Alltag im Iran. 2022/23. „Ihr letzter Anruf ging an ihre Mutter. Sie sei auf dem Weg nach Hause, sagte Ayda Rostami am Abend des 12. Dezember am Telefon. Ayda hatte gerade ihre Schicht im Krankenhaus beendet. Die 36jährige Ärztin arbeitete als Allgemeinmedizinerin in einem Teheraner Krankenhaus. Das war ihre reguläre Arbeit; doch mit den Protesten hatte sich Rostamis Leben geändert. ..Sie versorgte(nach der Arbeit, heimlich) Menschen, die bei den Protesten verletzt wurden und medizinische Hilfe brauchten. Denn in Kliniken gehen die Verletzten schon lange nicht mehr. Dort droht ihnen Verhaftung oder Schlimmeres… Also ging Rostami abends und nachts in die Häuser und Wohnungen dieser Menschen und behandelte sie“. So schildert Gilda Sahebi in ihrem bewegenden, ja aufrüttelnden Buch „Unser Schwert ist Liebe“ das Leben der Ärztin Ayda Rostami, deren Engagement für Menschen, die bei Protesten verletzt wurden, aufgedeckt oder die verpfiffen wurde von Freunden des Mullah-Regimes. Und die am 12. Dezember, dem Tag, als sie mit ihrer Mutter telefonierte, verschwand.
Tags darauf klingelte es an der Haustür der Familie. „Die Polizei stand da mit der Leiche von Ayda Rostami vor der Tür. Erst sagte die Polizei der Familie, sie habe einen Unfall gehabt. Kurz darauf änderte sich die Story: Sie sei von der Brücke gefallen. Danach berichteten die Staatsmedien: Sie sei erst von einem Mann angegriffen worden und dann von einer Brücke gefallen“. Der Grund all dieser erbärmlichen Korrekturen. „Ayda Rostamis Körper trug eindeutige Spuren von massiver Gewalt. Ihr Gesicht war zerschmettert, ihr Arm gebrochen, sie muss starke Schläge auf den Kopf erhalten haben“. Schreibt Gilda Sahebi. „Sie starb, weil sie Menschen behandelt hatte. Weil sie ihren Beruf als Ärztin ausgeübt hatte“. Gilda Sahebi hat ihr Buch „Für die Menschen im Iran geschrieben“, damit die Welt erfährt, mit welchem Regime man zusammenarbeitet. Die feministische Revolte im Iran, so der Untertitel des Werkes, wird sich so leicht nicht niederschlagen lassen, nicht mit Gewehren, nicht mit Fäusten und auch nicht mit Lügen der Regierenden, mit denen sie ihre Morde an ihren Landsfrauen und -männern verdecken will.
Revolutionsgarden-Basis des Regimes
Alltag im Iran unter einer der schlimmsten Diktaturen auf der Welt, dem Mullah-Regime, das 1979 das nicht minder schlimme Regime des Schah abgelöst hatte. Ein Alltag, der bestimmt wird von den Helfern der Diktatoren, den sogenannten Revolutionsgarden, der Basis der Diktatur. Von Männern, die machen, was sie wollen, mit Frauen und Männern, mit Kindern. Sie verprügeln sie, vergewaltigen sie, stecken sie in irgendeines der Gefängnisse, wo sie der Willkür der Wärter ausgesetzt sind, sie hängen sie auf oder an einen Laternenpfahl, als Warnung. Sie wollen die Protestbewegung, die längst das ganze Land erfasst hat, im Keim ersticken, aber die Frauen zeigen Mut und gehen weiter auf die Straße, ohne Kopftuch. Es ist längst eine Revolution geworden, die Frauen und Männer auf den Straßen wollen das Mullah-Regime weghaben. Sie wollen Freiheit für sich, für das Land.
