Korruption ist eine Pest, Gift für die Demokratie, wie die deutsche Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, es formuliert. Deshalb ist es das Mindeste, dass die Vorwürfe restlos und rückhaltlos aufgeklärt werden. Mit der Glaubwürdigkeit des Europaparlaments steht viel auf dem Spiel, letztlich auch die Zukunft der Europäischen Union. Denn ohne den Rückhalt der Menschen kann das von inneren und äußeren Feinden attackierte Einigungswerk nicht überdauern.
Das Parlament hat entschlossen reagiert und die in Untersuchungshaft genommene Vizepräsidentin Eva Kaili abgesetzt. Die Mehrheit war – trotz Unschuldsvermutung – bei nur einer Gegenstimme überwältigend; die Vorwürfe und Indizien sind erdrückend. Die belgische Staatsanwaltschaft wirft Kaili und weiteren Verdächtigen neben Korruption auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Das Emirat Katar soll sich mit Geld und Geschenken europäische Akteure gefügig gemacht haben. Allein der Anschein, dass Entscheidungen der Europäischen Union käuflich sind, wäre fatal.
Entschlossenes Handeln ist wichtig; alle parlamentarischen Vorgänge mit Bezug zu Katar gehören auf den Prüfstand und laufende Verhandlungen sind zu stoppen. Damit darf es jedoch nicht getan sein. Nach den von der Justiz ermittelten kriminellen Machenschaften muss das Europaparlament mehr tun, um sich vor skrupellosen Verbrechern in den eigenen Reihen zu schützen.
Auf dem Papier unterliegen die Straßburger Abgeordneten strengeren Regeln als die meisten nationalen Parlamente. Doch nützen vorbildliche Vorschriften nichts, wenn ihre Einhaltung nicht lückenlos kontrolliert wird. Ein Ethikrat, wie er Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorschwebt, schadet nicht, allerdings reicht er auch nicht, um das zerstörte Vertrauen wiederherzustellen.
Erinnert sei an die Aserbeidschan-Affäre im Europarat, mit der deutsche Abgeordnete wie Karin Strenz und Eduard Lintner vor fünf Jahren Schlagzeilen machten. Mehr als 800.000 Euro sollen aus Baku allein an Lintner geflossen sein; die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit, Bestechung von Mandatsträgern und Geldwäsche auf, der Europarat erteilte beiden ein lebenslanges Hausverbot; dennoch blieb Karin Strenz bis zu ihrem Tod auf einem Flug von Kuba Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion und die Ermittlungen gegen Lintner sind bis heute nicht abgeschlossen.
Aufarbeitung, die unmittelbar nach Bekanntwerden von Korruptionsvorwürfen versprochen wird, braucht einen langen Atem. Die Bürger aber brauchen die Gewissheit, dass ihre gewählten Vertreter sauber sind und dass es in den Parlamenten mit rechten Dingen zugeht.
Als das Europäische Parlament vor vier Wochen feierlich seinen 70. Geburtstag begangen hat, gab es Lobeshymnen auf die gelebte Demokratie. Als einziges direkt gewähltes, mehrsprachiges, parteienübergreifendes und transnationales Parlament der Welt sei es ein mächtiges Forum für politische Debatten und Entscheidungen mit Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnissen, die Millionen von EU-Bürgern betreffen.
„Angesichts des anhaltenden illegalen Krieges in der Ukraine, der den politischen Willen der Menschen zerstört, tötet und untergräbt, wissen wir heute mehr denn je, wie wichtig es ist, die demokratische Stimme der Bürger und die demokratischen europäischen Werte, für die dieses Haus steht, zu wahren“, sagte die Präsidentin Roberta Metsola.
Die 70 Jahre sind natürlich ein wenig schöngefärbt. In den Anfängen war die Gemeinsame Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 kaum mehr als ein schmückendes Beiwerk. Erst im Lauf der Jahrzehnte hat es sich beharrlich Rechte erkämpft, die ein Parlament ausmachen. Der belgische Ministerpräsident Alexander de Croo sagte: „Das Europäische Parlament ist einer der mächtigsten Gesetzgeber der Welt. Heute können Europäerinnen und Europäer stolz sein auf den Weg, den wir gemeinsam gegangen sind.“
Nur Tage später, seit der Razzia und den Festnahmen von Abgeordneten, ehemaligen Abgeordneten, Gewerkschaftern und Mitarbeitern der sozialdemokratischen Fraktion, ist der Glanz der Festreden verblasst, und die Parlamentschefin wählte weniger feierliche Worte. Sie sprach von Wut, Ärger und Trauer, von einem Angriff auf das Parlament und die Demokratie. „Unsere offenen, freien, demokratischen Gesellschaften werden angegriffen“, sagte Roberta Metsola.
Sie sprach von Feinden der Demokratie und böswilligen Akteuren in einem mutmaßlichen kriminellen Netzwerk. „Korruption darf sich nicht lohnen“, unterstrich sie. „Es wird keine Straffreiheit geben. Keine“, sagte Metsola und: „Wir werden hier nichts unter den Teppich kehren.“ Bei aller Transparenz und Abschreckung werde es immer einige geben, „die für eine Tasche voller Geld jedes Risiko eingehen“, sagte die Parlamentspräsidentin. Wichtig sei, dass diese Menschen verstehen, dass sie erwischt werden und mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen müssen. Und an die „böswilligen Akteure in Drittländern die glauben, sie könnten sich ihren Weg nach vorne erkaufen. Die glauben, Europa sei käuflich“, richtete sie die Warnung, „dass dieses Parlament sich Ihnen entschieden in den Weg stellen“ werde. „Wir sind Europäer. Lieber frieren wir, als uns kaufen zu lassen.“
Die Parlamentspräsidentin weiß, wie wichtig gerade jetzt der Zusammenhalt in Europa ist. Eben erst hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban seinen Erpressungsversuch gegenüber den übrigen 26 EU-Mitgliedsstaaten aufgegeben und neben der Mindestbesteuerung von Konzernen auch der gemeinsamen Ukrainehilfe zugestimmt. Im Gegenzug bekommt Ungarn zwar Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds, allerdings muss es dafür strenge Auflagen erfüllen und den Vorwurf der Korruption entkräften. Und: erstmals wenden die EU-Mitgliedstaaten den Rechtsstaatsmechanismus an und frieren für Ungarn bestimmte Fördergelder in Höhe von 6,3 Milliarden Euro ein.
Das ist nicht zuletzt ein Erfolg des Europäischen Parlaments, das sich beharrlich dem Kampf gegen die Korruption in den Mitgliedsländern verschrieben hat. Nun muss es mit derselben Entschlossenheit die Korruption in den eigenen Reihen bekämpfen, um nicht an Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu verlieren.
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