Der Krieg gegen die Ukraine sei ein Krieg, der allen gelte. Allen Menschen in der Welt. So etwa könnte man die zentrale Botschaft von Präsident Selenskyj zusammenfassen. Ein Krieg zwischen einem korrupten Nuklearstaat-Russland- und Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als friedlich in ihrem Land zu leben, gemeint die Ukrainerinnen und die Ukrainer. Sätze des Journalisten Arkady Ostrowsky, der für den „Economist“ über Russland und Osteuropa berichtet und der das Vorwort zu dem Buch geschrieben hat, in dem 16 Botschaften, Reden von Selenskyj an Amerikaner, Deutsche, Briten, Israelis, Holländer und seine Ukrainerinnen und Ukrainer abgedruckt worden sind, Botschaften, die aufrütteln sollen und es auch tun, damit die Menschen die Ukraine nicht vergessen. Die Ukraine will leben, frei und unabhängig.
Selenskyj hält den Völkern in der Welt den Spiegel vor, erinnert sie an Verbrechen, die man ihnen selber angetan hat in der Vergangenheit, und redet dann über die Verbrechen, die Putins Russland dem einstigen Bruderland seit Jahren zufügt, Mord und Totschlag tausendfach. Und Selenskyj macht deutlich, dass er den Krieg gegen die russische Supermacht gewinnen will, dass er Sühne fordert von Russland für Mord und Zerstörung, dass sie bezahlen müssen, die ihnen Gewalt antun, dass das Land wiederaufgebaut wird und dass er alles zurückwill, was die russischen Invasoren sich gewaltsam genommen haben, auch die Krim. Die Ukraine war früher Teil der Sowjetunion, die es aber nicht mehr gibt, und die Ukraine will auch nicht zurück in die Arme des Kreml, die man eher als Ketten empfindet. Das Land gehört den Menschen in der Ukraine und nicht den Russen. So der Präsident.
Sie kämpfen aufopferungsvoll, mutig, sie setzen ihr Leben ein, um die Freiheit in ihrem Land geht es Selenskyj, die Unabhängigkeit, er will den Krieg gewinnen, damit danach sein Land Mitglied der Europäischen Union werden kann. Die Ukraine als Teil von Europa, unter dem Schirm der Nato. Sollte Putin das Ziel gehabt haben, die Ukraine mit seinem brutalen Einmarsch für sich zu gewinnen, dann hat er sich mächtig getäuscht. Sollte er gedacht haben, die Menschen in der Ukraine würden die russischen Truppen mit Blumen und ausgebreiteten Armen willkommen heißen, dann hat er sich geirrt oder wurde falsch beraten. Von der ersten Minute des Überfalls am 24. Februar kämpfen sie mit allem, was sie haben, gegen die Welt- und Atommacht Russland. Und seit dem Tag bittet dieser Präsident Selenskyj die Welt, Amerika, Großbritannien, Frankreich und Deutschland um militärische Hilfe, um Waffen jeder Art, schwere Waffen zumal, Raketenabwehrsysteme.
Ein Schauspieler als Oberbefehlshaber?
Der Mann ist kein gelernter Politiker, er war Schauspieler, Produzent, er versteht es, sich darzustellen, das schon. Aber Politik, die große Politik, ein Krieg gegen Russland, ein Schauspieler als Oberbefehlshaber? Das ist Selenskyj gewiss nicht, aber ihm ist es gelungen, mit seinen Botschaften die Herzen der Menschen in aller Welt zu erreichen, der Mann, den man im Grunde nur kennt in tarngrünen Fleecejacken, Hoodies, die mir zu unbequem wären, und T-Shirts. So tritt er Tag für Tag, Nacht für Nacht auf, zumeist in Video-Botschaften an die Nachbarn, an die Deutschen, die Juden, die Amerikaner. „Freiheit und Gleichheit“, sind Begriffe, auf die er setzt in seinem Appell an die deutschen Abgeordneten, wissend, dass diese Begriff für die Deutschen so wichtig waren und sind. „Das Recht, selbstbestimmt zu leben, ohne sich einem anderen Staat zu unterwerfen, welcher fremden Boden für seinen eigenen Lebensraum hält. Warum unterstützen so viele andere Staaten uns entschlossener als Sie?“ fragt er die deutschen Politiker damals im Berliner Reichstag in seiner Video-Botschaft, die er auch persönlich an den neuen Bundeskanzler Olaf Scholz richtet. Warum Scholz nicht direkt Selenskyj antwortete aus dem Parlament heraus, vom Rednerpult aus, verstehe ich bis heute nicht.
