Mit der Brechstange kann man nicht regieren, mit gegenseitigen Vorwürfen wie Wortbruch auch nicht. Wer sich dazu entschlossen hat, in einer Koalition aus drei verschiedenen Partnern zu regieren, sollte auch darauf aus sein, zu zeigen, dass man immer mal wieder gemeinsam regiert. Damit die Wählerin und der Wähler merken, der Zusammenhalt ist da. Das vermisse ich zur Zeit an der Ampel-Regierung in Berlin. Man hört nur Krach, sieht das Gegeneinander. Das ist doch keine Koalition mehr, liest man gelegentlich und hört die Forderung, besser wäre eine Große Koalition.
Nichts gegen Streit, der muss sein, um inhaltliche Fragen zu klären und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, aber am Ende muss die Lösung präsentiert werden, getragen von allen drei Partnern, der SPD, den Grünen und der FDP. Was nicht geht, ist, dass die FDP sich so verhält, als sei sie Regierung und Opposition zugleich. Ein solches Verhalten verringert die Glaubwürdigkeit nach draußen und führt zu Umfragewerten, wie sie die Liberalen seit Monaten haben. Und dass die FDP aus einigen Landtagen geflogen ist und einigen Landesregierungen nicht mehr angehört, hat sie sich selber zuzuschreiben.
Strucksches Gesetz
Auch die Grünen bieten ein verheerendes Bild. CDU-Chef Friedrich Merz hat kürzlich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ betont: „Die Grünen müssen vor allem von ihrem hohen moralischen Ross herunter.“ Auch wenn den Grünen das nicht gefällt, an dieser Forderung von Merz ist was dran. Man schaue sich nur das sogenannte Gebäudeenergiegesetz aus der Feder vom Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck an. Ein einziger Verriss kennzeichnet die Reaktions-Debatte über eines der zentralen Vorhaben der Ampel und hier vor allem der Grünen. Die Lösung des Klimaschutzes werde nicht mit der Brechstange gelingen. So Merz. Jeder Gesetz-Entwurf muss ins Parlament, wird dort beraten und verändert. So ist das in der parlamentarischen Demokratie. Wir nannten das mal das Strucksche Gesetz. Eine Selbstverständlichkeit. Das Parlament, die Abgeordneten sind Chef im Hohen Haus.
Ich ergänze noch etwas anderes: Die Grünen scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, dass sie Politik für die breite Mehrheit machen müssen, nicht nur für ihre überwiegend gut bis sehr gut finanziell ausgestattete Wähler-Klientel. Und: Sie verfügen nicht über die absolute Mehrheit. Sie wie die anderen Parteien müssen für eine Mehrheit kämpfen, werben, Argumente liefern. Die Pannen und Peinlichkeiten im Personalbereich-Stichwort Staatssekretär Graichen- kommen hinzu. Die Bäume wachsen auch für sie nicht in den Himmel.
Es wirkt schon ziemlich naiv, wie Robert Habeck reagierte, als das Thema, das er noch in seinem Inner-Circle wähnte, von irgendeinem durchgestoßen wurde und damit zu früh das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Wer immer das tat, tat es nicht, um dem Minister zu gefallen, sondern um ihm zu schaden. Und um das Vorhaben zumindest mit diesem Inhalt zum Scheitern zu bringen. So ist das halt in der Politik, Herr Habeck. Die Zeit der Streicheleinheiten auch von Seiten bestimmter Presse-Organe des Mainstreams sind erstmal vorbei. Vorerst wird er nicht mehr gehandelt als Kanzler-Kandidat der Grünen und schon gar nicht als Kanzler. Die Grünen sind abgestürzt, das zeigen die Umfragen, das haben die Wahlen in Berlin und in Bremen gezeigt.
Grüne und FDP mögen sich nicht
Man merkt seit den Anfängen der Ampel, dass sich die Grünen und die FDP nicht mögen. Man stichelt und stänkert gegen- und übereinander. Die Liberalen nennen den Gesetz-Entwurf von Klima-Robert „unfassbar dämlich“. Und der so gescholtene reagiert bockig, wie zu lesen und zu hören war. Habeck „pampt rum“, so die Kritik in der Kolumne von Uli Lüke im „Bonner Generalanzeiger“. ich frage mich, warum der Minister nicht von Anfang an den Einbau von Öl- und Gasheizungen nur für Neubauten untersagt hat. Nur mal so angeregt.
Man fühlt sich als älterer Zeitgenosse, der die Entwicklungen in der Politik schon etwas länger beobachtet, an die Zeiten der Koalition von Union und FDP unter Angela Merkel erinnert. CSU-Dobrindt schimpfte damals über die FDP-„Gurkentruppe“, die Liberalen hatten zuvor die CSU als „Wildsau“ bezeichnet. Nur zur Erinnerung: Nach vier Regierungsjahren flog die FDP aus dem Bundestag, was der heutige FDP-Chef Christian Lindner nicht vergessen und verschmerzt haben dürfte. Deshalb warf er Merkel 2017 die Brocken vor die Füße und beendete die Flirt-Gespräche mit CDU und CSU mit der Bemerkung: „Besser nicht regieren als schlecht regieren.“ So verständlich der Ärger Lindners damals war, weil er das Gefühl hatte, Merkel kümmere sich mehr um die Grünen als um die FDP, er sollte das jetzt nicht noch einmal versuchen. In der Opposition lebt es sich schwieriger als in der warmen Stube des Bundesfinanzministers.
