„Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben hinzugeben.“ Das sagte Generalmajor Henning von Treskow im Sommer 1944. Ein großes Wort zu einer Zeit, da der Krieg des Verbrechers Adolf Hitler gegen die zivilisierte Welt verloren war, die Alliierten waren in der Normandie gelandet, die Rote Armee auf dem Vormarsch und der Bombenkrieg, den die Nazis gegen Halb-Europa geführt hatte, kam zurück nach Deutschland. Ein Bild des Schreckens: Tote, Verletzte, Verwüstungen. Einige Anschläge gegen das unmenschliche NS-Regime waren gescheitert. Treskow, Stauffenberg, Schlabrenndorf und viele andere versuchten den Tyrannenmord, den Umsturz der mörderischen Diktatur um kurz vor Zwölf. Treskow entschied: „Das Attentat muss erfolgen, coúte que coúte`. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ Stauffenberg scheiterte am 20. Juli 1944 und Treskow nahm sich das Leben. Hunderte wurden verhaftet, erschossen, aufgehängt.
Das andere Deutschland. Darum ging es den Verschwörern des 20. Juli 1944, der Welt zu zeigen, dass Deutschland nicht nur aus Nazis bestand, aus Mördern, Antisemiten, sondern aus Menschen. Sie handelten nach ihrem Gewissen, mit großem Mut und Moral. Dabei standen auch sie einst, als die braune Pest Macht über Deutschland bekam, im Banne des sogenannten Führers. Die Begeisterung ging bei einigen schnell zurück, als sie merkten, wie brutal die Nazis mit Gegnern umgingen. Die Judenpogrome 1938 taten ein Übriges. Aber auch das stimmte ja, die meisten jubelten Hitler zu, die Blitzsiege machten sie blind vor dem Terror der Nazis in ganz Europa. Erst die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und das damit einhergehende Vorrücken der Roten Armee, die drohende Niederlage sorgten für ein Umdenken, was aber nicht in laute Proteste umschlug. Dazu war die Angst vor der Gestapo zu groß, die Sorge, von Spionen abgehört und überführt zu werden, in Konzentrationslagern zu landen, in denen man gefoltert oder ermordet wurde.
Widerstand. Ja es gab ihn, aber die Bewegung war nicht groß, zudem zersplittert. Sozialdemokraten zählten dazu, Kommunisten, Literaten, Christen, Gewerkschafter. Einige tausend Deutsche mögen es gewesen sein, die offen gegen Hitler redeten und handelten, dem Regime die Stirn boten. Aber die überragende Mehrheit der Deutschen hielt sich zurück mit Kritik, schaute weg oder machte einfach mit, Millionen liefen Adolf Hitler hinterher, begeistert schrien sie Heil und folgten dem Verführer. Nachher, als alles in Scherben lag und das Unheil öffentlich wurde, das Unrecht, das Deutschland den Juden, den Polen, den Ukrainern und all den anderen angetan hatte, wollte es keiner gewesen sein. Da war plötzlich niemand mehr in der Partei, der NSDAP gewesen, da waren sie alle mehr oder weniger Widerstandskämpfer.
3,5 Millionen im Gefängnis
Das Regime war gnadenlos. Man geht heute davon aus, dass die Gestapo während des 2. Weltkriegs rund 800000 Deutsche wegen ihrer Widerstandstätigkeit festgenommen hatte. 3,5 Millionen Deutsche saßen wegen angeblich politischer Verbrechen im Gefängnis. Das konnten kritische Töne über die Nazis gewesen sein oder das Abhören der BBC. Es reichte für die Verurteilung, für das KZ, oder gar den Tod. Zwischen 1933 und 1945 sollen rund 77000 Deutsche getötet worden sein. Dazu kamen Zehntausende in KZs um, weil sie als Dissidenten verdächtig waren. Der berüchtigte Volksgerichtshof unter Freisler erließ 5200 Todesurteile.(Bernd Fischer: Widerstand gegen Hitler) Für den Historiker Hans Mommsen sah das mit dem Widerstand eher bescheiden aus. Widerstand im Dritten Reich sei „Widerstand ohne Volk“ gewesen, die Zahl der Deutschen, die sich dem Regime widersetzt hätten, nannte Mommsen sehr gering. Was ja auch richtig war.