In seiner Botschaft an die Briten zählt Selenskyj einige der Verbrechen der Russen auf, die rücksichtlos auf Zivilisten und Wohngebäude geschossen hätten, sie hätten Bomben geworfen. Er wirft den Russen Terror vor gegen große und kleine Städte, dass sie Raketen abgefeuert hätten auf Schulen und Krankenhäuser. „Dieser Krieg ist ein Akt des Völkermords. Doch er hat uns nicht gebrochen, er hat uns mobilisiert.“ Am sechsten Tag des Kriegs schlugen russische Raketen in Babi Jar ein, lese ich in dem Buch. Babi Jar, Ein geschichtlicher Ort des 2. Weltkriegs. Die Nazis hatten damals über 100000 Menschen in Babi Jar getötet. 80 Jahre später greift Russland diese Stadt erneut an. Selenskyj schildert das in seiner Rede an die Briten. Dann hätten die Russen Kirchen zerstört, dann ein Atomkraftwerk angegriffen, das größte in Europa. „Da begann die Welt zu begreifen, dass der Krieg ein Akt des Terrors gegen uns alle ist.“ Selenskyj beklagt, dass eine Nato-Versammlung nicht einmal den „Mut“ aufgebracht habe, „eine Flugverbotszone zu verhängen.“ Er erwähnt nicht, dass ein solcher Schritt die Nato in den Krieg hineinziehen würde, ja einen 3. Weltkrieg zur Folge haben könnte. Sorgen, wie sie der deutsche Kanzler Scholz geäußert hat und andere. „Wir werden bis zum Ende weitermachen“, zitiert er aus einer Churchill-Rede während des 2. Weltkriegs, als Nazi-Deutschland Bomben auf englische Städte abwarf und z. B. Coventry zerstörte. „Wir werden unsere Insel verteidigen, koste es, was es wolle.“ So der britische Politiker.
Denken Sie an Pearl Harbour
Demokratie, Unabhängigkeit, Freiheit, Begriffe, die für Amerika stehen, stellt Selenskyj in den Mittelpunkt seiner Rede vor dem US-Kongress(per Videoschaltung). Und wieder blickt der Präsident in die Geschichtsbücher und beschreibt die Stimmung in den USA an jenem Morgen des 7. Dezember 1941, als der Angriff der Japaner auf Pearl Harbour geschah, „als der Himmel schwarz war von Fliegern, die Sie angriffen.“ Er spricht Sie, die Amerikaner, direkt an. Oder „denken Sie an den 11. September 2001, als das Böse Ihre Städte- gemeint New York- in Schlachtfelder zu verwandeln versuchte. Erinnern Sie sich daran, wie unschuldige Menschen aus der Luft angegriffen wurden.“
„Wir wollen am Leben bleiben“, beginnt Selenskyj seine Video-Botschaft vor der israelischen Knesset in Jerusalem und zitiert Golda Meir, eine bedeutende „Frau aus Kiew“ Sie war ja mal Ministerpräsidentin von Israel(1969-1974). „Unsere Nachbarn wollen unseren Tod.“ Berühmte Worte aus dem Munde dieser Frau, die jede Jüdin und jeder Jude kennt und „auch viele Ukrainer und sicher nicht wenige Russen“, betont der Präsident und weist auf die verflochtene Geschichte von Ukrainern und Juden “ hin. Die Bedrohung beider Länder sei die gleiche, „die völlige Zerstörung eines Volkes, eines Staates, einer Kultur. Sogar unsere Namen wollen sie uns rauben: Ukraine, Israel.“
Verbrecherischer Befehl
