei großen Ländern mit knapp 14 Millionen Wahlberechtigten. Dass die CSU mit Markus Söder gewinnen werde, war klar, dass der Sieg für bayerische Verhältnisse mickrig ausfiel, vielleicht sogar historisch schlecht, das hat dann doch überrascht. Aber ein routinierter Politiker wie Söder sieht das positiv: ein stabiles Ergebnis für eine stabile Koalition mit den Freien Wählern, die er wie versprochen fortsetzen werde. Und er wiederholt, was er auch im Wahlkampf betont hatte: Schwarz-Grün wird es in Bayern nicht geben. Im ZDF erklärte er zudem ein klares Nein zu einer möglichen Kanzlerkandidatur.
Schlechtes Klima
Auch der Sieg des CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein stand praktisch vorher fest. Aber die überragende Höhe sagt doch einiges mehr aus. Über die Beliebtheit des Regierungschefs, der offensichtlich vieles richtig gemacht haben muss in den letzten zwei Jahren. Er wurde ja auch gefeiert, die Parteifreunde riefen immer wieder „Boris, Boris“. Das hört man nicht so häufig, zumal Rhein erst zur Mitte der Legislaturperiode von Volker Bouffier den Stab übernommen hatte, damals schien es nicht so eindeutig, wer die Regierung in Hessen anführen sollte.
Diese Wahlen waren im übrigen schon ein Test für die politische Stimmung im Bund, das Urteil der Wählerinnen und Wähler über das Ansehen der Bundesregierung in Berlin und die Lage des SPD-Kanzlers Olaf Scholz, die man nicht gerade als komfortabel bezeichnen kann. Alle Ampel-Parteien verloren, die FDP flog aus mindestens einem Parlament -dem bayerischen Landtag- raus. Wenn sich dadurch das ohnehin schlechte Klima zwischen den Regierungsparteien weiter verändert, wenn weiter jeder gegen jeden arbeitet und man nicht gemeinsam nach Lösungen sucht, sie findet und diese den Menschen draußen erklärt, werden SPD, Grüne und die FDP auch in Zukunft keine Siege einfahren. Und es kann einen weiteren Rechtsruck geben. Man schaue auf die Auswertung der beiden Landtagswahlen, auf die Wählerwanderung von der SPD zur AfD, von der CSU zur AfD und die Verluste der SPD und der Grünen in Hessen. Alarmierend.
Es war, wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kommentierte, ein bitterer Abend. Auch für die SPD, gerade für sie, die das historisch schlechteste Ergebnis in Hessen wie in Bayern kassieren musste. Olaf Scholz wird nicht einfach zur Tagesordnung übergehen können. Ein Weiter-So kann es nicht geben. Es sind nur noch zwei Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl. Auf der Basis heutiger Umfragewerte würden viele Sozialdemokraten ihr Mandat im Bundestag verlieren, Scholz wäre Oppositionspolitiker. Und das bei einem Herausforderer Friedrich Merz, der mehr irrlichternd durch die politische Arena läuft. Scholz ist es bisher nicht gelungen, aus seiner Ampel-Koalition eine wirkliche Regierung zu formen, die gemeinsam regiert, die das Land sicher durch die Krisen führt. Die Leute sorgen sich um ihre Zukunft, um ihren Job, um die Ausbildung ihrer Kinder, um ihr Haus. Man streitet wie die Kesselflicker. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird der Kanzler merken, wie es in den eigenen Reihen rumort, weil man in der Fraktion um die Existenz fürchtet. Scholz müsste kommunizieren, den Menschen seine Politik erklären, aber er überlässt das alles den anderen, der Opposition, der Union, der AfD.
Der Fall Norbert Röttgen
Zurück zu Bayern und Hessen: In den Wahlkämpfen spielten die Probleme in den Ländern kaum eine Rolle, es ging vielmehr gegen die Ampel in Berlin, „die schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte“, so das Urteil der Wahlsieger Boris Rhein(CDU) und Markus Söder(CSU) in ihren Wahlkampfreden. Der Gegner hieß Scholz, auch wenn man auf die SPD-Herausforderin Nancy Faeser draufhaute, hatte Scholz sie doch nach Wiesbaden geschickt, damit sie die Staatskanzlei für die SPD nach 25 Jahren zurückholen sollte. Daraus wird nun nichts, auch weil die SPD-Kandidatin mit Rückfahrkarte nie mit vollem Herzen in Hessen angriff, sondern immer auch ein Auge in Berlin hatte. Diese Strategie hatte schon mal Norbert Röttgen in NRW versucht und war gegen Hannelore Kraft kläglich gescheitert. Anschließend warf ihn Merkel als Umweltminister aus dem Kabinett. Auch Röttgen wollte nur als Chef in die Provinz, nicht als Oppositionspolitiker.
