Wer in die deutschen Medien schaut, zum Beispiel in die „Süddeutsche Zeitung“ oder das „Heute Journal“ gesehen und die von mir hochgeschätzte Marietta Slomka gehört hat, wie sie den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius vernahm, musste den Eindruck gewinnen, der deutsche Panzer Leopard 2 sei eine Art Wunderwaffe, die es den bedrängten Ukrainern erlauben würde, die Russen in die Flucht zu schlagen. Es geht nur noch um schwere Waffen, den Leo 1 oder 2, darunter ist nichts. Und da scheinen sich alle in der ARD, im ZDF in der SZ und im Spiegel und anderswo einig zu sein. Deutschland müsse liefern, der Kanzler Olaf Scholz seine Zögerlichkeit aufgeben. Wir, das Land würden international Schaden nehmen, wegen der Zurückhaltung von Scholz, wir, die Deutschen seien isoliert, Scholz säße in der Falle. Und so weiter.
Wer gegen diese Waffenlieferungen ist, wird gleich in die Ecke gestellt, ist mindestens ein Putin-Versteher oder hat keine Ahnung von Sicherheits- und Außenpolitik. Wobei ich seit Tagen nur noch darüber staune, wie vor allem die sogenannten Berliner Leitmedien gemeinsam mit den Strack-Zimmermanns, Dobrindts und den Grünen quasi auf den Leopards 2 sitzen und auf den Marschbefahl warten. Scholz müsse sich endlich bewegen, Ja sagen, weil alle anderen auch meinen, dass es so kommen müsse. Eilfertig sind sie alle, schneidig reden sie daher, als gäbe es einen guten und keinen bösen Krieg. Als ließe sich ein Krieg steuern wie ein Auto, das man beliebig anfahren und wieder anhalten und anschließend in die Garage stellen kann.
Friedens-Dividende
Ob Olaf Scholz kein Mitgefühl mit den bedrängten Ukrainern habe, wird gefragt. Nur, weil er umsichtig denkt und handelt in all den Waffen-Fragen seit Beginn des Krieges? Dass Deutschland nach den USA und Großbritannien der Ukraine am meisten hilft mit Waffen, Geld, politischer und moralischer Unterstützung, dass Deutschland Hunderttausende geflüchteter Ukrainer aufgenommen hat, geschenkt in diesen Kreisen. Gern wird an die SPD und deren angebliche imperiale Komplizenschaft mit Russland erinnert und so getan, als wäre nicht Angela Merkel 16 Jahre Kanzlerin gewesen, sondern ein Sozialdemokrat. Es wird gern vom Tisch gefegt, dass die ganze deutsche Gesellschaft, die Wirtschaft, die Industrie sehr gern Geschäfte mit Russland gemacht und die Vorteile des billigen russischen Gases genossen haben. Friedens-Dividende hieß das. Und zwar auch bei der CDU und der CSU. Man frage doch mal den Herrn Stoiber. Heute will es keiner gewesen sein, der damals gern Putin im Kreml besuchte. Welch Heuchelei! Wandel durch Annäherung, die berühmte Formel von Egon Bahr und Willy Brandt, Wandel durch Handel, machte die Wirtschaft daraus und frohlockte ob der Gewinne. Geld stinkt nicht, oder?
Dass Olaf Scholz immer wieder betont hat, er stimme sich mit den Partnern des Westens ab, mit den USA vor allem, aber auch mit Frankreich, wird erwähnt, aber ergänzt, dass seit längerem der Kanzler unter schwerem Druck der Verbündeten stehe. Wer immer das wem ins Ohr geflüstert hat, die Geschichte macht die Runde. Es geht gegen Scholz, den viele Medien ohnehin nie wollten, sie wollten die Grünen, Robert Habeck und Annalena Baerbock. Olaf Scholz argumentiert, dass er eine Eskalation verhindern wolle, man müsse aufpassen, dass sich kein Flächenbrand entwickele, der das übrige Europa in Brand setze, dass daraus ein Dritter Weltkrieg würde. Kein Thema?