Selenskyj erwähnt zwei Daten, historisch wichtig. Am 24. Februar 2022 war die Invasion der Russen in die Ukraine, gab es den verbrecherischen Befehl“ dazu. Diese Invasion kostete Tausenden das Leben und machte Millionen Menschen obdachlos. „Am 24. Februar 1920 wurde die NSDAP gegründet, „sie sollte fortan Millionen von Menschenleben fordern, ganze Länder zerstören- ja sogar versuchen, ganze Völker auszurotten“. Er zieht bewusst die Parallelen zwischen Israel und der Ukraine. „Unsere Geschichte und Ihre Geschichte. Unser Krieg ums Überleben und der Zweite Weltkrieg.“ Nazis und Putins Russland verwendeten sogar die gleichen Begriffe, beide sprächen von Endlösung, die Nazis von der Endlösung der Judenfrage, die Russen nennten die „Endlösung der Ukrainefrage“. Bei einem Treffen in Moskau hätten sie offen geäußert, dass „ohne Krieg gegen uns zu führen“, keine Endlösung des angeblichen Problems ihrer eigenen Sicherheit möglich sei. „Volk von Israel“, heißt es in der Botschaft… „Sie können uns helfen, unser Leben zu schützen“. Selenskyj bittet um „das beste Raketensystem“ auf der Welt, das Israel habe, eine schlagkräftige Waffe, um sich zu verteidigen. „Vor achtzig Jahren haben die Ukraine Juden gerettet. Die Gerechten unter den Völkern leben immer noch in unserem Land.“ Selenskyj erinnert an Babi Jar und den Einschlag russischer Raketen dort, „wo hunderttausend Opfer des Holocaust begraben lieben. In Kiew gibt es einen alten jüdischen Friedhof. Auch dort schlugen russische Raketen ein. Am ersten Tag dieses Krieges trafen russische Geschosse unsere Stadt Uman. Diese Stadt wird jedes Jahr von Zehntausenden Israelis besucht, die zum Grab von Nachman von Breslow pilgern. Was wird von diesen Orten bleiben nach diesem schrecklichen Krieg?“
Erinnerungen sollen wachgehalten werden, damit nicht vergessen werde, was passierte. Die Franzosen hätten Oradour-zur-Glane nicht vergessen, wo die SS 500 Frauen und Kinder bei lebendigem Leib verbrannt hätten. Sie hätten auch die Massenhinrichtungen in Tulle nicht vergessen, das Massaker in Ascq, die Niederlänger hätten nicht vergessen, wie Rotterdam unter 97 Tonnen Nazibomben als erste Stadt völlig zerstört worden sei. „Sie erinnern sich“,ergänzt Selenskyj und ruft die Verbrechen der Nazis in der Tscheslowakei auf, als sie Lidice als einen Haufen Asche zurückließen. „Sie erinnern sich. Litauer, Letten, Esten, Dänen, Georgier, Armenier, Belgier, Norweger und unzählige andere..“ Ja, die Nazis hatten einen schlimmen Fußabdruck in Europa hinterlassen, Millionen Tote waren die Folge. Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg sei die Dunkelheit in die Ukraine zurückgekehrt, Mariupol zerstört, Selenskyj nennt die Verbrechen von Butscha, die Zerstörungen von Charkiw. Oder von Borodjanska.
Gebt unser Land frei
Am Tag der Unabhängigkeit der Ukraine- es ist der 24. August- beginnt der Präsident seine Botschaft mit den Worten: „Das freie Volk einer unabhängigen Ukraine… Russen, ihr wollt nicht, dass eure Soldaten sterben? Gebt unser Land frei. Ihr wollt nicht, dass eure Mütter weinen? Gebt unser Land frei. Das sind unsere Bedingungen, klar und einfach.“
„Botschaft aus der Ukraine“ ist das einzige von Präsident Selenskyj persönlich autorisierte Buch“, steht im Klappentext des kleinen Werkes. Die Autorenerlöse gehen an United24, eine von Wolodymyr Selenskyj gegründete Initiative, die Spenden für die Ukraine sammelt.