Womit fängt man an bei diesem schwierigen Thema? Krieg Russlands gegen die Ukraine. Krieg, das ist ja keine Unterhaltung am Kamin, da geht es um Tod, Zerstörung, Menschenrechtsverletzungen übelster Art. Krieg in Europa, nur ein paar Hundert Kilometer ostwärts von Berlin. Einen Krieg, den wir fast für unmöglich gehalten hatten nach den schlimmen Erfahrungen zweier Weltkriege. Zig Millionen Tote müssten doch eigentlich Warnung genug sein. Ja, die Einschätzung von Putin war falsch, man, wir alle, Politik, Wirtschaft, Medien hatten ihn anders eingeschätzt. Kritiker sprachen deshalb vorwurfsvoll von Putin-Verstehern, weil sie sich, wir uns den russischen Präsidenten schön geredet hätten, um nicht an einen Krieg, seinen Krieg gegen die Ukraine zu glauben. Namentlich die SPD wurde hier genannt, allen voran Gerhard Schröder, der Putin-Freund, der den Russen mit dem Lob adelte, er sei ein lupenreiner Demokrat. Vielleicht wollte Schröder seinen Freund dahin bringen. Aber auch Angela Merkel(CDU) hatte mal einen Draht zu Putin, beide sprechen deutsch und russisch fließend. Die guten Geschäfte mit Russland wurden von der Wirtschaft gewürdigt, Moskau sei verlässlich. Russisches Gas war billig, jeder profitierte davon. Nord-Stream 2, die Gaspipeline.( vor der Osteuropa warnte.) Die Rede war von der Friedensdividende. Kein Krieg mehr, ewiger Frieden. Naive Welt, oder?
Bis sich etwas änderte. Durch Obamas abschätziges Urteil über Russland(Regionalmacht)? Die Nato-Osterweiterung? Gedankenspiele über die mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine? Putins Sorge vor der Einkreisung Russlands durch die westliche Allianz? Oder doch Putins Großmacht-Traum? Groß-Russland? Zar Putin? 2001 hatte derselbe Putin fast alle Abgeordneten des Bundestages mit seiner Rede im Reichstag fasziniert und Standing Ovations erhalten. Aber irgendwann endete der Glaube an den Demokraten und Menschenfreund Putin. Am 13. Februar 2022 rief Frank-Walter Steinmeier nach seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten dem Herrscher im Kreml unmissverständlich zu: „Präsident Putin, lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine.“ Da waren die russischen Truppen mitsamt militärischem Gerät entlang der Grenze zur Ukraine längst aufmarschiert, dass es einem Angst und Bange werden konnte. Zwei Tage später war der neue Bundeskanzler Olaf Scholz(SPD) zu Besuch in Moskau. Der BND hatte Scholz unterrichtet, dass die Vorbereitungen für eine Invasion der Russen in die Ukraine abgeschlossen seien. Putin ließ Scholz im Unklaren. Es könnte losgehen mit dem Krieg oder auch nicht, noch nicht, hoffte man in Berlin, anders als in den Metropolen Osteuropas, wo man die Russen kennengelernt hatte als die alles beherrschende Macht in der UdSSR, wo man Zweifel hegte, Angst vor Putin bis heute hat.
Auflösung der Sowjetunion
Wladimir Putin hielt am 21. Februar eine Rede an die Nation. Und in dieser Rede machte der Diktator der Welt klar, dass er die Ukraine als selbständigen Staat nicht anerkennen würde. „Sie ist integraler Bestandteil unserer eigenen Geschichte, unserer Kultur, unseres geistigen Raums.“ Putin wirkte zornig, wütend. Jetzt wurde klar, dass er es schon vor Jahr und Tag ernst gemeint hatte mit seiner Klage darüber, die Auflösung der Sowjetunion sei für ihn die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen. Das hatte man noch als Enttäuschung Putins eingestuft, die aber nicht zu ändern sei. Meinte man im Westen sich selbst beruhigend, weil man nicht für möglich hielt, dass der russische Präsident Grenzen in Europa mit Gewalt verschieben wollte. Putin dachte aber an Revision. Dass die Ukraine sich in einer Volksabstimmung Anfang der 90er Jahre für ihre Selbständigkeit entschieden hatte, kümmerte ihn nicht. Verträge hin oder her. Jahrzehnte später schrieb er in einem Referat, die Ukraine und Belarus seien schon zu Zeiten des Zaren „in der großen russischen Nation aufgegangen.“ Er sprach beiden Ländern das Recht auf Eigenständigkeit ab.
Mit dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion- das erlebte Putin hautnah- begann der Abstieg der einstigen Weltmacht. Ob der Westen und die Europäer die Schwäche Russlands ausgenutzt haben, wie Putin mehrfach behauptet hat, steht dahin. Klar ist aber, dass dieses Problem den Westen nicht sehr beschäftigte. Ihn und uns interessierte der Fall der Mauer, die Auflösung der DDR, die deutsche Einheit, die Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika möglich machte. Was hier bei uns gefeiert wurde, empfanden viele Menschen zwischen Sankt Petersburg, Moskau und Wladiwostok als Trauma. Denn die Anfänge von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft und Liberalität schlugen bald um in ein Chaos. Einer wie Putin sah und sieht bis heute darin eine Niederlage seines großen und heiligen Russlands, zumal viele einstige Mitgliedsstaaten im Warschauer Block ihre Unabhängigkeit feierten wie Polen, die Tschechen, das Baltikum. „Niemand hilft Russland- außer uns selbst“, habe ich ihn irgendwo zitiert gelesen.
