Philomena Franz wurde 100 Jahre alt. Als deutsche Sinteza wurde sie von den Nazis verfolgt, viele ihrer Angehörigen wurden umgebracht, sie überlebte mit Glück das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem allein eine Million Menschen getötet worden waren, im Mai 1944 wurde sie ins KZ Ravensbrück verlegt und entging damit der Vernichtungsaktion vom 2. August 1944 in Auschwitz, bei der die letzten 4300 Häftlinge des sogenannten „Zigeunerlagers“ ermordet wurden. 1945, kurz vor Kriegsende, gelang ihr die Flucht aus einem Lager bei Wittenberge, das Leben rettete ihr ein deutscher Bauer, der sie versteckte. Hätte die SS das entdeckt, wäre der Bauer erschossen worden. Ein wahrer mir und vielen unbekannter Held. Am 28. Dezember starb Philomena Franz in Rösrath bei Köln. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, würdigte Philomena Franz :“ Ihrem Wirken um Versöhnung und Verständigung gehört unser aller Respekt.“ Sie habe ihre Stimme zeitlebens „für ein friedliches, gemeinsames Zusammenleben erhoben. Ich wünsche mir, dass ihre Stimme noch lange nachwirken wird.“
Trotz aller Verbrechen und Diskriminierungen hat diese Frau uns über Jahre die Hand gereicht zur Versöhnung. Gerade ihr Volk hat viel erdulden und erleiden müssen und muss noch heute mit vielen Vorurteilen leben. Rund eine halbe Million Sinti und Roma wurden während der Nazi-Herrschaft in Europa ermordet, 500000. Die Zahl schwankt zwischen 200000 und 500000, was damit zu tun hat, dass die SS Sinti und Roma gleich in dem Ort, in dem sie lebten, umbrachten. Das geschah vielfach so, dass die SS das Dorf umstellte, die Sinti und Roma selektierte und dann vor ausgehobenen Gruben erschoss. Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes. Die Nazis konnten mit den Sinti und Roma machen, was sie wollten, sie waren im Grunde rechtlos, ihnen war die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, sie durften nicht arbeiten, ihre Kinder waren von der Schule ausgeschlossen, die Jugendlichen kriegten keine Lehre. Widerstand in der übrigen Bevölkerung war nicht zu erwarten, da gegen Sinti und Roma mehr als Vorurteile vorherrschten.
Vor Hitlers Machtübernahme
Einzuräumen ist, dass bereits vor 1933, vor der Machtübernahme Hitlers, es eine lange Tradition der Ausgrenzung der Sinti und Roma gab. Das Feindbild „Zigeuner“ saß tief. Einige Sonderrechte für Sinti und Roma schränkten sie schon in der Weimarer Republik beruflich und bewegungsmäßig stark ein. Daran konnten die Nazis im Grunde anknüpfen, sie spitzten aber den „Aussonderungsprozess“ von der gesetzlichen Verfolgung über die Gettoisierung in Lagern, Deportationen u.a. ins Generalgouvernement Polen und nach Auschwitz, bis hin zur Vernichtung zu.
Und doch fand dieser Völkermord viele Jahre keine Anerkennung, obwohl sie nachgewiesenermaßen in Auschwitz getötet wurden, sie in Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern der täglichen Gewalt zum Opfer gefallen waren und die Nazis und ihre Mittäter sie hatten verhungern und an Krankheiten sterben lassen. Der berüchtigte Arzt Mengele hatte an ihren Kindern schlimme Versuche gemacht, sie waren als ZwangsarbeiterInnen ausgebeutet worden, die Frauen hatte man sterilisiert, weil man verhindern wollte, dass sie sich weiter fortpflanzen konnten. Erst 1982 erkannte die Bundesregierung unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt(SPD) den Völkermord an den Sinti und Roma an. Schmidt erklärte: „Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassistischen Gründen verfolgt. Viele von ihnen wurden ermordet. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.“
Das war für den kurz zuvor erst gegründeten Zentralrat der Sinti und Roma eine Zäsur, wie der heute noch amtierende Vorsitzende Romani Rose betonte. Denn bis zu diesem Zeitpunkt wurden den Überlebenden die moralische Anerkennung als Opfer der NS-Rassenpolitik und mögliche Ansprüche auf Entschädigung verweigert. Übrigens gibt es in der Nähe von Reichstag und Brandenburger Tor seit 2008 ein Denkmal, das an das Schicksal der Sinti und Roma während der NS-Zeit erinnert.
Nur wenige überlebten
Nur wenige überlebten, wie Philomena Franz. Sie stammte aus Biberach an der Riß, eine Kreisstadt im nördlichen Oberschwaben. Ihre Familie war eine Musikerfamilie, das Streichquartett, in dem ihr Großvater Johannes Haag Cello spielte, hatte 1906 als Sieger eines internationalen Wettbewerbs die „Goldene Rose“ aus der Hand des württembergischen Königs Wilhelm II erhalten. Die Familie war also in dem Ort anerkannt. Dann folgte im Oktober 1939 Himmlers „Festschreibungserlass“ . Die Familie von Philomena Franz wurde erkennungsdienstlich erfasst und durfte ihren Wohnort nicht mehr verlassen. Wie alle anderen Sinti und Roma im Reich auch. 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert, 1944 nach Ravensbrück, es folgte die schon geschilderte Flucht und das Versteck bei einem Bauern.
Philomena Franz war eine der glücklichen Sinti und Roma, die das Grauen überlebten. In den 1970er Jahren begann Frau Franz ihr Engagement als Zeitzeugin, auch auf Grund der anhaltenden Diskriminierungserfahrungen und vor dem Hintergrund der verweigerten Anerkennung der Völkermordverbrechen an den Sinti und Roma. Sie sprach an Schulen, Universitäten, trat in Talkshows auf und meldete sich in Radiosendungen zu Wort. Immer wieder berichtete sie über ihre schlimmen Erlebnisse und ihre Erfahrungen und warb für die Sache der Sinti und Roma.
An ihr Leben erinnerte der Zentralrat der Sinti und Roma. „Philomena Franz hat sich Zeit ihres Lebens für die gleichberechtigte Teilhabe unserer Menschen in diesem Land stark gemacht“, erklärte Romani Rose. „Durch ihr unermüdliches Wirken als Zeitzeugin und Bürgerrechtlerin hat sie im Hinblick auf unsere Minderheit die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte maßgeblich beeinflusst. Sie war eine der ersten, die über ihre Erlebnisse in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geschrieben und damit auch vielen eine Stimme gegeben hat. Sie hat sich nie mit der fehlenden Anerkennung des Unrechts an den Sinti und Roma abgefunden. Ihrem Wirken um Versöhnung und Verständigung gehört unser Respekt.“
Über ihre Erfahrungen in den Vernichtungslagern der Nazis schrieb Philomena Franz: „Ich bin ein Vogel, kann nicht fliegen. Man hat mir die Flügel gestutzt. Dies aufgreifend ergänzte Romani Rose, Philomena Franz seien durch ihre unermüdliche Arbeit für Versöhnung und ihre Stimme, die sie zeitlebens für ein friedliches Zusammenleben erhoben habe, wieder Flügel gewachsen. „Ich wünsche mir sehr, dass ihre Stimme noch lange nachwirken wird.“