Einem breiteren Widerstandskreis gehörten Militärs an wie der schon 1938 zurückgetretene Generalstabschef Ludwig Beck sowie konservative Vertreter des Bürgertums, darunter Leipzigs früherer OB Carl Goerdeler. Am 20. Juli 1944 platzierte Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg bei einer Lagebesprechung eine Zeitbombe im ostpreußischen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“. Hitler wurde aber nur leicht verletzt. dennoch starteten die Verschwörer die Aktion „Walküre“ , aber es gelang der Gruppe nicht, die Macht zu übernehmen. Vielmehr wurden die Attentäter verhaftet und hingerichtet. Das betraf auch Mitglieder des Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf von Moltke.
Fast 3000 Menschen wurden nach dem gescheiterten Anschlag getötet, umgebracht. Die widerlichen Prozesse vor dem Volksgerichtshof gegen die Nazi-Gegner dauerten bis kurz vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches im Mai1945. Hunderte wurden hingerichtet. Darunter die Generalfeldmarschälle Günther von Kluge, Erwin von Witzleben, Erwin Rommel, der General Friedrich Olbricht, Generalmajor Hans Oster, Adolf Reichwein, der Pädagoge und SPD-Mitglied, Mann des Kreisauer Kreises, Julius Leber, SPD, Adam von Trott zu Solz, ein Diplomat, der ab 1939 für den Sturz Hitlers kämpfte. Er gehörte zum Kern des Kreisauer Kreises und wurde in Plötzensee hingerichtet.
Wenig Rückhalt im Volk
Wäre Hitler bei dem Attentat getötet worden, hätte das noch nicht den Sieg der Verschwörer bedeutet. Sie hatten wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Die meisten Deutschen, so die amtlichen Stimmungsberichte der Nazis, waren empört über die Attentäter, weil sie angeblich überzeugt waren, dass nur der Führer die Lage meistern kann, sein Tod hätte nur Chaos und Bürgerkrieg zur Folge gehabt. Nachzulesen bei Heinrich August Winkler „Geschichte des Westens“. Hitler war populärer als die Verschwörer, was sie aber wussten. Ob sie im Falle des Todes von Hitler bei den Alliierten einen milderen Frieden würden aushandeln können, war auch unsicher. Denn die hatten sich auf eine bedingungslose Kapitulation des NS-Reiches festgelegt. Den Verschwörern ging es nicht darum, sondern: „Die Welt und die kommenden Generationen sollten wissen, dass Hitler nicht Deutschland war, sondern dass es noch ein anderes, ein besseres Deutschland gab.“(Winkler)
Wer so dachte, dem war es eine Frage der Ehre, die Hand zu erheben gegen den Diktator, wissend um die Gefahr des eigenen Todes. Dabei waren sie nicht ohne Schuld, was sie wussten. Denn es war auch ihr Krieg gewesen, der von Hitler geführt wurde, bei dem es um die Führungsrolle Deutschlands ging und gegen den aggressiven Bolschewismus. Wenn man so will, war ihr Auflehnen, ihr Attentat am Ende auch ein Stück Widergutmachung. Das eigene Gewissen, dem man sich verpflichtet fühlte und nicht länger einem verbrecherischen Befehlshaber dienen wollte, hatte gesiegt. Auch wenn man selber den Tod riskierte.
