Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg. Nazi-Deutschland überfiel Polen. Zeit, daran zu erinnern, gerade jetzt, da die Zeitzeugen nahezu ausgestorben sind und eine Partei glaubt, diese Nazi-Zeit, die den schrecklichsten aller Kriege, den Deutsche angezettelt und Verbrechen ungeheuren Ausmasses begangen haben, zu einem „Fliegenschiss“ kleinreden zu können. Alexander Gauland(82) ist der Schöpfer dieses Vergleiches, einst Partei- und Fraktionschef der AfD, heute ihr Ehrenvorsitzender. Nein, es ist nicht vorbei, heute im Jahr 2023. „Das hört nicht auf. Nie hört das auf“. Zitiert die SZ aus Günter Grass Novelle „Im Krebsgang“. Die deutsche Vergangenheit ist aktuell. Man höre sich die wöchentlichen Umfrageergebnisse der AfD an. Die rechtsradikale Partei, die einen Faschisten wie Björn Höcke in ihren Reihen hat, liegt bei 20 Prozent, vor der SPD und den Grünen, in Thüringen könnte diese AfD, die der Verfassungsschutz als gefährlich einstuft, stärkste Partei in der Stadt werden, dort, wo das Goethe- und Schiller-Denkmal vor dem Theater steht.
Das Kunstfest in Weimar hat den Namen „Erinnern schafft Zukunft“. Vergangenheit ist hier nicht Geschichte, also nicht vergessen, sondern aktuell. Gleich neben Weimar liegt Buchenwald, das einstige Konzentrationslager, in dem zwischen 1937 und 1945 über 38000 Menschen ermordet wurden. 1999 war Weimar Kulturhauptstadt Europas. Man stelle sich vor, einer wie Höcke würde nächstes Jahr Ministerpräsident von Thüringen. Derselbe Höcke, der die AfD nach seinen völkischen, rechtsradikalen Vorstellungen umgebaut hat, der von Umvolkung redet.
Weimar hat nicht nur mit Goethe und Schiller zu tun, sondern auch mit dem Holocaust. Siehe Buchenwald, das erst kurz vor Kriegsende von den Amerikanern befreit wurde. Die Weimarer Bürger wussten vom KZ und den unmenschlichen Zuständen, unter denen die Häftlinge leben und arbeiten mussten. Am 16. April 1945 zwangen die Amerikaner rund 1000 Weimarer Bürger, das KZ Buchenwald zu besichtigen. Die US-Soldaten führten die Weimarer an den Leichenbergen vorbei, sie führten sie in die Häftlingsbaracken und zu den Öfen des Krematoriums. Wie vielfach überall im Deutschen Reich taten die Bürger Weimars so, als wäre ihnen das neu. Aus Millionen NSDAP-Mitgliedern waren plötzlich Widerständler und Verfolgte geworden.
Die Mitschuld des Volkes
„Steinbruch der Geschichte“, heißt der Titel des SZ-Beitrags im Feuilleton des Blattes. Darin stellt Ingo Schulze, der Schriftsteller, zum diesjährigen Kunstfest Weimar fest, dass Faschismus immer wiederkehre. Erinnern muss sein, könnte man hinzufügen und daran erinnern, dass der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer, der kein Nazi war, sondern sich vor der Gestapo u.a. im Kloster Maria Laach verstecken musste, dafür plädiert hatte, einen Schlussstrich unter die NS-Geschichte zu ziehen. Dabei hatte derselbe Adenauer kurz nach dem verheerenden Krieg bekannt, dass die Deutschen gewusst hätten, was die Nazis mit den Juden gemacht hatten. „Fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung“ hätten sie sich gleichschalten lassen. Sie hätten gewusst, „dass die persönliche Freiheit, alle Rechtsgrundsätze mit Füßen getreten wurden, dass in den Konzentrationslagern große Grausamkeiten verübt wurden.. dass die Gestapo, unsere SS und zum Teil auch unsere Truppen in Polen und Russland mit beispiellosen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung vorgingen. Die Judenpogrome 1933 und 1938 geschahen in aller Öffentlichkeit“. Und trotz der Mitschuld des deutschen Volkes stellte der erste Kanzler mit Hans Globke einen Mann als Chef des Kanzleramtes ein, der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze gewesen war. Und damit mitverantwortlich für die Namensänderungs-Verordnungen, durch die Juden als solche erkennbar gemacht und stigmatisiert werden sollten.
Aber für Konrad Adenauer wie viele andere galt, die deutsche Vergangenheit war zumindest fürs Erste tot, sie sollte begraben werden, weil, so Adenauer: „Man kann doch ein Auswärtiges Amt nicht aufbauen, wenn man nicht wenigstens an den leitenden Stellen Leute hat, die von der Geschichte von früher her etwas verstehen“. Oder etwas drastischer derselbe Adenauer zum Fall Globke und zu Übernahme vieler alter Nazis in die Ministerialbürokratie: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat“.
