Alfons Pieper
Ob Bernd Neuendorf, der immer noch neue DFB-Präsident, Fußball spielen kann, weiß ich nicht. Ist im Grunde auch egal. Als Chef des weltgrößten Fußballverbandes mit über 7 Millionen Mitgliedern muss er weder den tödlichen Pass spielen, noch eine Bude machen mit Kopf oder Fuß, sondern er muss den Verband führen und vor der Welt vertreten. Denn Fußball, vor allem eine heute beginnende Fußball-WM in einem autokratisch geführten steinreichen Land wie Katar, das uns mit Gas und Öl beliefert und damit aus der Putin-Klemme hilft, hat natürlich auch mit Politik zu tun, mit Gesellschaft, Solidarität. Und Bernd Neuendorf, der 61jährige Sozialdemokrat aus Bonn, hat bei seiner ersten Pressekonferenz im Vorfeld der umstrittenen Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar gezeigt, dass er ein Mann mit Haltung ist. Der den Konflikt mit den Mächtigen nicht scheut. Neuendorf verkündete nicht nur eine Millionenspende für Gastarbeiter-Kinder aus Nepal, sondern er sprach auch Klartext in Sachen Fifa und dessen Präsidenten Infantino. „Es gibt einige Dinge, die mich in letzter Zeit irritiert und verstört haben“, sagte der DFB-Mann und erwähnte einen Brief Infantinos an die Nationalverbände mit der Aufforderung, jetzt nur noch über Fußball zu reden und nicht mehr über Menschenrechte zu sprechen. Der DFB-Präsident hielt in ruhigem Ton dagegen: “ Es geht bei der WM um die allgemein gültigen Menschenrechte- dahinter sollten wir uns alle versammeln können, gerade auch die Fifa.“
Noch ein erklärendes Wort zu Nepal, wo der Armutsdruck besonders groß ist: Dort verlassen besonders viele Männer jedes Jahr ihre Heimat, um sich in den Emiraten am Golf als billige Arbeitskräfte zu verdingen. Neuendorf zufolge will man ein „nachhaltiges Zeichen“ setzen. Die Nationalmannschaft habe entschieden, in Nepal ein SOS-Kinderdorf mit einer Million Euro zu unterstützen, Geld, das in den nächsten fünf Jahren fließen soll. Ziel sei es, „dass die nächste Generation nicht wieder gezwungen ist, ihr Land zu verlassen“, um durch Arbeit in der Ferne ihren Familien zu Hause zu helfen. Das Geld komme von der Stiftung Nationalmannschaft und damit „direkt von den Spielern“, zusätzliches Geld, das die Spieler für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hätten.
Statement für Menschenrechte
Die Missstände in Katar-Tausende von Toten beim Bau der WM-Stadien, Tote aus Indien, Nepal, den Philippinen, das Schuften in der Hitze- sind bekannt, öffentlich gemacht worden sind die Menschenrechtsverletzungen, ist das Verbot der Homosexualität in Katar. Neuendorf kritisierte das kürzlich ausgesprochene Verbot des dänischen Trainingstrikots mit dem Slogan „Menschenrechte für alle.“ Einmal in Fahrt ging der DFB-Chef auf mögliche Sanktionen ein für das Tragen der „One-Love“-Armbinde des Kapitäns der deutschen Mannschaft, Manuel Neuer. Neuer wird, das hat er schon selber gesagt, während der Spiele eine mehrfarbige One-Love-Armbinde tragen als Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit. Neuendorf scheut den Konflikt mit der Fifa nicht, wenn von dort Sanktionen gefordert würden. „Ich persönlich wäre durchaus bereit, eine Geldstrafe in Kauf zu nehmen, denn für mich ist das keine politische Äußerung, sondern ein Statement für Menschenrechte.“
Damit nicht genug, stellte sich Bernd Neuendorf auch in einer anderen Frage gegen den Weltverband Fifa, weil der geschwiegen habe zur Niederschlagung der Proteste für Gleichberechtigung im WM-Teilnehmerland Iran. „Ganz generell sollte man dazu Position beziehen, die sehr mutigen Frauen im Iran verdienen jede Aufmerksamkeit und Unterstützung“, sagte Neuendorf. Er verteidigte die ausgebliebene Nominierung eines Infantino-Herausforderers durch den DFB, weil ein solcher Kandidat in ein chancenloses Rennen gegangen wäre, das will man niemandem antun.“ Klar scheint aber die Haltung des Deutschen Fußball-Bundes zu Infantino zu sein: man wird ihm die offizielle Gefolgschaft verweigern. Der DFB wird den 52jährigen Italo-Schweizer mit teilweise Wohnsitz in Katar auf dem Weg zu seiner Wiederwahl nicht unterstützen. Was die Wahl des hochumstrittenen Infantino im nächsten Jahr nicht gefährden werde, weil er die Stimmen der Kontinentalverbände aus Südamerika, Asien, Afrika und Ozeanien sicher hat. Neuendorf fühlt sich in dem Gestrüpp zwielichtiger Helfer des zwielichtigen Infantino nicht allein. „Ich fühle mich nicht isoliert- ein Kontinentalverband hat Infantino nicht nominiert: die Uefa.“