Wer von Widerstand gegen die Nazis redet, darf Georg Elser nicht vergessen, den mutigen Tischler aus Württemberg. Elser verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller einen Anschlag auf Hitler und scheiterte nur knapp. Schuld war das Wetter, deshalb kam Hitler verspätet und musste kürzer reden und früher gehen. Man stelle sich vor, was uns und der Welt erspart geblieben wäre im Falle eines erfolgreichen Attentats. Elser wurde am 9. April 1945 in Dachau ermordet, vier Wochen vor der Kapitulation. Im Dezember 1941 schrieb Elser: „Ich wünschte, ich könnte dem deutschen Volk einen Film vorführen: Deutschland bei Kriegsende. Dann würde vielleicht das Volk voller Schrecken erkennen, auf was wir zusteuern. Dann würde das Volk ganz sicher meiner Ansicht sein, dass der Oberste Kriegsherr eher heute als morgen abgelöst werden und verschwinden müsste. Da wir aber den Film nicht vorführen können, wird das deutsche Volk, wann immer wir Hitler beseitigen, totensicher eine Dolchstoßlegende erschaffen. Und wenn wir noch so gute Friedensbedingungen aushandelten: Immer würde es heißen: Wenn ihr den geliebten Führer nicht in dem entscheidenden Augenblick kurz vor dem Endsieg umgebracht hättet, wäre es niemals zu solchen Bedingungen gekommen.“(Christian Graf von Krockow: Die Deutschen in ihrem Jahrhundert 1890-1990)
Vom Hausmeister erwischt
Zum Widerstand gegen die Nazis gehört die „Weiße Rose“ um die Geschwister Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Professor Huber. Sie beriefen sich in ihrer Ablehnung von Hitlers Krieg und seiner rassistischen, menschenverachtenden Politik auf christliche und humanitäre Werte. Sie warfen Flugblätter in den Lichthof der Münchner Uni und malten Parolen an die Wände der besagten Hochschule, leider wurden sie von einem Hausmeister erwischt und der Gestapo gemeldet. Sie wurden hingerichtet.
Zu den Widerständlern der Nazis zählte Ernst Thälmann, Vorsitzender KPD. Er wurde schon 1933 inhaftiert und am 18. August 1944 im KZ Buchenwald ermordet. Kurt Schumacher, der spätere 1.Vorsitzende der SPD nach dem Krieg, überlebte die Folter u.a. im KZ Dachau mit schweren gesundheitlichen Schäden. Der Gewerkschaftsführer Erwin Leuschner bezahlte seinen Widerstand gegen Hitler mit dem Leben.
1934 entstand eine kritische bekennende Kirche um Martin Niemöller. Hunderte von Protestanten wurden verfolgt, ein Dutzend hingerichtet, darunter Dietrich Bonhoeffer. Auch Vertreter der katholischen Kirche wie der Jesuitenpater Alfred Delp wurden von den Nazis ermordet. Andere, die auch das kritische Wort gegen Hitlers Regime erhoben wie der Münsteraner Kardinal Graf von Galen, überlebten. Der Bischof kritisierte in einigen seiner Predigten heftig die Ermordung von Behinderten durch das NS-Euthanasie-Programm. Es gab wohl Stimmen aus der NS-Führung, den Kardinal umzubringen, letztendlich tat man es nicht, weil man seinen Einfluss bei den Gläubigen im ganzen Land kannte und fürchtete. Man könnte die Rote Kapelle noch erwähnen, eine der KPD nahestehende Widerstandsgruppe um den Luftwaffenoffizier Harro Schulze-Boysen und den Ökonomen Harvid Harnack, die 1942 enttarnt und in Plötzensee aufgehängt wurden. In Berlin-Tiergarten erinnert ein Stolperstein an das Leben des Ehepaares Harnack.
Elser, die Geschwister Scholl und die Weiße Rose, Sozialdemokraten und Kommunisten, Stauffenberg und die übrigen Attentäter des 20. Juli, die mutigen Männer der Kirche und all die anderen wurden exekutiert. Sie sind in meinen Augen Helden, weil sie ihr Leben eingesetzt haben gegen das Böse, gegen Hitler, Himmler, Goebbels und die anderen. Heinrich August Winklers Fazit lautet: „Wären sie und andere nicht gegen Hitler aufgestanden, die Deutschen hätten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wenig gehabt, woran sie sich beim Rückblick auf die Jahre 1933 bis 1945 aufrichten konnten“.
Und heute? Brauchen wir Zivilcourage und Haltung gegen die Rechtspopulisten und Neonazis, die Feinde unseres Staates, eines Gemeinwesens, das trotz aller Kritik das Beste ist, was es in der deutschen Geschichte gegeben hat und gibt. Aber Vorsicht. Die Demokratie ist kein Selbstläufer, sie braucht Freunde und Helfer, die sie gegen ihre Feinde verteidigen. Demokraten eben. So ähnlich hat es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehrfach mahnend gesagt. Wir sollten die Erinnerung an die wenigen Helden pflegen und die Lehre daraus ziehen. Nie wieder!