Dann haben es unsere Fußballer doch noch geschafft gegen Spanien, ein Unentschieden. Ja doch, sie haben gut gespielt und eine berühmte deutsche Tugend mal wieder aktiviert: Kampfgeist. So wurde der Top-Favorit aus dem Süden fast niedergerungen, es hätte nicht viel gefehlt und die Deutschen hätten tatsächlich gewonnen. Womit sich auch gezeigt hat, dass Deutschland Turnier-Qualitäten hat. Heißt, wenn es um was geht, sind sie da. Aber Vorsicht, ich vergesse nicht, wie es 2018 war in Russland. Da hatte man gegen Mexiko blamabel verloren, dann Schweden besiegt und sah sich schon eine Runde weiter. Und dann kam Südkorea, die schmalen und kleiner wirkenden Asiaten liefen unseren Jungs quasi durch die Beine und gewannen. Aus und vorbei für den Titelverteidiger. Also kein allzu voreiliger Jubel, erst muss Costa Rica bezwungen werden, möglichst hoch, damit nichts schiefgeht. Aber bitte nicht von Erlösung reden wie Messi.
Trotz der Spannung des Spiels, Katar bleibt Katar und Infantino Infantino wie die Fifa die Fifa bleibt. Es findet eben in der Wüste kein Fußfallfest der Völker der Welt statt, es wird nicht gefeiert mit Bier und entsprechenden Gesängen. Wo findet eigentlich die Begeisterung für den Fußball in Katar statt? Kann man das mal im Fernsehen sehen? Nicht die Kunstwelt, erbaut auf den Erlösen von Gas und Öl und der Ausbeutung von Menschen, von denen viele auf den Baustellen ihr Leben lassen mussten. Das wollen wir nicht vergessen. Zumal dieser Italo-Schweizer als Fifa-Boss offensichtlich sich weitere Milliarden-Träume erfüllen will. Noch haben wir uns mit Katar nicht angefreundet, da lese ich in der SZ, dass schon die nächste WM in der Wüste drohe. Die Saudis sind am Ball. Erst haben sie Argentinien besiegt, gegen Polen dann zwar mit 0:2 verloren, aber der Kronprinz Salman, genauer Mohammed bin Salman, will es nicht auf sich sitzen lassen, dass das kleine Katar eine WM ausrichtet, aber das viel größere Saudi-Arabien nicht.
Das wäre doch gelacht, zumal es an Geld nicht fehlt, und der Herr, der über solche Spiele entscheidet, ein Mann ist, mit dem man reden kann. Infantino ist zugänglich für gute Argumente, wenn die dann noch eingewickelt sind in entsprechende Wert-Papiere, umso besser. Ich meine selbstredend Werte des Fußballs wie Fairness, stoppe aber gleich die Heuchelei. Und das mit der Energie-Knappheit können auch die Saudis lösen. Gemeinsam mit Ägypten und Griechenland wollen sie die WM 2030 organisieren. Quasi interkontinental, Europa und Asien. Und schon soll Lionel Messi, genau der, dessen Truppe gerade gegen die Saudis verloren hat, bereit sein, für ein bescheidenes Entgelt dem Kronprinzen zu helfen. Wie war das noch mit David Beckham? Und wem gehört nochmal PSG? Und dass Infantino mit Salman befreundet ist, ist sicher nur ein Zufall. Wer wird denn gleich Böses dabei denken, es geht nur um den Ball, die Spiele, darum, dass auch Saudi-Arabien zu einer Herzkammer des Fußballs wird, oder soll ich besser sagen des Fußballgeschäfts wird. Wie heißt es dazu in einer Kolumne der SZ: „Der Begriff Fifa ist ja heute nur noch ein Synonym für diesen Mann, der eine Fußballwelt regiert, die käuflicher ist denn je.“ Gegen den ist der Sepp Blatter ein Anfänger.