Von Olaf Scholz ist zu dieser Regierung wie immer wenig zu vernehmen. Beim 160jährigen Jubiläum seiner SPD vor ein paar Tagen sprach der Kanzler aus, was man auch an die Adresse der Regierungspartner gemünzt auslegen könnte: „Mehr Freundlichkeit und Wohlwollen, mehr Anerkennung und Augenhöhe, übrigens auch mehr Gelassenheit im Umgang mit anderen Ansichten und Lebensstilen- das alles macht eine Gesellschaft des Respekts aus.“ Ein Wort, das Scholz schon im Wahlkampf gesagt hatte. Respekt vor dem anderen, seinem Leben und seiner Leistung, wobei der Kanzler es nicht bei Worten bewenden lassen sollte. Zum Respekt vor der Schwerstarbeit der Pfleger in Krankenhäusern und Altenheimen, den Sanitätern und Hebammen und vielen anderen, ohne deren Einsatz der Laden Bundesrepublik nicht laufen würde, gehört eine bessere Bezahlung und überhaupt mehr Anerkennung. Das mit dem Beifall damals während der Corona-Pandemie war gut, aber zu billig. Davon können sie sich nichts kaufen. Und die Armut im Lande nimmt zu wie das Heer der Reichen. Diese Ungerechtigkeiten sind mit Händen zu greifen. Man schaue nur auf die Preise im Supermarkt.
Wahlen in Hessen und Bayern
Und was die Ampel angeht und den Streit um Klima und Gebäude, um Asyl und Geflüchtete, der Kanzler erweckt gelegentlich den Eindruck, als ginge ihn das nicht so besonders viel an. Ich bin kein Freund von Machtworten, der Blog-Leser kennt das Zitat von Willy Brandt auf den Hinweis, er müsse mal auf den Tisch hauen: „Das imponiert nicht mal dem Tisch“, hat der große Mann der SPD mal geantwortet. Aber klar ist auch, die Leute wollen wissen, wohin die Reise geht, wie teuer was wird, ob sie sich dies und das noch erlauben können. Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben es nämlich nicht so dicke, sie müssen schauen, dass sie über die Runden kommen. Dass die rechtsextreme AfD immer stärker wird, kann doch einen SPD-Kanzler nicht ruhen lassen. Es hat auch mit Mängeln der Ampel-Politik zu tun, dass sich so viele Wählerinnen und Wähler nach rechts wenden. Für die Stabilität dieser Republik ist das gefährlich. Die Umfragen sind seit Monaten nicht gut für die SPD und für Scholz. Und wenn er nicht aufpasst, wird die SPD die Landtagswahlen in Hessen nicht gewinnen, von denen in Bayern wollen wir gar nicht erst reden. Und dann kann es eng werden.
Kürzlich plädierte ein früherer Kollege, Christoph Schwennicke, für die Bildung einer großen Koalition. Eben weil die Ampel nicht funktioniere, sich Grüne und Liberale gegenseitig behinderten. Daran glaube ich nicht, zumindest nicht jetzt. Zunächst wiederhole ich bei aller berechtigten Kritik an der Arbeit der Regierung Scholz, dass angesichts der vielen zeitgleichen Krisen noch keine Bundesregierung zuvor von Anfang an so viel zu bewältigen gehabt hat wie diese. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel(SPD) erinnerte gerade zu Recht daran. Zugleich äußerte er seine Unzufriedenheit mit der Art, wie Konflikte in der Ampel-Koalition angepackt würden. Vieles dauere zu lange und stehe in keinem Verhältnis zu dem, was sonst in der Welt los sei. In der ZDF-Talkshow-Lanz belegte der Iran-Oppositionelle Erfan Ramizipour, wie Recht der Ex-Vize-Kanzler Gabriel mit seinen Bemerkungen hatte. Der Iraner schilderte nämlich, wie ihm Milizen bei einer friedlichen Demonstration gezielt ins Gesicht geschossen hätten.
Gabriel zeigte sich im übrigen überzeugt, dass die Ampel-Regierung bis zum Ende 2025 weiterregieren werde. Das Risiko, den Weg in die Opposition nehmen zu müssen, würden FDP und die Grünen sicher scheuen. „Und deswegen halten die auch zusammen und werden auch noch ein paar Dinge beschließen, da habe ich keine Sorge.“
Aber dennoch muss diese Regierung mehr Führung zeigen, mitten im Krieg, der gleich nebenan in der Ukraine geführt wird, das sich tapfer wehrt gegen den Eindringling aus Russland, ein Krieg mit vielen Toten und Verwüstungen, ein Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist, der uns viel Geld kosten wird, weil wir natürlich Kiew unterstützen gegen den Imperialisten aus Moskau. Das Problem Türkei und Erdogan kommt hinzu. Man mag das Wahlverhalten der Türken beklagen, es ist nicht zu ändern. Erdogan wird eher noch rücksichtsloser regieren als zuvor, noch mehr Oppositionelle und Journalisten werden die Gefängnisse füllen, während der Machthaber in Ankara über seine Kritiker im Westen lachen wird. Dabei ist sein Land in keinem guten Zustand, wirtschaftlich befindet sich die Türkei auf der Talfahrt, die Folgen des verheerenden Erdbebens sind längst nicht gemeistert. Bundeskanzler Scholz hat Erdogan zum Wahlsieg gratuliert und ihn nach Berlin eingeladen. So ist Realpolitik, so war sie immer. Man kann nur hoffen, dass Scholz mit Erdogan klare Worte spricht, kritisiert, was sein muss. Es klingt wie Hohn, aber der Mann hat uns in der Hand wegen Millionen Syrien-Flüchtlingen, die in der Türkei sind. Der Westen zahlt dafür, auch Berlin. So ist das. Es stimmt ja, gemessen an den Problemen in der Welt sind die Sorgen hier fast eine Nebensache.