Es ist fast sechzig Jahre her, dass Egon Bahr in Tutzing seine Rede zum Wandel durch Annäherung hielt. Die Ideen, die der Sozialdemokrat (1922 – 2015) im Juli 1963 am Starnberger See zur Debatte stellte, entwickelten sich zum Fundament der Ostpolitik von Willy Brandt (1913 – 1992) und prägten über Jahrzehnte die deutsche Außenpolitik.
Am gleichen Ort sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Juni über die Zeitenwende; nur wenige Wochen nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges des Kremls gegen die Ukraine skizzierte Scholz Herausforderungen und Perspektiven für die Demokratie. Kern seiner Überlegungen: Auf die globalen Fragen unserer Zeit gibt es nur globale Antworten.
Und nun kündigt sich eine Tutzinger Tagung an, die den Fragestellungen auf den Grund gehen will. Unter dem Titel „Erdpolitik als Weltinnenpolitik für das 21. Jahrhundert“ kommen Anfang Januar renommierte Wissenschaftler zu Wort, die über Krieg und Frieden, Klimawandel und Nachhaltigkeit, Kapitalismus und Globalisierung, Recht und Gerechtigkeit sprechen.
Seit Carl Friedrich von Weizsäcker die Vision einer Weltinnenpolitik begründete, „hat sich die Welt immens beschleunigt, ist die Globalisierung in allen Winkeln der Welt angekommen, sind alle Krisen lokal wie global existenzieller Alltag der Menschen“, heißt es in der Ankündigung der Evangelischen Akademie. „Die damaligen Zukunftsszenarien sind von der aktuellen Realität vielfach überboten: Corona-Krise, Klimawandel, Bedrohung der Artenvielfalt, Kriege in der Ukraine, Syrien, Jemen, Libyen usw., Terror, Faschismen, Flüchtlingsbewegungen, globale Ungerechtigkeit machen die Not-Wendigkeit einer ,Erdpolitik als Weltinnenpolitik‘ zur Lösung der Weltprobleme immer dringlicher.“
Hinter diesem großen Anspruch versammeln sich Vorträge wie der von Peter Brandt, der über „Eine Welt ohne Krieg – Ein neues Denken zur Überwindung des alten Konfrontationsdenkens – Selbstvernichtung oder gemeinsame Sicherheit“ spricht. (Seine jüngste Veröffentlichung zusammen mit Michael Müller und Reiner Braun hat Wolfang Wiemer für den Blog der Republik besprochen.)
Ernst Ulrich von Weizsäcker, ehemals Präsident des Club of Rome, steht mit einer Rede zum Tagungsthema auf dem Programm. Über globale Rechtssicherheit unter gerechten Regeln als Kern einer neuen globalen Ordnung spricht Thomas Pogge. „Ein Blick auf die fast vergessene Erdcharta kann Orientierungshilfe in den multiplen Krisen geben“, sagt Christine von Weizsäcker in ihrem Tagungsbeitrag.
Ulrich Hemel fragt nach Ende oder Neustart der wirtschaftlichen Globalisierung. Cuno Tarfusser beleuchtet die Kraft des internationalen Rechts. Hartmut Graßl spricht über den Klimawandel, Götz Neuneck über die Überwindung der atomaren Bedrohung, Armtraut Hartmann über die Nachhaltigkeitsziele, Klaudius Gansczyk über Weltinnenpolitik in der Bildungspraxis und Tobias Orthen über die Notwendigkeit einer radikalen Reform der Vereinten Nationen.
Ein weitgreifendes Programm, das neue Perspektiven verspricht und Wege aus den festgefahrenen Strukturen weisen will. Anmeldungen sind noch bis zum 23. Dezember möglich.
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