Ich spinne jetzt die Sache mit dem weiteren Verlauf der WM durch. Deutschland kommt ins Endspiel. Auf der Ehrentribüne sitzen nebeneinander Gianni Infantino, Bundeskanzler Olaf Scholz, als weitere Ehrenmänner der Emir von Katar und dessen Freund, Kronprinz Salman von Saudi-Arabien. Den Spielern, Gewinnern wie Verlierern, werden Medaillen überreicht, umgehängt, freundlich und ausgelassen gratuliert der Fifa-Chef den Kickern per Handschlag. Ich hoffe, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sportdirektor Oliver Bierhoff haben das ganze Szenario mit Trainer Hansi Flick und der Mannschaft besprochen. Zur Erinnerung: Bei der WM in Argentinien 1978 – das Land wurde von einer Junta regiert, die Tausende von Oppositionellen eingesperrt und 30000 Menschen umgebracht hatte- hatte Neuendorfs Amts-Vor-Vor-Vor-Gänger Hermann Neuberger die Spieler um Berti Vogts verpflichtet, im Falle eines Finaleinzugs dem Junta-Chef Jorge Videla die Hand zu geben. (Vogts bekannte, nicht einen politischen Gefangenen gesehen zu haben) Neuberger, der kein Problem damit gehabt hatte, den einstigen Nazi und Fliegerhelden Hans-Ulrich Rudel ins deutsche Quartier einzuladen, hatte aber Pech. Die deutschen Kicker verloren gegen Österreich mit 2:3. Dank eines Hans Krankl konnte sich der Österreich-Reporter Edi Finger ein Viertel einschenken. Und unsere Truppe heimfahren.
Von Farbbeuteln und Kartoffelpüree
Vom Fußball zum Klima, der Übergang ist schwer. Versuchen wir es mit Haltung. Ich bin kein Freund dieser sogenannten Klimaaktivisten, die Farbbeutel oder Tomaten oder Kartoffelpüree gegen Kunstwerke werfen, wobei, pardon, ich genauer sagen müsste, gegen mit Glasscheiben gesicherte Werke von Monet und van Gogh. Es entstand ja bisher nur insofern Sachschaden, dass der Dreck wieder entfernt werden musste, also eine Arbeitsstunde zusätzlich für die Putzkolonne in besagten Museen. Dass sich Leute aus Protest auf die Straße setzen, ist nicht neu. Man denke an Mutlangen. Neu ist, dass sie sich festkleben auf Start-und Landebahnen von Flughäfen. Oder auf Autostraßen. Nicht ungefährlich. Zudem wird der Verkehr aufgehalten, starten Flugzeuge nur mit Verspätung. Leute kommen zu spät zur Arbeit. Die Nation hat einen neuen Aufreger, die „Letzte Generation“. Die dagegen protestiert, dass wir mit unserer Art von Leben und Verbrauchen den schönen Planeten Erde zu sehr erhitzen, wenn es so weiter geht um bis zu drei Grad oder gar deren vier. Ich frage mich bei aller Skepsis über die Art des Protestes: Warum regen wir uns nicht mehr darüber auf, dass die Menschheit dabei ist, die Erde auszuräuchern, den Ast abzusägen, auf dem sie bequem sitzt? Es ist die pure Heuchelei.
Einer wie Alexander Dobrindt hat es bis zum Sprecher der CSU-Landesgruppe gebracht. Dieser Mann fiel gerade durch einen unsäglichen Vergleich auf, der viele auf die Palme bringt, andere applaudieren lässt: „Klima-RAF“ hat er die „Letzte Generation“ beschimpft, gerade so, als wären sie Terroristen, Mörder. Aber so ein richtiger CSU-Politiker ist in der Wortwahl nicht immer pingelig, er hat den Stammtisch im Sinn, der in den Glanzjahren der bayerischen Regionalpartei mit Weltanspruch von ihrem großen Führer Franz-Josef Strauß regelmäßig bedient worden war. Klima-RAF, damit kann man wunderbar ablenken von eigenen Versäumnissen. Man darf daran erinnern, dass dieser Dobrindt mal Bundesverkehrsminister war, zu dessen Ruhmestaten die geplante und dann gescheiterte Einführung der Maut gehörte. Sein Nach-Nachfolger Scheuer setzte dieses einmalige Werk dann fort. Ohne Erfolg, es sei denn, man zählte die halbe Milliarde Euro als solchen, den der Staat blechen muss.
Die FDP war mal Umweltpartei
Wir bleiben noch beim Thema Klimaaktivisten. Die FDP war mal vor einem halben Jahrhundert eine Partei, die sich auch und besonders um den Umweltschutz kümmerte. Die Liberalen galten auch mal als Frauen-Partei mit Hildegard Hamm-Brücher, Ingrid Matthäus-Maier, Helga Schuchardt, um nur diese zu nennen. Gerade fiel diese FDP dadurch auf, dass ihr stellvertretender Fraktionschef die letzte Generation kritisierte, sie reiße „mit dem Hintern ein, was Luisa Neubauer und Greta Thunberg mühsam aufgebaut haben.“ Donnerwetter, diese Liberalen. Wie die sich locker nebenan bedienen. Sonst haben sie mit den Thunbergs und Co nichts im Sinn. Wer erinnert sich noch an den großen Liberalen Christian Lindner, als dieser vor drei Jahren den beiden genannten Protest-Damen empfahl, den Klimaschutz doch besser den Profis zu überlassen. Fragt sich hier, wen der heutige Bundesfinanzminister damals damit meinte, doch nicht sich oder die anderen Liberalen, vielleicht Wolfgang Kubicki, der duscht, so lange es ihm Spaß macht?
