Vorbemerkung: Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat für den Blog-der-Republik eine Einleitung zum neuen Grundsatzpapier der SPD zur Außen- und Sicherheitspolitik geschrieben, das wir hier veröffentlichen. Im Anhang finden Sie dann das Papier, das nunmehr in der SPD diskutiert werden soll.
Unsere Welt ist im Umbruch. Dafür braucht es neue Antworten auf außen- und sicherheitspolitische Fragen. Als Parteivorsitzender habe ich deshalb die Aufgabe übernommen, die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD neu aufzustellen. In der von mir geleiteten Kommission Internationale Politik haben wir in den letzten 12 Monaten grundlegende Antworten erarbeitet und zu einem Positionspapier zusammengefasst. Jetzt wird es in der Partei eine intensive Debatte darüber geben. Auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember dieses Jahres wollen wir dann einen Beschluss zur außen- und sicherheitspolitischen Neuaufstellung unserer Partei fassen.
Die Arbeit in der Kommission war ein sehr ernsthafter und nachhaltiger Prozess, in dem wir auch intensive Debatten mit Externen geführt und verschiedene Perspektiven aus Partei, Bundestagsfraktion und Regierung einbezogen haben. Insgesamt haben wir alle beteiligt, die sich mit Außen- und Sicherheitspolitik in der SPD befassen.
Mir ist wichtig, dass wir ein selbstbewusstes Positionspapier vorlegen, das die Stärke sozialdemokratischer internationaler Politik aufzeigt und die Erfolge der Vergangenheit klar benennt. Gleichzeitig sprechen wir aber auch Fehler an und zeigen Handlungslinien für die Zukunft auf. Unsere Handlungsmöglichkeiten als Partei sind nicht auf die Regierungspolitik begrenzt. Wir werden deshalb unser historisch gewachsenes Netzwerk an Schwesterparteien in Europa und weltweit nutzen, um auf internationaler Ebene eine progressive, an unseren Werten ausgerichtete Politik, voranzutreiben.
Selbstverständlich geht dieses Positionspapier nicht auf alle globalen Krisen ein und deckt nicht alle Handlungsfelder ab. Wir haben uns bewusst auf Umbrüche fokussiert, die die Zeitenwende, also der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, verursacht hat. Es geht um unser Verhältnis zu Russland, zu China, zu den USA, um Europa und um eine starke Rolle Deutschlands in der Welt.
Einige grundsätzliche Anmerkungen:
- Der Dreiklang von Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik ist und bleibt der Grundpfeiler sozialdemokratischer internationaler Politik. Globale Herausforderungen lassen sich nicht im Gegeneinander, sondern nur im Miteinander lösen. Wir brauchen mehr Kooperation, mehr Multilateralismus, mehr gemeinsame Institutionen und Abkommen.
- Wir wollen eine starke Führungsrolle einnehmen. Viele Staaten in der Welt haben hohe Erwartungen an Deutschland. Sie sehen in uns einen Partner, um Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu schaffen. Deshalb ist es Zeit, dass wir mehr Verantwortung übernehmen und Führung zeigen, um diese Ziele zu erreichen. Führung bedeutet aber nicht, dass sich Deutschland über andere hinwegsetzt. Ein kooperativer Führungsstil ist ein moderner Führungsstil und die Antwort auf eine Welt im Umbruch.
- Zu einer strategischen Außen- und Sicherheitspolitik gehört das Denken in Szenarien. Wir müssen Trends frühzeitig erkennen und mögliche Handlungsoptionen aufzeigen. Diesen Ansatz wollen wir strukturell verankern.
- Unsere eigene Stärke ist eine Grundvoraussetzung für Frieden und den Einsatz für eine regelbasierte Ordnung. Zur eigenen Stärke Deutschlands und Europas gehören starke Institutionen sowie eine resiliente Wirtschaft und Gesellschaft. Das sind Grundvoraussetzungen für erfolgreiche Diplomatie, für wirksame Klimapolitik, den Schutz von Menschenrechten und Friedensinitiativen. Die eigene Stärke definiert sich aber auch über militärische Fähigkeiten, die das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen glaubhaft absichern.
- Ein souveränes Europa ist die wichtigste politische Antwort auf die Zeitenwende. Europa muss seine Rolle als geopolitischer Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investieren. Es gilt, die europäische Säule in der NATO zu stärken und dabei die Sicherheitsinteressen unserer Partner in Ost- und Mitteleuropa ernst zu nehmen. Ein starkes Europa treibt eine neue Innovations- und Wirtschaftsagenda voran, die uns an die Spitze des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts und den Kampf gegen die Klimakrise setzt. Wir müssen die Zeitenwende dafür nutzen, mit Reformvorhaben in der Europäischen Union voranzukommen. Für ein starkes Europa muss Deutschland Führung übernehmen.
- Wir müssen in strategische Partnerschaften mit Ländern investieren, die uns nahestehen. Die Welt teilt sich in Machtzentren auf, die eine eigene Attraktivität entwickeln und um Einfluss konkurrieren. Besonders Länder des globalen Südens fordern eine stärkere Rolle. Diese neue Ordnung ist viel flexibler und dynamischer als bisher, Verhandlungen und Partnerschaften spielen eine viel prägendere Rolle. Deshalb ist es essenziell, dass wir Partnerschaften strategisch auf- und ausbauen, um unsere Interessen und Werte auf internationaler Ebene zu fördern. Gerade in Konkurrenz zu China und Russland, die andere Werte und Ziele verfolgen, ist es wichtig, dass Europa Kooperationsangebote macht, die attraktiv und nachhaltig sind. Eine Partnerschaftspolitik darf sich aber nicht nur auf Demokratien beschränken, sondern wir müssen Gesprächskanäle auch zu schwierigen Partnern offenhalten.
- Unser Verhältnis zu China müssen wir neu bewerten. Decoupling ist nicht die richtige Antwort auf die Entwicklungen in China. Es braucht eine europäische Resilienzstrategie, die Risiken verringert – auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur in Europa. Außerdem geht es um die Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen, um wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu minimieren. Europa darf sich von China nicht auseinanderdividieren lassen.
- Auch unser Verhältnis zu Russland muss neugestaltet werden. Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen. Wir werden mit den EU-Mitgliedsstaaten aus Mittel- und Osteuropa eine gemeinsame europäische Ostpolitik der Europäischen Union entwickeln, die den Sicherheitsinteressen und Entwicklungschancen aller Staaten Rechnung trägt. Deutschland ist in der Verantwortung, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
- Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Schwachstelle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen offenbart. Seine Struktur reflektiert noch die Nachkriegsordnung einer bipolaren Welt. Das Veto eines Ständigen Mitglieds verhindert jede Resolution, die friedensstiftende Maßnahmen einleiten würde. So, wie der Sicherheitsrat zurzeit arbeitet, kann er seiner Hauptaufgabe, Friedenssicherung und Friedensschaffung zu fördern, nicht gerecht werden. Die deutsche Bewerbung um einen Sitz im Sicherheitsrat im Jahr 2027 wollen wir zum Anlass nehmen, Abrüstungsinitiativen auf globaler Ebene wieder auf die Tagesordnung zu setzen.