Nein, wir dürfen nicht neutral sein, wo die Menschenwürde verletzt, der Holocaust geleugnet, die Verbrechen der Nazis verharmlost werden. Recht hat Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, mit seiner Feststellung im Interview mit der Illustrierten „Stern“: „Wenn jemand die Leiden der Opfer in Frage stellt, können wir gar nicht neutral sein“. Wagner hat in dem Gespräch weiter angekündigt, den AfD-Kandidaten für das Oberbürgermeisteramt in Nordhausen, Jörg Prophet, im Falle seiner Wahl zum Stadtoberhaupt nicht zu Veranstaltungen der Stiftung einzuladen. Klare Kante signalisiert er in Zeiten der Mir-Doch-Egal-Haltung, Wagner will Gesicht zeigen, seinen Standpunkt allen klarmachen. Das Rathaus von Nordhausen liegt nur fünf Kilometer entfernt von der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, zu der auch die Gedenkstätte Buchenwald gehört, unweit von Weimar, der Schiller- und Goethe-Stadt. Tausende und Abertausende wurden dort umgebracht. Nein, wir müssen den AfD-Leuten nicht die Hand reichen, dürfen nicht schweigen, wir dürfen nicht AfD-Stimmen dazu nutzen, um Mehrheiten gegen eine Regierung zu erreichen, die zwar demokratisch gewählt wurde, die einem aber nicht passt. Zuletzt geschehen durch CDU und FDP im Landesparlament zu Erfurt. Dort sitzt ein gewisser Björn Höcke, den man laut Gerichtsbeschluss einen Faschisten nennen darf, Höcke ist Chef des thüringischen Landesverbandes der AfD, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes „erwiesen rechtsextrem“ ist. Jörg Prophet, AfD-Mann in Nordhausen, hat sich nach Meinung von Wagner „geschichtsrevisionistisch geäußert- also versucht, die nachgewiesenen Verbrechen der NS-Zeit kleinzureden“. Wagner beruft sich in dem Interview auf das Stiftungsgesetz, das ihn „verpflichtet, die Orte der Verbrechen und ihre Opfer vor genau solchen Positionen zu schützen“. Denkmal der Schande Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Worte von Höcke, der das Holocaust-Denkmal am Brandenburger Tor im Jahre 2017 ein „Denkmal der Schande“ nannte. „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Und damit keine Missverständnisse aufkommen sollten, sagte Höcke damals in Dresden auch noch. „Diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Wir brauchen keine toten Riten mehr.“ Klarer kann man nicht abrücken wollen von der in Deutschland herrschenden Form historischer Erinnerung. An sechs Millionen tote Juden durch die Nazis zu erinnern, ist also „dämliche Bewältigungspolitik“. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bezeichnete Höckes Sprache als „zutiefst empörend und völlig inakzeptabel. Dass 70 Jahre nach der Shoa solche Aussagen eines Politikers in Deutschland möglich sind, hätte ich nicht zu glauben gewagt. Die AfD zeigt mit diesen antisemitischen und in höchstem Maße menschenfeindlichen Worten ihr wahres Gesicht.“ Man darf noch ein paar weitere Worte Höckes von diesem Abend in Dresden zitieren, als er sich gegen die Rede des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers wandte. Weizsäcker hatte zur Erinnerung an das Kriegsende am 8. Mai 1945 im Bundestag 40 Jahre später, am 8. Mai 1985, eine Rede gehalten, in der er vom „Tag der Befreiung“ sprach, Befreiung von der Nazi-Diktatur, während rechtsextreme Kreise stets vom „Tag der Schande“ reden. Und also bezeichnete Höcke des Präsidenten Worte als „eine Rede gegen das eigene Volk“. Zurück zu Prophet und Wagner. Der AfD-Politiker hat die Verbrechen der Nationalsozialisten auf eine Stufe gestellt mit den angeblichen Verbrechen der Siegermächte. Wörtlich sagte er: „Von Moral war bei den Siegern ebenso wenig zu spüren wie bei den Nationalsozialisten“. Stiftungsdirektor Wagner nennt diese Verdrehung im stern-Interview „eine Schuldumkehr, die wir aus dem klassischen geschichtspolitischen Rechtsextremismus kennen“. In Nordhausen, so kann man Prophet auf der AfD-Internetseite nachlesen, habe sich das „wahre Gesicht der Befreier“ gezeigt: Die US-Soldaten seien nur ins KZ Mittelbau-Dora gekommen, um die unterirdische Rüstungsproduktion einzunehmen“. Lese ich im „Stern“ weiter. Tatsächlich konnten die Amerikaner nur wenige Überlebende aus diesem KZ (rund 500 nennt der „Stern“) befreien, weil die Mehrheit auf Todesmärsche geschickt worden war. Mörderische Bedingungen Das ist schon ein