Es passt ins Bild von Gianni Infantino, dass ausgerechnet er, einen Tag vor der Eröffnung der Fußball-WM, seine Kritiker angreift und Kopfschütteln auslöst. „Heute fühle ich sehr starke Gefühle, heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich als afrikanisch, heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.“ Sagt der Mann, der als Nachfolger von Sepp Blatter die Tradition der dunklen Geschäfte der Fifa fortführt. Ausgerechnet Infantino prangert die „Doppelmoral“ westlicher Nationen gegenüber dem Gastgeberland Katar an, als käme er im Gewand des Unterdrückten daher, des Underdogs. „Ich denke, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren weltweit gemacht haben, da sollten wir uns die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, moralische Ratschläge an andere zu verteilen.“
Infantino spricht von Doppelmoral
Es sei „traurig“, diese „Doppelmoral“ erleben zu müssen. Sagt der Mann, der mitverantwortlich ist für das korrupte System der Vergabe von Fußball-Weltmeisterschaften, bei der es nur um Geld geht. Motto: Mit Geld kann man alles kaufen. „Wie viele dieser westlichen Unternehmen, die hier Milliarden von Katar erhalten, wie viele von ihnen haben über die Rechte von Arbeitsmigranten gesprochen? Keiner von ihnen“, sagt Infantino, als wäre er der Menschenrechts-Beauftragte der Fifa. Ob er die Kritik von Amnesty international gelesen hat? „Wer kümmert sich um die Arbeiter?“ fragt der Mann, der wahrscheinlich nicht einen kennt. „Die Fifa macht das, der Fußball macht das, die WM macht das- und um gerecht zu sein, Katar macht das.“ Eine Unverschämtheit des Fifa-Präsidenten, ein Hohn an die Adresse der Hinterbliebenen, die ihre Väter und Söhne in den Baustellen verloren haben. „Heuchlerisch“ nennt Infantino die Kritiker, gemeint gewiss auch die Kritiker des DFB.
Heuchlerisch? Das Gegenteil ist wahr. Ein DFB-Präsident spricht Klartext, zeigt Haltung. Der größte Sportverband der Welt hat das in der Vergangenheit nicht immer getan, hat sich weggeduckt oder Richtung Herrschenden einen Diener gemacht. Oder Richtung Großdeutschland gesungen. Man denke an Gerhard Mayer-Vorfelder, als baden-württembergischer Kultusminister Deutschlandlied-Apologet, erste Strophe“, an Reinhard Grindel, der „als CDU-Rechtsaußen im Bundestag gegen Deutschtürken wetterte, die einen Doppelpass wollten“, (beide Beispiele zitiert nach taz). Beispiel Hermann Neuberger, der während der WM in Argentinien den einstigen Wehrmachtsgeneral und bekennenden Rechtsradikalen Hans-Ulrich Rudel im DFB-Quartier empfing. Oder an Peco Bauwens, den ersten DFB-Präsidenten nach dem Krieg, der den WM-Erfolg der Fritz-Walter-Elf als „Repräsentanz besten Deutschtums“ feierte, zustande gekommen durch ein „Führerprinzip im guten Sinne des Wortes“. Noch schlimmer dessen Vorgänger(bis 1945) Felix Linnemann, NSDAP- und SS-Mitglied, als Leiter der Hannoveraner Kriminalpolizeistelle verantwortlich für die Deportation von Sinti und Roma in Konzentrationslager.(zitiert nach taz)
Ja doch, Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Aber der Ball ist nicht nur rund und das Runde muss nicht nur ins Eckige. Fußball ist ein Millionen- oder besser ein Milliarden-Geschäft. Und hat mit Politik sehr viel zu tun. Bernd Neuendorf, früher Journalist, Sprecher der SPD, Staatssekretär in der Regierung von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, und jetzt als Präsident Leiter der deutschen Delegation bei der WM in Katar, verspürt die hohe Verantwortung. Neuendorf hat kurz vor der WM das Wüstenland besucht zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser(SPD), in deren Verantwortungsbereich der Sport und damit der Fußball liegt. Bei der Pressekonferenz im DFB-Quartier bekannte Neuendorf jetzt: „Wir alle haben die Debatten rund um die WM erlebt, natürlich muss man sich auch hier damit befassen.“ Gemeint auch die Debatte, die WM gucken oder nicht gucken. Die Probleme in Katar benennen. Wie politisch alles ist, zeigt auch die Frage, ob der Bundeskanzler im Falle eines Endspiels mit deutscher Beteiligung nach Katar fliegt.
Der DFB-Präsident ist aber in erster Linie für das Team da. Der Spirit der Mannschaft sei gut, hat er festgestellt, alle seien fokussiert, die Truppe eine echte Einheit. Und natürlich gab der Präsident einen Tipp ab. „Ich gehe fest davon aus, dass wir gegen Japan gewinnen.“ In einem Interview mit der „Neuen Westfälischen“ hatte er vor Tagen gesagt, zwar seien Argentinien, Brasilien, Frankreich, Belgien und Spanien die Favoriten, aber im Turnier gebe es immer wieder Überraschungen: „Das Selbstbewusstsein ist da. Wir müssen uns vor niemanden fürchten.“