Die ohnehin nicht überzeugende Bundesinnenministerin könnte für Scholz zu einem Problem werden. Ihre Aufgaben in der inneren Sicherheit und der Frage der Migration sind gewaltig, der politische Gegner wird die Ressortchefin nicht schonen. Das Kabinett einfach umzubilden, sagt sich leichter, als es getan werden kann. Scholz hat mit der unglücklich hantierenden Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht schon vor Jahr und Tag eine Frau im Kabinett durch einen Mann ersetzen müssen. Die zugesagte geschlechtliche Parität wurde nicht eingehalten. Es könnten unruhige Monate werden für Faeser, aber auch für Scholz. Er kann sich glücklich schätzen, dass er in Rolf Mützenich einen besonnenen und integren Fraktionschef hat, der alles daran setzt, den Laden zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass die SPD regierungsfähig bleibt.
Grüne als Feindbild der CSU
Manches war eher zum Abgewöhnen, nicht fair. Zum richtigen Feindbild im Wahlkampf wurden in Bayern die Grünen. Besonders Markus Söder attackierte die Umweltfreunde, spottete über deren Genderei, veganes Essen, Schnitzelverbot. Die CSU sprach den Grünen das sogenannte Bayern-Gen ab. Die Konservativen, allen voran die Freien Wähler, lasteten im Grunde den Grünen das mit dem Klimawandel an, sie taten gerade so, als könnte man die Zeit zurückdrehen und den Klimawandel im Archiv ablegen. Erledigt. Die SPD spielte erwartungsgemäß im Freistaat im Wahlkampf keine Rolle. Im Lande, in Städten und Gemeinden, stellt sie zwar rund 200 Bürgermeister, aber schon bei der letzten Landtagswahl hatte sie gerade noch 9 vh der Stimmen gewonnen. Falls man das noch gewinnen nennen kann. Die Älteren werden sich an Renate Schmidt erinnern, die in den 90er Jahren mal knapp an die 30-vh-Grenze gekommen war. Aber das ist lange her. Oder Hans-Jochen Vogel, einst Oberbürgermeister von München, gescheiterter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, wie später auch andere. Wobei einzuräumen ist, dass Bayern eben ein besonderes Terrain ist. Allein die CSU ist eine bayerische Partei mit weltpolitischem Anspruch, wie es unter dem Parteiheiligen Franz Josef Strauß hieß. Sie war früher Staatspartei mit eingebauter absoluter Mehrheit. Das ist vorbei. Aber mit etwas unter 37 vh kann man auch noch leben.
Natürlich stand der Kanzler Olaf Scholz weder im Freistaat noch in Hessen auf dem Stimmzettel und doch sind es Klatschen, die seine Partei, die SPD, wieder mal zu verkraften hat. Sie sind nicht die ersten schweren Niederlagen seit der Wahl von Scholz zum Bundeskanzler vor zwei Jahren. Hatte die SPD doch schon zuvor die Wahlen in NRW und in Schleswig-Holstein mit Karacho verloren. Vor allem die Schmach in NRW tat der SPD weh, hatte man dort einst zu Zeiten eines Johannes Rau rund 40 Jahre das bevölkerungsreichste Land regiert. Richtig ist, Niedersachsen konnte wie auch Bremen verteidigt, das Saarland der CDU wieder abgenommen werden, aber es überwiegt der negative Trend. Und jetzt vor allem Hessen, das einst das rote Hessen genannt wurde, mit den Ministerpräsidenten Georg August Zinn, Holger Börner und Hans Eichel, um nur die zu nennen. Jetzt rangiert man dort unter ferner liefen.
Die Freien Wähler konnten jubeln, wenngleich ihr Vormarsch ein wenig gestoppt wurde. In Bayern sind die Grünen oder die AfD die Nummer 2 im Landtag. Hubert Aiwanger kann dennoch mit starker Brust durch Bayern laufen, sein Opportunismus hat gesiegt. Axel Hacke hat das in seiner SZ-Kolumne so formuliert: „Er ist bloß ein Opportunist, der sich nichts daraus macht, menschliche Moral und die Verpflichtungen der deutschen Geschichte gering zu achten, solange ihm in Bierzelten dafür auf die Schulter geklopft wird und Wahlerfolge winken. Er begreift nicht, dass es etwas gibt, das wichtiger wäre“. Die Schläue Aiwangers sei, so Hacke weiter, „dass er seine Prinzipienlosigkeit als Standfestigkeit verkauft, seinen Egoismus als Eintreten für andere. So machen es Trump, Orban, Erdogan“. Populisten, könnte man fortfahren, sind Meister der Realitätsverweigerung. Sie gaukeln den Menschen etwas vor. Und die wählen sie dann deswegen. Davon lebt die AfD, weil die den Wählerinnen und Wählern wieder einmal vorgegaukelt hat, dass man in die heile Welt wieder zurückkehren könnte ohne Flüchtlinge, ohne Grüne, mit Schnitzel und natürlich mit Verbrennermotor.