Ich las in einem lesenswerten Beitrag der SZ am Wochenende, dass mehr als 20 Menschen in Bayern in Haft säßen, weil sie sich auf Asphalt geklebt haben. Damit das nicht falsch verstanden wird: Ich finde derlei Aktionen auch nicht in Ordnung, friedlicher Protest sieht anders aus. Aber hier von einer Klima-RAF zu sprechen oder über eine Boulevard-Zeitung genervten Autofahrern den Rat zu geben, das Abreißen festgeklebter Haut „dürfe ohne Weiteres in Kauf“ genommen werden, halte ich für ziemlich daneben. Wollen wir zu einer Art Selbstjustiz auffordern?
Ungarns Orban und die EU
Es geht um Haltung. Die EU-Kommission unter Vorsitz von Ursula von der Leyen will gegen Ungarn hart durchgreifen. Das müssten dann die Regierungen der EU tun, 26 gegen Ungarn, das wäre das beste Ergebnis. Ungarns Orban begeht seit Jahren Regelbrüche, er schert sich nicht um demokratische Gepflogenheiten wie Pressefreiheit, unabhängige Justiz, er schert sich einen Dreck um Kritik an der Vergabe der Brüsseler Milliarden, weil er sie lieber auf den Konten seiner Familie und seiner Freunde hat. Die Kommission kann nur empfehlen, die Regierungschefs müssen entscheiden, also Scholz und Macron und die anderen. Ob die Europäer erneut einknicken, ob der Autokrat Orban eine Sperrminorität zusammenfeilscht, um das Damokles-Schwert, das über seinem Haupt schwebt, abzuwehren? Zu den Orban-Sympathisanten gehört Polen, das sich seine eigene Rechtswelt im Lande zusammenzimmern will, ohne Rücksicht auf europäisches Recht, eine unabhängige Justiz. Die Frage ist ja, wie lange sich die EU das noch gefallen lässt. Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union leidet darunter, wenn Orban alles machen kann, was er will und niemand ihn daran hindert. Es ist genug der Sonntagsreden, gerade vor dem Hintergrund des Krieges, den Russland gegen die Ukraine führt, ein Krieg, der Europa vieles abverlangt. Da ist Haltung gefragt. Mag ja sein, dass einer wie Orban lieber mit einem wie Putin Geschäfte macht. Das soll er dann tun, außerhalb der EU. Und bei einem solchen Votum wird man sehen, wo die übrigen Europäer stehen. Ob sie Haltung zeigen.
Die Schwachen gegen die Schwächsten
Das neue Bürgergeld sollte der Wiedereinstieg in eine Sozialpolitik sein, die Arbeitslosen hilft in ihrer Not, die Schluss macht mit dem Gerede von Faulpelzen, die sich in der Hängematte ausruhen, die die fleißigen Steuerzahler bezahlen. Wer die Debatte im Bundestag und Bundesrat verfolgt hat, wurde den Eindruck nicht los, dass vor allem Unions-Politiker es darauf anlegten, den Arbeitslosen nicht den Stempel der Missbrauchenden zu nehmen. Leistung muss sich wieder lohnen. Das bestreitet doch keiner. Aber es ist doch belegt durch Untersuchungen, dass maximal drei Prozent der Betroffenen unter den Verdacht fallen, nicht arbeiten zu wollen. Es ist doch bekannt, dass zur Würde des Menschen auch die Arbeit gehört. Und das wollen die weitaus meisten. Wo bleibt der Sozialflügel der CDU?