Die Deutschen haben Angst vor dem Krieg
Ja, die Mehrheit der Deutschen teile die Zurückhaltung des Kanzlers, habe Angst vor einem Krieg. Das ist doch verständlich, wenn man bedenkt, dass Russland Atommacht ist und jederzeit in der Lage wäre, Atomwaffen Richtung Ukraine, Polen und Deutschland abzufeuern. Putin ist der Kriegstreiber, ja, unbestritten, dass er die Ukraine überfallen hat, ist mit nichts zu rechtfertigen. Dennoch hat der Krieg eine Vorgeschichte, an der der Westen beteiligt war. Man darf an die Jahre 1989/90 ff. erinnern, als Gorbatschow den Deutschen die Einheit schenkte, als die Mauer ohne einen Schuss fiel, die UdSSR aufgelöst wurde und Russland allein übrigblieb. Als davon die Rede war, die NATO werde keinen Schritt Richtung Osten tun. Was daraus geworden ist, wissen wir.
Eine Entwicklung, die Wladimir Putin später als seine größte Katastrophe bezeichnet hat. Man muss diese Ansicht des Kreml-Herrschers nicht teilen, aber zur Kenntnis nehmen.
Die kalten Krieger sind unterwegs. An der Panzerfrage wird die deutsche Führungsrolle in Europa festgemacht. Was lächerlich wirkt. Der Kommentator der SZ sieht Scholz in der Falle, das zweite Mal sei die Falle zugeschnappt wegen der Zurückhaltung von Scholz beim Leopard 2. Öffentlich schweige er, was ihm viel Kritik einbringe. Der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums symbolisiere, wie wenig von dieser Zeitenwende bisher gelungen sei. „Würde die Leopard-Entscheidung in all ihrer Tragweite ehrlich und offen diskutiert, sie könnte das Land einen großen Schritt weiterbringen.“ Man darf an dieser Analyse zweifeln und eine andere Frage aufwerfen, die Michael Müller, SPD-Mitglied, früher Bundestagsabgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär, in einer Pressemitteilung für die Naturfreunde gestellt hat: „Erleben wir erneut einen Krieg der Schlafwandler?“ Müller warnt vor Entwicklungen wie im Ersten Weltkrieg und fordert von Bundeskanzler Olaf Scholz eine europäische Friedensinitiative.
Müller schreibt weiter: Es verstärke sich der Eindruck, „als würde die Welt mehr und mehr in einen Großen Krieg hineinschlittern. Jeden Tag wird deutlicher, dass die Ukraine stellvertretend für die NATO und mit Waffen der NATO den Krieg führt.“ Damit sei eine Kriegsdynamik in Gang gekommen, die schlimm enden könne. „Stattdessen brauchen wir dringend eine neue Dynamik des Friedens“, fordert Müller.
Der Stellungs- und Zermürbungskrieg habe auf beiden Seiten nach Schätzungen jeweils 100000 Soldaten das Leben gekostet. „Dieses Ausbluten einer ganzen Generation ist so schrecklich wie gefährlich und nur Teilen der Öffentlichkeit bekannt“.
Kissinger warnt vor Eskalation
Man darf in diesem Zusammenhang an Worte des früheren US-Außenministers Henry Kissinger erinnern. Kissinger hat sich für Friedensgespräche ausgesprochen. In einer Video-Botschaft an das „World-Economic Forum“ plädierte er dafür, die Front entlang der Vorkriegslinien einzufrieren und im Gegenzug der Ukraine den NATO-Beitritt zu gewähren. Ein Vorschlag, der allen Beteiligten etwas abverlangt oder sogar wehtue, aber die Waffen zum Schweigen bringen würde. Es geht Kissinger darum, eine Eskalation des Krieges zu verhindern. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin äußerte sich in Davos zur Frage von Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland: „Es liegt an der Ukraine, das zu entscheiden. Wir sind nur dazu da, sie zu unterstützen.“ Finnland will Mitglied der NATO werden, „weil wir nie wieder Krieg in Finnland haben wollen“, sagte Marin und fügte hinzu: „Wir waren schon einmal im Krieg mit Russland.“
Russland darf den Krieg nicht gewinnen, hat Olaf Scholz betont. Das klingt anders wie andere, die Russland bezwingen, erniedrigen wollen. Eine Niederlage der Atommacht Russland? Noch einmal Michael Müller, SPD: „Das Interesse Kerneuropas muss vor dem Hintergrund zweier schrecklicher Weltkriege eine Friedensinitiative sein. Russland kann nicht von der Weltkarte eliminiert werden. Um so wichtiger ist es, neue Wege der Verständigung zu finden.“