Krieg Russlands
Eigentlich müssten die Menschen wissen, dass das nicht geht, ohne Flüchtlinge. Man denke an die deutsche Nachkriegsgeschichte, an die Sache mit den Gastarbeitern. Wir haben doch den Krieg Russlands gegen die Ukraine, erleben, wie Millionen vor Bomben und Raketen fliehen. Gerade werden wieder Menschen zu Flüchtlingen gemacht, im Nahen Osten. Wenn sich das zum Krieg in der Region ausweitet, mit Iran beispielsweise, werden Menschen ihre Heimat verlassen, wie die Syrer, die vor Jahren durch den Massenmörder Assad aus dem Land gebombt wurden. Weite Teile Syriens dürften vorerst unbewohnbar sein. Ähnlich wird es in der Ukraine sein, sollte der Krieg enden, wird man die Minen entfernen müssen. Aber wir hier führen Wahlkampf gegen Geflüchtete. Suchen aber Einwanderer für unsere Wirtschaft. Wie das gehen soll? Und als Analyse der Wahlkämpfe, Siege und Niederlagen wird via Fernsehen an die Öffentlichkeit verkauft, dass 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler betonen, wir bräuchten in Deutschland eine andere Flüchtlingspolitik. Da läge die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung, die die falschen Themen anpacke. Und: 47 vh der Wählerinnen und Wähler der AfD stimmten für die Rechtsextremen aus Überzeugung. Und 85 vh der AfD-Wähler sei es egal, ob diese Partei rechtsextrem sei. Die AfD, das haben diese Wahlen gezeigt, punktet nunmehr nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Wen wundert, dass es Menschen gibt, die sich ängstigen, die darüber nachdenken, ob sie ihre Koffer packen müssen. Man schämt sich.
Im nächsten Jahr warten die nächsten Urnengänge in Brandenburg, Thüringen und in Sachsen, allesamt Schauplätze, auf denen die Rechtsextremen triumphieren könnten. Die AfD ist in den genannten Ländern in allen Umfragen stärkste Partei. Die SPD des Kanzlers ist in Umfragen bundesweit von einst 25,7 Prozent(bei der Bundestagswahl 2021) auf 17 bis 18 Prozent abgestürzt, während die damals knapp unterlegene CDU/CSU(24,1 vh) seit Monaten in allen Stimmungstests bei rund 28 vh liegt. Der Kanzler wird gefragt sein, zu werben für seine Politik, zu der Respekt gehört, wie er gesagt hat, Anstand, Haltung. Er wird erklären müssen, dass die nötige ökologische Transformation nicht ohne Verzicht möglich ist, was nicht heißt, dass sie unbezahlbar wäre. Aber sie wird kosten. Wenn wir die weitere Zerstörung des Planeten verhindern, wenn wir das Überleben unserer Kinder sichern wollen. Ja, die Reichen müssten stärker besteuert werden, um das alles bezahlen zu können. Olaf Scholz hat ähnliches schon mal gesagt, gefordert. Er müsste es machen. Damit wir es schaffen. Damit die Ukraine es schafft mit unserer Hilfe, zu der wir verpflichtet sind. Wir alle tragen Verantwortung. Weil wir in einer Demokratie leben, in der wir alle mitmachen müssen. Einer der Wahl-Verlierer, der hessische Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir, der als Ziel vorgegeben hatte, nach vielen vergeblichen Anläufen Ministerpräsident zu werden, empfahl den Politikern der Ampel, also Grünen, Freidemokraten und Sozialdemokraten, mit einer Haltung Probleme zu lösen und nicht dadurch, dass man aufeinander einschlägt.
Ja, die Gemeinsamkeit der Demokraten ist gefragt, um die Probleme zu lösen. In den Ländern und im Bund. Wenn diese Lehre aus den beiden Landtagswahlen gezogen und danach gehandelt würde, wäre viel gewonnen.