Putin sei entschlossen, „das Imperium wieder zu errichten“, warnte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Kaum jemand nahm den Satz des Polen ernst, auch nicht, als Putin 2014 die Krim annektieren ließ. Einer wie Egon Bahr meinte dazu: „Putin schafft damit Fakten“. Bahr ist kein Politik-Träumer, er hat stets die Realitäten im Auge gehabt und die sagten ihm, die Großmächte seien nur an der Wahrung ihrer jeweiligen Interessen interessiert. Wörtlich sagte Bahr, der mit Willy Brandt Architekt der Entspannungspolitik war:“ In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.“ Ich erinnere mich an einen Satz von Michail Gorbatschow, der auf eine Frage von Willy Brandt, was sein Wunsch an den Westen sei, geantwortet hat: Dass der Westen auch an die Interessen Russlands denkt.
Wer Täter und wer Opfer ist
Am 24. Februar 2022 begann der Überfall Russlands auf die Ukraine. Ein Jahr des täglichen Mordens und Zerstörens liegt hinter uns, ein Jahr großer wirtschaftlicher Veränderungen, ja Verwerfungen mit hohen Kosten und Belastungen, ein Jahr, in dem Putins Truppen den Menschen in der Ukraine das Leben zur Hölle machten, er ihre Häuser zerbomben, ihre Krankenhäuser, ihre Infrastruktur zerstören ließ und gleichzeitig das eigene russische Volk mit einer Propaganda überzog, in der er behauptete, die Spezialoperation sei nötig gewesen, um ukrainische Nazis zu bekämpfen. Er, der einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Nachbarn führen lässt, belügt die Russen und lässt sie im Irrglauben, der Krieg werde gegen den bösen Westen geführt, gegen Amerika, das Russland zerstören wolle. Ob sein Kalkül aufgeht oder die Russen, die Frauen, die Witwen, die ihre Männer, Söhne, Großväter im Krieg verloren haben, irgendwann die Frage stellen: Wer hat diesen Krieg vom Zaun gebrochen? Wer ist Schuld daran, dass Hunderttausende von Soldaten gefallen sind? Wann werden die Russen in der Heimat erfahren, welche Verbrechen ihre Soldaten begangen haben? Dass sie Frauen vergewaltigt, Ukrainer gefoltert haben? Vieles ist dokumentiert und wird irgendwann auch in russische Köpfe gelangen. Die Frage, wer Täter ist und wer Opfer, ist geklärt.
Putin wollte einen Blitzkrieg führen und gewinnen. Da hat er sich getäuscht in der Beurteilung der Moral der Ukrainer. Sie leisten heldenhaft Widerstand, drängen russische Verbände zurück. Der Westen hilft mit Geld und Waffen aller Art, ohne die Moskau den Krieg längst gewonnen hätte. „Putin darf den Krieg nicht gewinnen“, hat Bundeskanzler Scholz gesagt und von der Zeitenwende gesprochen. Die über Jahre vernachlässigte Bundeswehr wird generalüberholt, das wird teuer werden. 100 Milliarden Euro Sondervermögen wird geschaffen, der Wehretat aufgestockt, Waffen erneuert, Panzer instandgesetzt. Geld, das ist wahr, das man besser für Soziales und Kinder und Schulen einsetzen könnte. Putins Krieg erfordert ein Umdenken. Um den Aggressor zu stoppen, damit er nicht glaubt, weitere Länder überfallen zu können wie zum Beispiel das Baltikum. Der Westen steht parat, entschlossen, für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Putin weiß, dass er sich verschätzt hat, dass von Kriegsmüdigkeit im verwöhnten Westen nichts zu spüren ist.
Dieser Krieg kann dauern. Es liegt an Putin, ihn zu beenden. Niemand weiß, ob das mächtige China dabei eine Rolle spielen wird. Im Sinne von Moskau? Der Frieden ist der Ernstfall, hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann einst gesagt. Damals in Friedenszeiten. Jetzt ist der Ernstfall da. Wir brauchen Friedensstifter, die für einen Waffenstillstand werben, die für eine diplomatische Offensive eintreten. Das ist keine Parteiname für Putin und gegen Selenskjy, Friedensstifter sind auch keine Putinversteher. Damit werden nicht die Interessen der Ukraine unterlaufen, nein, es soll damit weiterer Schaden von dem geschundenen Land abgewendet und Menschenleben gerettet werden. Dazu muss man mit Putin reden, auch wenn es schwerfällt. Noch einmal sei an Gorbatschow erinnert. Der plädierte damals, vor über 30 Jahren, für „Abrüstung statt ewiger Aufrüstung“. Und er hat mitgeholfen, sie durchzusetzen. Er hatte den Mut zum ersten Schritt, weil er begriffen hatte, was „Feindesliebe“ bedeutet. Sich in die Lage des anderen zu versetzen. Der Philosoph Jürgen Habermas hat recht, wenn er-wie kürzlich in seinem Beitrag für die „Süddeutsche Zeitung“- „aus näherliegenden Gründen wie der Erschöpfung von personellen -Reserven“ ableitet, es „drängt die Zeit zu Verhandlungen.“