Skandal der besonderen Art, wenn man die Verbrechen der Nazis in Mittelbau-Dora so verdreht. Die Häftlinge mussten in den Stollen unter mörderischen Bedingungen leben und arbeiten. Von den 60000 Zwangsarbeitern kamen 20000 ums Leben. „Das Hauptprodukt des Mittelbau-Projekts war der Tod“, hat Gedenkstättenleiter Wagner in einem anderen Interview mal erklärt. Die Häftlinge hätten während des Ausbaus der Anlage sogar in den Stollen schlafen müssen. In den Stollen wurde u.a. die V-1- und V-2-Rakete produziert. Hier hatten die Nazis die Häftlinge ein gigantisches Stollensystem im Berg Kohnstein -zwischen Harz und Nordhausen- errichten lassen. Ursprünglich wurde dort Sulfatgestein abgebaut, dann ein unterirdisches Treibstoffstofflager angelegt, um für einen Krieg gewappnet zu sein. Dann, nach der Bombardierung von Peenemünde, wurde ab 1943 die Produktion von V-1- und V-2-Raketen von Peenemünde in den Kohnstein verlegt. So entstand „die Hölle von Dora“. Dort gab es kein Wasser, keine Toiletten, keine Heizung, man lebte im Gesteinsstaub zwischen giftigen Dämpfen, Ungeziefer und verwesenden Leichen. Im Sommer 1945 wurden die Eingänge zu den Stollen gesprengt. Und was die angebliche Morallosigkeit der Amerikaner betrifft: sie haben die überlebenden Häftlinge versorgt, mit Lebensmitteln, mit Medikamenten, sie haben den halbverhungerten Menschen das Leben gerettet. Das betont nicht nur Wagner, das ist auch an anderer Stelle nachzulesen, das ist bewiesen, anderes ist historische Verdrehung. Eben Schuldkult, wie ihn extreme Rechte wie die AfD kennen und weitergeben, um die Erinnerungskultur der Gedenkstätten zu diskreditieren. Gedenkstätten-Direktor Wagner kennt Prophet und dessen geschichtsrevisionistischen Rechtsextremismus, den es ja schon in den 50er Jahren gab. Der habe zum Beispiel den industriellen Massenmord der Nazis in Auschwitz-dort wurde eine Million vor allem Juden vergast, ermordet, totgeschlagen- mit den britischen Luftangriffen auf deutsche Städte gleichgesetzt. So geht Geschichte, wenn man sie verdreht, den Anfang nicht kennen und die Täter, die Verursacher nicht nennen will. Im Berliner „Tagesspiegel“ lese ich einen Text „Die Gesellschaft kippt. Die Lebenslügen im Umgang mit der AfD“. Ich habe nie daran geglaubt, dass sich die AfD selbst entzaubern werde. Weil ich die sogenannte Sinus-Studie über rechtsextremistisches Gedankengut in Deutschland aus dem Jahre 1980 noch im Kopf habe. Rund 13 oder mehr Prozent der westdeutschen Bevölkerung verfügten demnach „über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Jeder Zweite in dieser Gruppe hielt Gewalt für ein probates Mittel, um sich durchzusetzen. Weitere 37 Prozent waren zwar gegen Antisemitismus, Militarismus und Führerkult, aber dennoch empfänglich für „rechtsextreme Denkinhalte“. Insbesondere Konservative, so die Studie, hätten rechtsradikales Gedankengut „salonfähig“ gemacht. Im Übrigen fand ich über die Studie den Titel: Fünf Millionen Deutsche meinten, wir sollten wieder einen Führer haben. Wer diese Sätze der Sinus-Studie liest, kann über die neue Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung nicht überrascht sein. Immer mehr Rechtsextreme in Deutschland, die Mitte der Gesellschaft werde empfänglicher für menschenfeindliche Positionen, mehr als acht Prozent haben ein rechtsextremes Weltbild. Man fasst sich an den Kopf Wen wundert dann noch die Wahlergebnisse der AfD? Dass eine in Teilen rechtsextreme Partei im Bundestag und in allen Landtagen sitzt wie auch im Europa-Parlament, dass eine AfD in Umfragen bundesweit an zweiter Stelle hinter der Union liegt mit über 20 Prozent, klar vor der SPD und den Grünen. Man fasst sich an den Kopf, aber es ist so. Und es ist nicht zu leugnen. Eine Partei, die offen unser demokratisches, soziales System beseitigen will, findet mehr und mehr Zustimmung. Eine Partei, die offen die EU zerstören will, ist auf Erfolgskurs. Dass man Argumente hört, man wähle die AfD aus Frust, weil man die Ausländerpolitik der SPD, der Union, der Grünen und der FDP ablehne, halte ich für vorgeschoben. Es mag sein, dass die stark zugenommene Zahl der Geflüchteten manchen Bürgerinnen und Bürgern Sorgen bereitet, ja Angst. Dass manche sich fürchten, es könnte für sie der ökonomische Abstieg beginnen. Was nachweislich nicht stimmt, aber