Man spielt bei dieser Debatte mal wieder die Schwachen gegen die Schwächsten aus. Herausgekommen ist ein Gesetz, das einen gewissen Fortschritt bedeutet, weil es Ausbildung fördert für Langzeitarbeitslose, von denen man weiß, dass ihr größter Makel der Schulabbruch war und ist, dass sie keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Aber wahr ist auch, dass es nicht selten an der Qualität und dem Einsatz in den Jobcentern mangelt, Arbeitslose in Arbeit zu bringen. Man frage doch mal qualifizierte Jobsuchende, die das Pech hatten, ihren Job zu verlieren, weil die Firma schlecht geführt worden war, weil die Manager miserable Arbeit geleistet hatten mit der Folge, dass Jobs abgebaut wurden. Pech gehabt, die einen, die anderen stahlen sich aus ihrer Verantwortung. Kassierten weiter ihre hohen Gehälter oder Abfindungen.
Verantwortung der Demokraten
Mit dem neuen Bürgergeld wird die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder abgeschafft. Der verhasste Begriff hat die SPD fast ihre Existenz gekostet, er spaltete fast die Partei. Die Linke machte damit Wahlkampf, ich habe es damals in Brandenburg erlebt, als die Linke Sprüche klebte wie diesen: Hartz-IV, das ist Armut per Gesetz. Dabei bestand damals Handlungsbedarf, es gab fünf Millionen Arbeitslose. In den Boulevard-Medien wurde an Weimar erinnert. Sozialpolitik, die sozial sein will, um Menschen in Not zu helfen, ist wichtig für den sozialen Frieden, sie steht gegen eine Spaltung des Landes, die Extremisten herbeischreien. Demokraten haben eine Verantwortung.
Wer locker das sogenannte Schonvermögen von Arbeitslosen kritisiert, übersieht, dass viele Jobsuchende abstürzen, in Schulden geraten, dass sie Rückstände bei Mieten und Strom haben. Wer alle Arbeitslosen gleichsetzt mit denen ein, zwei oder drei Prozent, die das System missbrauchen, redet verantwortungslos. Da könnte man auch über Politiker reden, von der CSU, Herr Dobrindt, die Provisionen für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken eingestrichen haben, die in die Millionen gehen. Andrea Tandler, Tochter des einstigen Strauß-Fans und Ministers Gerold Tandler, bekam mit ihrem Partner 48 Millionen Euro Provision. Alles legal, oder? Und auch legitim, im Sinne von unanstößig? Zu erwähnen wären hier noch so ehrenhafte Zeitgenossen wie Sauter und Nüßlein. Es ist erbärmlich, wenn eine Volkspartei wie die CSU gegen Arbeitslose polemisiert. Man wünschte sich, die Union würde mit dem gleichen Elan mindestens drei Prozent der Steuerhinterzieher in Deutschland aufspüren. Die schaden der Gesellschaft weit mehr als die wenigen Armen in der Hängematte.
Als Koch gegen Ausländer polemisierte
Streit gehört zur Demokratie, es ist die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu stellen, Schwachstellen auszuloten und Gesetzentwürfe auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Nun will die Ampel das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren, heißt, sie will Ausländern die Einbürgerung erleichtern. Prompt reagiert die Union, die Scholz-Regierung mit Innenministerin Nancy Faeser wolle die deutsche Staatsbürgerschaft „verramschen.“ Ein harter Angriff und ein Vorgeschmack auf den kommenden Landtagswahlkampf in Hessen im Herbst 2023. Zur Erinnerung: 1999 wollte die neue rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer den sogenannten Doppelpass einführen. Die CDU-Opposition in Hessen unter Roland Koch startete flugs eine Kampagne und organisierte Unterschriften-Listen. Mit Ressentiments schürte die CDU die Stimmung, Bürgerinnen und Bürger eilten an die CDU-Stände und fragten: Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben? Die Folge war, dass die SPD die Landtagswahl verlor, Roland Koch löste Hans Eichel ab. Die Wahlkampfparolen hatte sich Koch vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber geholt. Nancy Faeser ist übrigens als mögliche SPD-Spitzenkandidatin in Hessen im Gespräch. Das passt doch. Man frage Roland Koch.
