Es war ruhig geworden in den letzten Jahren um Hans-Ulrich Klose, ruhig, weil die heimtückische Alzheimer-Krankheit ihn in in ein anderes Leben geworfen hatte. Der Hamburger Sozialdemokrat war einer, der sich nie verbiegen ließ. Er war früh gestartet, war schnell der Liebling der Hamburger Society, wurde jüngster Bürgermeister der Hansestadt. Aber wer ihn für einen Karrieristen hielt, kannte ihn nicht wirklich. Und der lernte ihn kennen beim Streit um die Kernkraft, um das Kernkraftwerk in Brokdorf, Symbol mancher Schlachten um eine Energie, die anfangs bejubelt wurde, als es um die Nutzung der friedlichen Atomenergie ging. So hieß das einst, als die Gefahren der Kernenergie noch nicht erkannt waren und man glaubte, mit dieser Energie ein für alle Mal alle Energie-Sorgen erledigt zu haben. Hans-Ulrich Klose stand mittendrin in dieser Debatte und schlug sich auf die Seite der Gegner. Das war das Ende seiner Karriere als Bürgermeister.
Ich erinnere mich noch, als die Hamburger SPD 1981 zu einem Sonderparteitag einlud. Leidenschaftlich wurde über Brokdorf diskutiert, es flogen die Fetzen. Die mit Spannung erwartete Abstimmung ging für die Atom-Freunde negativ aus. Sie hatte bundespolitische Bedeutung, Helmut Schmidt war Kanzler der sozialliberalen Koalition. Nach dem Votum eilte ich zum einzigen Münz-Telefon in dem Veranstaltungshaus. Vor mir hatte ein mir unbekannter Mann den Hörer in der Hand, wählte und ich musste mithören, wie er sagte: „Guten Abend, Loki. Kann ich Helmut sprechen.“ Gemeint Schmidt, der sich in wenigen Worten schildern ließ, wie die Abstimmung ausgegangen war. Schmidt war ein Befürworter der Kernkraft, mehr und mehr Parteifreunde jedoch wechselten die Seite und wurden zu Atom-Gegnern. Wie auch Hans-Ulrich Klose. Weil er inzwischen überzeugt war, dass dieser Weg der falsche war, zu riskant, nicht beherrschbar.
So war Uli Klose, ein Überzeugungstäter, einer, der argumentieren konnte, ohne die Meinung des anderen einfach auszuschlagen. Nein, der Klose konnte auch zuhören. Er war ein eher leiser Vertreter der damaligen Politiker-Generation, von denen viele sich gern laut Gehör verschafften. Im Rückblick auf sein langes Leben hat er mal bemerkt: Er habe als viel zu junger Mensch Ämter angestrebt und sei ihnen nicht gerecht geworden. „Ich glaube, ab 50 hat man eine Chance, erwachsen zu werden.“ Sagte der Uli Klose in einem Interview mit der „Welt“. Und weiter: „Und wenn Sie Glück haben, lernen Sie bis zu diesem Alter, auch einmal scheitern zu können. Das ist das Wichtigste. Nur ein solches Scheitern schafft die nötige Distanz zu sich selbst.“ So war er, der Uli Klose, ein angenehmer Mensch und Gesprächspartner.
Lesebrille auf der Spitze der Nase
1937 wurde er in Breslau geboren. Ich habe von ihm nie revanchistische Töne vernommen, der Krieg war verloren, die deutsche Schuld lastete auf vielen und belastete viele. Die Vertreibung vieler Deutscher aus den Ostgebieten war ein Verbrechen, keine Frage, aber sie war eine Folge des von Nazi-Deutschland begonnenen Weltkrieges mit all den viel schlimmeren Verbrechen und dem Zivilisationsbruch. Klose landete in Hamburg, wo ich ihn als Bürgermeister erlebte, später, nach dem Verlust des Hamburger Amtes lernte ich ihn als SPD-Bundestagsabgeordneten kennen. Er hatte immer ein jungenhaftes Gesicht, den Scheitel klar gezogen, später trug er die Lesebrille so auf der äußerten Spitze der Nase, dass man ihm bei einer Bundestagsdebatte mal zurief, er möge aufpassen, dass die Brille nicht runterfalle. Er nahm es lächelnd zur Kenntnis.
1987 wurde er plötzlich Schatzmeister der SPD. Wirklich nicht sein Job. Er wurde es, weil Oskar Lafontaine, der damalige SPD-Vize es so wollte. Es war eine Demonstration der Macht von Lafontaine. Geholfen hat die dem Saarländer nicht. Ich bezweifele auch, dass Klose zu einem Anhänger des Saar-Napoleons geworden ist. Dazu war Klose viel zu selbstbewusst.