Es ist wieder Krieg, Russland führt ihn gegen die Ukraine, das Land wehrt sich mit militärischer Unterstützung des Westens, der USA, von Deutschland und vieler anderer Mächte. Das soll nicht unterschlagen werden im „Steinbruch der Geschichte“ und angesichts eines Kulturereignisses in Weimar, einem Ort, der eben auch für die NS-Geschichte steht. Ja, man darf daran erinnern, dass auch die Nazi-Begeisterung einst,- oder soll man sagen Besoffenheit?- so groß war, dass sie Hitler feierten. Der Früher, ist in der SZ nachzulesen, habe die Stadt vierzig Mal besucht. Er sei dann im Hotel „Elephant“ abgestiegen, ein feines Haus, das später als Kulisse für Besuche auswärtiger hoher DDR-Besucher aus aller Welt herhielt. In Weimar- wie anderswo auch- habe große Hitler-Begeisterung geherrscht. „Lieber Führer, komm heraus, aus dem Elephantenhaus. Lieber Führer, sei so nett, tritt zu uns ans Fensterbrett“, hätten die Massen gerufen, schildert die „Süddeutsche“ die Begeisterung der Massen, die sich vor dem Hotel Elephant versammelt gehabt hätten. Es kann einem schlecht werden, wenn man das liest. Weimar war einst eine Hochburg der Nazis, aber das war Rothenburg ob der Tauber auch und andere Städte, die es später nicht wahrhaben wollten, dass sie Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft angeboten hatten. Später, nach dem verlorenen Krieg, auf den Gräbern von Millionen und den Ruinen stehend, riss man die Seiten mit Hitler aus den Stadtbüchern, als könnte man so Geschichte vergessen machen.
Günther Ueckers Steinmal
Die SZ weist daraufhin, dass Björn Höcke von Teilen der Bevölkerung hier „ähnlich begeistert empfangen“ werde wie einst Hitler und seiner Partei, der AfD, werde für die Landtagswahl in Thüringen ein vergleichbar hohes Ergebnis vorhergesagt, wie die NSDAP es 1932 erreicht hatte. „Nie wieder“, das habe ich als Schüler in den 60er Jahren gehört, als die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt die Schrecken der NS-Diktatur jedem unter die Nase hielten, auch den Ewig-Gestrigen. Der Maler und Objektkünstler Günther Üecker hatte 1999 in einem Kellerraum der sogenannten Häftlingskantine des KZ Buchenwald ein Steinmal errichtet. Er hatte es auf eigene Initiative getan, ohne Auftrag der Gedenkstätte, die immer mal wieder von Rechten und Neonazis attackiert wird. 1999, Weimar war wie gesagt Kulturhauptstadt Europas, es war nicht nur Goethes 250. und nicht nur Schillers 240. Geburtstag, und auch nicht nur der 80. Jahrestag der Verabschiedung der Weimarer Verfassung, sondern eben auch der 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, mit dem die Nazis ihren Vernichtungskrieg begonnen hatten.
Für Günther Uecker, 1930 in Mecklenburg-Vorpommern geboren, war das eine Leerstelle der Erinnerung. Er hatte das Kriegsende auf der Halbinsel Wustrow erlebt, die Bilder des Krieges ließen ihn nicht los. So entstand die Arbeit „Ein Steinmal für Buchenwald. 1. September 1939.“ 24 Jahre später hat Uecker die damalige Installation auf dem Weimarer Theaterplatz erneuert. 1999 wandte sich Uecker damit gegen das Vergessen mit Blick auf Weimar und Deutschland, jetzt schlägt er Alarm wegen des seit 1945 immer wieder gebrochenen Versprechens „Nie wieder“, protestiert er gegen imperiale Kriege und Unterdrückung, gegen Gewalt, gegen allzu floskelhaftes Erinnern, gegen Rechtsradikale, gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Der Künstler Uecker verteilte gelbe Bruchstücke, die er aus Buchenwalds Steinbruch geholt hatte, türmte sie auf und verband sie mit Leinen. Bürgerinnen und Bürger waren aufgefordert, Namen und Geburtsorte aus dem Totenbuch des Kzs per Megaphon vorzulesen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zitierte Björn Höcke, der zum Datum des Hitler-Stalin-.Paktes- 23. August 1939- gesagt hatte, Europa wäre sicher, wären Ukraine und Russland ein Land.
Mahnung des Bundespräsidenten
Erinnern schafft Zukunft. Es darf nicht vergessen werden, niemals. Und in diesem Sinne ist es nicht zu entschuldigen, wenn Bürgerinnen und Bürger der AfD die Stimme geben oder geben wollen. Davor hat kürzlich angesichts der Erinnerung an die Vorarbeiten zum Grundgesetz auf der Insel Herrenchiemsee Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gewarnt. Wer Nazis wählt, muss sich gefallen lassen, als Nazi bezeichnet zu werden. Er kann sich nicht darauf berufen, er habe aus Ärger über Scholz, oder Merz oder Lindner, oder Habeck oder Söder die AfD gewählt. Wem die Politik des Kanzlers nicht passt, der kann die CDU wählen. Wenn jemand auf Merz schimpft, hat er die Möglichkeit, die SPD zu wählen oder die FDP. Und wer etwas gegen Habeck hat, kann die Grünen oder die CDU wählen. Oder er kann sich weigern, an der Wahl teilzunehmen. Aber eines muss klar sein für Demokraten: Es gibt keinen Grund, die AfD zu wählen. Oder sind uns unsere Grundrechte egal? Die AfD will sie aushöhlen. Ist uns das Schicksal von Minderheiten egal? Die AfD verachtet die Menschenwürde. Sie wird zu einem völkischen Kampfverband. Sie will Deutsche mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben. Es ist wieder vom großdeutschen Reich die Rede, von Umvolkung. Die AfD wird mehr und mehr zu einer „nationalfaschistischen Partei“(Heribert Prantl) Sie will unser Europa zerstören, diese erfolgreiche Europäische Union.
Wer so eine Partei wählt, der wählt verfassungsfeindlich.(Prantl) Das muss man jedem Wähler und jeder Wählerin sagen. Aus dem „Nie wieder“ unserer Väter darf doch nicht „Schon wieder“(Prantl) werden. 6 Millionen ermordete Juden, 55 Millionen Tote im 2.Weltkrieg, Zerstörungen in nie gekannter Größe, die Spuren der Nazi-Herrschaft sind Mahnung genug, was Rassismus und Nationalismus anrichten können. Nie wieder.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de