Europa verfolgt gebannt die fieberhafte Reisediplomatie, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande die Krise in der Ostukraine, die im Grunde längst ein Krieg ist, quasi in letzter Minute zu beenden oder zumindest eine Lösung zu finden, die die Waffen zum Schweigen bringen kann, damit ernsthafte Verhandlungen möglich sind.
Die Gespräche in Kiew und dann in Moskau werden mit bangen Hoffnungen begleitet. Die Nerven in Europas Regierungszentralen sind angespannt, weil man nicht weiß, ob Russlands Präsident Putin einlenken wird. Die überraschenden Flüge von Merkel und Hollande nach Kiew und Moskau machen deutlich, wie gefährlich die Situation eingeschätzt wird, wie hoch die Risiken für ganz Europa sind, falls die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Moskau-treuen Separatisten und den Soldaten der Ukraine nicht beendet werden können. Über die möglichen Kompromisse kann nur gerätselt werden, wir können darüber spekulieren, was für die Ukraine und was für Russland tragbar ist, wir können mutmaßen, was Merkel und Hollande im Gepäck haben, um beide Seiten dazu zu bringen, mit dem Schießen, mit dem Töten aufzuhören.
Allein die Bilder der verängstigten Menschen im Krisengebiet, die mitten im eiskalten Winter ihre spärlichen Behausungen kaum heizen können, lassen einen erschrecken ob des Schicksals dieser Menschen, die ohnehin nicht viel haben. Dazu die Bilder des völlig zerstörten und immer noch umkämpften Flughafens Donezk, der einst für die Fußball-Europameisterschaft 2012 neu errichtet worden war. Hangars, Terminals, Tower, Parkhäuser, alles ist zerschossen, zertrümmert durch Maschinengewehrkugeln, durch Granaten. Welches Ausmaß der Zerstörungen! Machen wir uns nichts vor. Die Ukraine liegt näher an Deutschland, als man glaubt. Die Schüsse dort sind auch hier zu hören, der Krieg dort geht uns schon längst an. Rest-Europa muss aufpassen, dass es nicht angesteckt wird von dieser Krise, dass sie nicht übergreift auf Polen, die baltischen Staaten, auf Deutschland, auf ganz Europa.
Der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe ist ein Signal an Moskau: Seht her, wir stehen Gewehr bei Fuß, um die Rechte unserer Mitgliedsstaaten zu wahren. Der Bündnisfall, in der Vergangenheit oft genug gewürdigt als Garantie für die Staaten Europas, jeden Angriff eines Aggressors abzuwehren. Nun rückt der Ernstfall näher. Aber Vorsicht ist geboten. Ein Krieg kann schnell angefangen werden, aber ihn zu beenden ist oft das Problem. Bedenke das Ende! Im letzten Jahr wurde oft mahnend auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 hingewiesen, 100 Jahre sind seitdem vergangen. Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg, 70 Jahre werden es her sein, wenn wir dieses Datums in wenigen Monaten gedenken. Aus Anlass des Todes von Bundespräsident Richard von Weizsäcker wurde an dessen Rede am 8. Mai 1986 erinnert, 40 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Nazi-Terror durch die Alliierten. Europa hat eine Pflicht, angesichts dieser mörderischen Auseinandersetzungen, denen Zig-Millionen Menschen in aller Welt zum Opfer fielen-allein in Russland waren es im 2. Weltkrieg 27 Millionen Tote- alles zu tun, damit sich das nicht wiederholt.
Russland ist Teil von Europa, wie die Ukraine, wie Polen und all die anderen Länder. Die Sanktionen wegen der Annexion der Krim durch Moskau haben Russland zugesetzt und werden das Riesen-Reich weiter schwächen. Aber diese Sanktionen haben bisher nicht den Frieden herbeigeführt, sie haben Moskau nicht zum Einlenken bewegen können, sie haben, wenn das gewollt war, Putin nicht klein gekriegt. Mehr noch, sie haben die Gräben vertieft. Europa muss mit Putin, mit Russland und mit der Ukraine einen gemeinsamen Weg finden, der dem Frieden dient. Der Krieg kann nicht, er darf nicht der Ausweg aus dieser schweren Krise sein, ein Krieg tötet und zerstört, ein Krieg schürt den Hass zwischen den Völkern. Es gilt das Wort des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann: Der Friede ist der Ernstfall.