es sind ja auch Gefühle, die sich breitmachen, Sorgen und Ängste, die von der AfD geschürt werden. Das Merkwürdige ist aber daran, dass diese AfD inhaltlich nichts zu bieten hat. Sie polemisiert gegen Ausländer, schwadroniert von Umvolkung, redet davon, dass den Deutschen kaum noch etwas bleibe, es aber den Ausländer nur so reingeschoben werde. Was wiederum nicht stimmt, aber in der Luft liegt, weil es irgendwo gesagt worden ist. Und eins muss man den AfD-Wählerinnen und Wählern sagen: Wer AfD wählt, muss sich gefallen lassen, dass man ihn einen Nazi nennt oder ihn zumindest in der Nähe der rechtsextremen Partei verortet. Zurück noch einmal zu Nordhausen und einem bemerkenswerten Interview des „Stern“ mit dem Gedenkstätten-Direktor Wagner. Wie kann es sein, wird Wagner gefragt, dass die Nordhäuser mit einem wie Prophet „liebäugeln? Beobachten Sie in der Stadt, beim Empfang von Bürgern, von Schulklassen eine „solche Verharmlosung der NS-Zeit?“ Und Wagner antwortet: „Ja, aber das ist ganz bestimmt kein Phänomen dieser Stadt. Wir erleben zurzeit einen erinnerungskulturellen Klimawandel. Dinge, die vor Jahren nicht sagbar waren, sind sagbar geworden. Der Diskurs hat sich ganz eindeutig nach rechts verschoben. Und Geschichtsrevisionismus gilt vielen in Deutschland nicht mehr als ein Tatbestand, der jemand unwählbar macht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Aiwanger-Debatte in Bayern: Vor zehn Jahren hätte sich so jemand wie Aiwanger mit derart belastenden Indizien nicht halten können. Und was passiert jetzt? Er geht auch noch gestärkt aus der Affäre hervor.“ Rechtsextrem ist ein Skandal Nein, wir dürfen nicht neutral werden, wenn es um deutsche Geschichte geht, um die NS-Verbrechen, um Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus. Wir müssen Gesicht zeigen, Haltung, dagegenhalten, stehen und uns nicht abwenden, wenn es um diese Probleme geht. Es darf nicht als normal empfunden werden, wenn ein AfD-Politiker OB von welcher Stadt auch immer werden will, schon gar nicht, wenn er es im Schlagschatten von einstigen Konzentrationslagern werden will. Da müssen wir aufstehen und laut rufen: So nicht. Es muss empfunden werden, was es ist: Ein Skandal. Und er bleibt auch nach der Wahl kein Normalfall, sondern ein Skandal. Dass die AfD auf dem Weg sein soll, in den ostdeutschen Ländern wie Sachsen, Thüringen und Brandenburg stärkste Partei zu werden, empfinde ich als Skandal. Als ein Armutszeugnis. Nein, sie sind nicht einzubinden in demokratische Verantwortung, weil sie kaputt machen wollen, was hier nach dem Krieg von unseren Müttern und Vätern oder gar den Großmüttern und Großvätern aufgebaut wurde. Es wäre ein Selbstbetrug, würden wir daran glauben, mit der AfD gemeinsam dieses Land zu regieren, zu verwalten, es anzupassen an die Erfordernisse der Zeit wie den Klimawandel. Ich vermisse den Aufstand der Anständigen, der Sozialdemokraten, der Grünen, der Christdemokraten, der Liberalen. Ich vermisse die Empörung der Parteichefs Klingbeil und Merz, den Aufschrei der Habecks und der Lindners, ich möchte gern von ihnen hören, dass sie ihre Mitglieder auffordern zu Montags-Demonstrationen. Gegen die AfD, gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus. Pro Demokratie und Menschenwürde. Nein, es ist noch nicht zu spät. aber es wird Zeit, dass die Demokraten aufstehen und sich schützend vor unsere Demokratie stellen. Noch einmal zum stern-Interview. Wäre es nicht sinnvoll, den AfD-Mann Jörg Prophet, wenn er denn wirklich OB würde in die Gedenkstätte einzuladen? Darauf Prof. Jens-Christian Wagner: “ Prophet als OB einzuladen, mit ihm zusammenzuarbeiten, würde genau diese extrem rechten Diskurse normalisieren. Und wir wollen es den Überlebenden und ihren Angehörigen nicht zumuten, bei Gedenkveranstaltungen neben jemandem zu sitzen, der ihr Leid kleinredet. Gleichwohl kann Prophet gerne als Privatperson in die Gedenkstätte kommen, sich unsere Dauerausstellung ansehen und sich selbst ein Bild darüber machen, was diese Verbrechen wirklich bedeutet haben. Ich denke allerdings, dass er das eigentlich ganz genau weiß. Da es aber nicht in sein Weltbild passt und der AfD-Propaganda vom Stolz auf unsere Ahnen widerspricht, verdreht er die Geschichte ganz bewusst.“
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