Alles begann mit dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September letzten Jahres. Das Regime aber, das für den Tod von Amini verantwortlich ist, will sie das Volk, die Welt belügen, es so darstellen, als wenn Jina Amini eines natürlichen Todes gestorben sei, als wenn sie nicht ermordet worden sei im Gefängnis. Auf der Webseite der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA ließen die Mullahs ein Video veröffentlichen mit einem Text, in dem es hieß, Amini habe ein „Herzproblem“ gehabt. Es habe mit ihr „keine physische Begegnung“ gegeben. Dann folgen Hinweise, es seien „anti-iranische Medien und amerikanische Beamte“, die behaupteten, dass Jina Amini „durch Schläge“ getötet worden sei. Und sie betonen dazu, dass in den USA jedes Jahr „Hunderte von Menschen in Amerika durch Schläge sterben.“
Ausreden und Lügen
Sahebi beschreibt den Umgang des Regime mit den eigenhändig vorgenommenen Morden, die Ausreden, die Lügen, die draußen im Volk keiner glaube. Medizinerinnen und Mediziner müssten diese Narrative bestätigen. Viele von ihnen weigerten sich. So habe ein hoher medizinischer Vertreter, Dr. Hossein Karampour, nach dem Tod von Jini Amini einen Brief an den Präsidenten des Iranischen Medizinischen Rates geschrieben und sich darin auf Fotos der jungen Kurdin, im Koma liegend, bezogen. Aus einem Ohr dringe Blut. Diese Symptome „passen nicht zu den Gründen, den manche Behörden als Todesursache angeben, es sei ein Herzinfarkt gewesen.“ Das Bild der Sterbenden habe eindeutig Symptome gezeigt, „die mit einer Kopfverletzung und daraus resultierenden Blutungen assoziiert sind.“ Er forderte den Präsidenten auf, „mutig und ehrlich zu handeln, um die Wahrheit zu enthüllen“. Das Regime aber bleibt bei seiner Lüge.
Als wir von ein paar Jahren eine Rundreise durch den Iran machten, sahen und erlebten wir Ansätze eines freieren Lebens, begegneten uns täglich junge Frauen, die ihr buntes Kopftuch als eine Art Schmuck trugen und dabei ihre Haarpracht zeigten. Sie waren geschminkt und sprachen uns an, damit wir Fotos machten. Sie erkannten uns schnell als Deutsche und baten uns, wieder zu kommen. Es waren Augenblicke, die Freude machten. Aber Kenner des Landes, die in Teheran wohnten, wiesen daraufhin, man solle sich nicht täuschen. Die Mullahs würden das alles sehr genau beobachten und irgendwann zuschlagen. Und als wir nach den Revolutionsgarden fragten, wurde uns erklärt, die seien weiterhin da, nur nicht zu sehen. Man solle sich in Acht nehmen. Wie Recht sie hatten. Leider!
Europa verrät seine Werte
Gilda Sahebi klagt in ihrem Buch Europa an, auch Deutschland, die eigenen Werte zu verraten, indem es Geschäfte mit dem Terrorregime mache. „Europäische Werte sind es, einem iranischen Regime, das die eigenen Kinder tötet, die Jugend des Landes verfolgt, verhaftet und misshandelt, Menschen auf den Straßen erschießt und sie in Schauprozessen aburteilt und erhängt- kurz: dass massivste Menschenrechtsverletzungen begeht, zuzuschauen. Nichts zu tun. Ein paar Sanktiönchen zu beschließen, von denen die Politikerinnen und Politiker selbst zugeben, dass sie nichts bewirken. Wer nichts tut, stellt sich auf die Seite der Angreifer.“
Am Ende des Buchs veröffentlicht Gilda Sahebi eine Liste der Todesopfer. Sie beginnt mit „Jina Mahsa Amini(22), + 16.9.22, Teheran, in Haft gestorben. Und die Liste schließt mit der Nummer „489 Afshin Shahamat + unbekannt, Teheran. Todesursache ungeklärt.“ Dazwischen sind die anderen Opfer: erschossen, erschlagen, Folter, körperliche Misshandlung, hingerichtet, mutmaßlicher Mord als Suizid kaschiert. „Diese Liste ist, das kann ich wohl sicher sagen, nicht vollständig“. Schreibt Gilda Sahebi. Das Buch ist eine Demaskierung der Islamischen Republik. Niemand wird mehr sagen können, er habe nichts gewusst. „Angesichts der Brutalität des Regimes und der entfesselten Gewalt lässt sich die Appeasement-Politik der EU und der deutschen Bundesregierung gegenüber der Weltöffentlichkeit immer schwerer legitimieren“. Kritisiert Gilda Sahebi. Ein tolles Buch.