Auf Klose haben wir damals eine Wette abgeschlossen, wir, eine Runde Bonner Journalisten, die oft gewettet haben um Wahlausgänge. Damals, 1991, suchte die SPD als Nachfolger von Hans-Jochen Vogel einen neuen Fraktionschef. Vogel, der strenge Oberlehrer, hätte am liebsten Herta Däubler-Gmelin als Vorsitzende der Bundestagsfraktion der SPD gehabt. Herta Däubler-Gmelin war zwar kenntnisreich und schlagfertig und immer in der Lage, in jede noch so schwierige Debatte einzugreifen und das Wort zu setzen. Aber die Sozialdemokratin aus Baden-Württemberg war nicht unbedingt beliebt bei den Genossen. Rudolf Dressler, ein großer Sozialpolitiker, hatte ebenfalls seine Kandidatur angezeigt, aber auch er hatte nicht die damals stärkste Gruppe in der SPD-Fraktion, die Seeheimer, die früher Kanalarbeiter hießen, auf seiner Seite. Also suchten die nach einem Bewerber ihres Geschmacks. Sie fanden ihn in Klose, der aber da gerade in Mexiko weilte mit seiner Frau. Dort erreichte man ihn und Klose stimmte zu. Angeblich, nachdem er einen goldenen Peso auf dem Boden gefunden hatte. Quasi als gutes Omen. So hat er es erzählt. Eine Legende? Was soll´s .
Zurück zur Wette: Der Gewinner lud in sein Haus ein, die Verlierer brachten den Wett-Wein mit, die Frau des Wett-Gewinners spendierte Käse, Wurst, Brot und einige Salatblätter. Klose selber nahm an dem geselligen Abend nicht teil, er wurde bestens durch Peter Struck, den Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, vertreten. Um es kurz zu machen mit dem Amt des Fraktionschefs: Das war nicht Kloses Job. Aber er ließ sich nicht zweimal bitten. Lieber provozierte er die Genossen mit einem Zitat von Gottfried Benn und sprach von der „wirklichen Wirklichkeit“, die mit taktischen Spielchen um Tageserfolge nichts zu tun habe. Nach der Wahlniederlage der SPD mit dem Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping, der Brutto mit Netto verwechselt hatte, was ihm zum Verhängnis wurde-man denke an Laschets Lächeln im überfluteten Ahrtal-, konnte er die Fraktionsführung an den Rheinland-Pfälzer abgeben. Klose wurde Vizepräsident des Bundestages, was ihm gefiel. Und als die erste rot-grüne Bundesregierung mit Schröder/Fischer gebildet wurde, war Klose nicht unter den Ministern, sondern wurde Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Das entsprach seinen Vorlieben, die Außenpolitik war sein Ding. Klose war immer der Atlantiker, die Beziehungen zu den USA waren sein Thema. Von Jugend an liebte er die Vereinigten Staaten von Amerika, war fasziniert vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, seit er als Schüler in den 50er Jahren einige Monate drüben gewesen war. Diese politische Leidenschaft, muss man das wohl nennen, würdigte FDP-Außenminister Guido Westerwelle, indem er Klose zum Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen machte. Aus familiären Gründen gab der SPD-Mann diesen Job nach einem Jahr wieder auf.
Gegen den Radikalenerlass
Klose war ein durchaus selbstbewusster Politiker. Mit eigener Meinung. Und die gab er nicht an der Garderobe ab, wenn es um Meinung ging, Haltung. Im Streit um den Radikalenerlass verärgerte er 1978 viele im Partei-Establishment, als er gegen die offizielle Linie aufmuckte. Begründung: „Ich stelle lieber 20 Kommunisten ein, als 200000 junge Leute zu verunsichern.“ Willy Brandt hat später eingeräumt, dass der Radikalenerlass einer seiner größten Fehler als Kanzler gewesen sei.
Es passt zum eigenwilligen Klose, dass er als Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Hamburg-Harburg kandidiert hatte, in dem zuvor Herbert Wehner seit 1948 der mächtige SPD-Abgeordnete war. Und Wehner war nicht unbeteiligt an den innerparteilichen hanseatischen Kämpfen gegen Klose. Alte Geschichten.
Für einen wir Klose war Politik wichtig, aber sie bedeutete nicht alles. Er schrieb Kinderbücher, war belesen in der Lyrik, dichtete selbst, wie es Norbert Bicher in einem Nachruf für den „Vorwärts“ formuliert hat. Und so war es folgerichtig, wie Bicher weiter schreibt( er war Korrespondent wie auch Sprecher von Peter Struck als Fraktionschef und Verteidigungsminister), dass Hans-Ulrich Klose sich 2013 mit dem Gedicht „Goodbye“ aus dem Parlament verabschiedete. Die Schlusszeile lautet: „Jetzt, bitte, will ich selbst entscheiden, jetzt bin ich alt und endlich frei.“ Diese Freiheit hat er genießen können. Er wurde ein Ruheständler, der keine Zwischenrufe von der Seitenlinie gab. Er war mit sich im Reinen. Hans-Ulrich Klose, respektiert und geachtet von Parteifreunden wie politischen Gegnern, starb nach langer Alzheimer-Krankheit am 6. September im Alter von 86 Jahren in seiner Wahlheimat Berlin. Er war wirklich ein Guter, für die Politik, die SPD, die Gesellschaft. Als solchen haben sie ihn mit warmen Worten verabschiedet. Er hat es verdient.