Mit „verramschen“ kämpft die Union um die Lufthoheit über den Stammtischen, nichts anderes. Denn die Realitäten in Deutschland verlangen derartige Reformen, das weiß ein Friedrich Merz sehr wohl. Deutschland ist im Wettbewerb nicht nur um die besten Köpfe und Fachkräfte, sondern überhaupt um Arbeitskräfte. Wir sind auf Zuwanderung angewiesen, sonst läuft die Wirtschaft hier nicht rund. Also muss schnellere Einbürgerung her. Natürlich gehören zur Basis Sprachkenntnisse. Und jeder weiß, dass Integration auch Probleme mit sich bringt, im Kindergarten, in der Schule, im Wohnungsbau. Es funktioniert nicht von allein. Und doch ist die Reform nötig. Das weiß auch die Union, aber sie poltert lieber im Stile von Koch und Stoiber, von dem man zudem weiß, dass er zu den Sympathisanten von Markus Söder gehört, seinem Amts-Nach-Nachfolger. Söder ist mit Blick auf die Bundespolitik, die SPD und vor allem die Grünen, auf Kollisionskurs, er hat im nächsten Jahr die Landtagswahlen in Bayern zu bestehen. Söder muss sein für bayerische Verhältnisse schwaches Wahlergebnis von 2018- 37,2 vh- verbessern. Er will mit den Freien Wählern weiter regieren, nicht mit den Grünen. Haltung? Fehlanzeige.
Proteste in China und Iran
Jetzt wollte ich eigentlich ein paar Zeilen über China schreiben, darüber, dass dort überraschend Millionen auf die Straße gehen, für Freiheit und Menschenrechte demonstrieren und „Nieder mit Xi Jinping“ rufen. Dabei hatten die Kommunisten gerade wie üblich in völliger Einigkeit die Verlängerung der Amtszeit des Herrschers beschlossen und der Welt weißgemacht, wie toll doch alles laufe im Reich der Mitte. China, die neue Weltmacht, muss plötzlich Massenproteste im Land über sich ergehen lassen, ausgelöst durch Corona-Beschränkungen. Was daraus wird? Die Frage muss man sich auch im Iran stellen, wo die Mullah-Diktatur von demonstrierenden Frauen und Männern heftig kritisiert wird, mehr noch, man fordert die Absetzung der rabiaten Gottesherrscher, die ihre Revolutionsgarden rausgeschickt haben, um Demonstranten zu verprügeln, verhaften, ja auch zu töten.
Ein besseres Deutschland gab es nie
Und hier bei uns? Ist eigentlich alles in Butter. Nein, nicht ganz, wenn ich abseits der Krisen wie Ukraine-Krieg, Inflation, Corona, Energie Wolfgang Schäubles Interview in der FAS-Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung- mir zu Gemüte führe. Schäuble hat, wenn man so will, gerade 50jährige Zugehörigkeit zum Bundestag gefeiert. Der Unions-Mann hat die Niederlage seiner Partei bei der Bundestagswahl längst weggesteckt. Er kennt das mit der Demokratie, die vom Wechsel lebt. Und er hat ja auch sehr früh im Wahlkampf darauf hingewiesen, dass diese Wechsel eben zur parlamentarischen Demokratie zählten und er könne sich nicht erinnern, dass frühere Wechsel im Kanzleramt zur SPD, also zu Willy Brandt und Gerhard Schröder, dem Land geschadet hätten. So ähnlich hatte es der große alte Mann gesagt, wissend, dass er im Fall einer Niederlage auch sein geliebtes Amt, Bundestags-Präsident, abgeben werde. Und dieser Schäuble, der in seiner politischen Laufbahn nahezu alles erreicht hat- außer Bundeskanzler und Bundespräsident- sieht nun eine Krise der Demokratie. „Diese Krise ist, glaube ich, die größte Krise unserer Zeit.“ Er meinte das nicht parteipolitisch, so kleinkariert war Schäuble nie. Er hat bei diesen geäußerten Befürchtungen sicher nicht Polen und Ungarn vergessen oder überhaupt Europa. Aber jetzt meint er Deutsches. 31 Prozent der Ostdeutschen sehen Deutschland als Scheindemokratie, 28 vh von ihnen fordern, das System müsse grundlegend geändert werden. 45 vh der Ossis glauben, die Bürger hätten nichts zu sagen, dem stimmen im übrigen 28 vh der Wessis zu. (Zitiert nach Ulrich Lüke im Bonner Generalanzeiger) Es sind zumindest mich bedrückende Ergebnisse. Aber wer genauer hinschaut und nachdenkt, weiß um die sinkende Zustimmung für diese Demokratie und mangelnde Identität mit diesem Land. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat mehrfach betont, dass Demokratie Freunde brauche, Unterstützer, die für unsere Werte eintreten, notfalls kämpfen, Demokraten eben. Mir doch egal, hört man nicht nur gelegentlich. Aber es kann, es darf uns nicht egal sein, was aus diesem Land und dieser Demokratie, dem System wird. Ein Besseres haben wir nicht. Ein Besseres gab es in der deutschen Geschichte nie.
Ja, das alles hat mit Haltung zu tun.