Unions-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz will also im Bundesrat das Bürgergeld der Ampel-Regierung scheitern lassen. Die Ampel-Regierung, so hat er vorgeschlagen, solle die Hartz-IV-Sätze erhöhen, dann werde die Union zustimmen. Klingt gut, wirkt aber für mich wie der ziemlich plumpe Versuch des Friedrich Merz, der Ampel das Regierungs-Geschäft zu vermiesen. Hartz-IV soll bleiben, man darf vermuten ob des schlechtes Rufes in der Bevölkerung, es basiert ja auf einer Politik des einstigen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, der wegen seiner Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin sich selbst in den eigenen Reihen so unbeliebt gemacht hat, dass man ihn am liebsten aus der Partei schmeißen würde. Warum soll sich die Union ein solches Thema aus der Hand nehmen lassen und dabei der SPD helfen?
Nun wünscht sich jede Opposition, dass eine Regierung scheitert, den Karren an die Wand oder in den Dreck fährt, gleich, welcher Sprachbilder man sich bedient. Der ältere Zeitgenosse erinnert sich noch gut an Franz-Josef Strauß und seine Rede vor der CSU-Landesgruppe in Sonthofen im November 1974. Es war eine Klausur, aber ein Teilnehmer hatte die Rede heimlich auf Band mitgeschnitten, sie gelangte danach zum „Spiegel“. Es ging im Kern darum, ob sich die Union an der Regierungspolitik beteiligen sollte. Strauß war mit Blick auf die Bundestagswahlen 1976 dagegen. Der CSU-Chef zeichnete ein düsteres Szenario der Bundesrepublik, warf der sozial-liberalen Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt vor, die Staatsfinanzen zerrüttet zu haben. Ferner seien die Rentenkassen, die Krankenversicherung und die Bundesanstalt für Arbeit so heruntergewirtschaftet von Schmidt und Co, dass sie mindestens ein Sanierungsfall seien.
Strauß stichelte gegen SPD und FDP. Er wüsste gern, so hat es Klaus Dreher, einst SZ-Bürochef in Bonn in seiner Kohl-Biographie notiert, „wie viele Sympathisanten der Baader-Meinhof-Verbrecher in der SPD- und FDP-Fraktion in Bonn“ säßen. Diese Parteien seien nicht mehr fähig, unseren Staat und unsere Gesellschaft vor Verbrechern zu schützen“. Die CDU-CSU müsse die Regierung zum „Offenbarungseid“ zwingen, um einen „Schock“ im öffentlichen Bewusstsein auszulösen. Das Staatschiff müsse „wesentlich tiefer sinken“, dass die Leute merkten, die SPD habe abgewirtschaftet, dann könnte sich die Union im Wahljahr 1976 als Retter präsentieren. So ähnlich der Wortschwall des christ-sozialen Heerführers aus Bayern.
Die Angst schüren
Die Angst zu schüren, damit man selber an die Macht kommt, das war die Strategie von Strauß. Der CSU-Politiker hat in seinen Reden wortgewaltig stets den politischen Gegner für total unfähig gehalten wie im übrigen auch Mitstreiter in der CDU. Es ist ja bekannt, wie er über Helmut Kohl dachte und redete. Man muss sich nur an seine Wienerwald-Rede 1976 erinnern(„Der Helmut Kohl wird nie Kanzler. Der ist total unfähig“) oder an die Schimpfkanonaden, mit denen er die Konkurrenz und Kritiker überzog. Spiegel-Chef Augstein belegte er mit dem wenig schmeichelhaften Begriff des „Arschloch, paranoides“, Willy Brandt nannte er den „Handlanger Moskaus“, Kohl einen „Filzpantoffel-Politiker“, Schriftsteller wurden als „Schmeißfliegen und Ratten“ beschimpft. Kollegen der CDU waren in seinen Augen und Worten „politische Pygmäen“.
Genutzt haben Strauß all die Attacken und seine Sonthofen-Strategie kaum etwas. Zwar nominierte ihn die Union 1980 zum Kanzlerkandidaten, er schaffte es aber nicht, die FDP von der SPD loszueisen, um selber mit den Liberalen unter Führung Hans-Dietrich Genschers eine konservativ-liberale Regierung zu bilden. Strauß blieb CSU-Chef, er wurde bayerischer Ministerpräsident, der immer wieder gen Bonn und Kohl und Co stänkerte, weil er sich selber für den einzigen Politiker von Weltrang hielt und die anderen gern zu Provinz-Zwergen degradierte.
Seine Sonthofen-Strategie wurde später mehrfach imitiert. SPD-Chef Oskar Lafontaine ließ über die Bundesrats-Mehrheit der SPD-regierten Länder 1998 die Steuerreform-Pläne von Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesfinanzminister Theo Waigel scheitern. Ob dadurch die Niederlage Kohls gegen den SPD-Herausforderer Gerhard Schröder eingeleitet wurde oder ob nicht Kohl ohnehin abgewählt worden wäre, weil er zu lange regiert hatte und dem viel jüngeren Schröder weichen musste, steht dahin. Vier Jahre später versuchte CSU-Chef Edmund Stoiber sein Glück mit einer Art Sonthofen-Politik, indem er über die Länderkammer Schröders Zuwanderungsgesetz verhindern wollte. Schröder gewann die Wahl, wenn auch nur denkbar knapp.
Die „Mutter aller Blockaden“ nannte der Journalist Christoph Schwennicke in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ vor Jahren die Sonthofen-Strategie, den Versuch, über eine destruktive Oppositionspolitik eine Regierung ins Straucheln zu bringen. Ein möglicher Triumph der Parteitaktik über die politische Verantwortung, das entspricht eher dem Denken der rechtsextremen AfD und nicht dem der Volksparteien CDU/CSU. Ob Friedrich Merz, der sich im übrigen einig scheint mit Markus Söder, dem heutigen CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten, diesen Weg gehen wird, den Strauß vor Jahrzehnten versuchte? Söder ist ein Bewunderer von Strauß, als junger Mann hatte er ein Bild von Strauß über seinem Bett hängen. Friedrich Merz, den einige schon als eine Art Schattenkanzler feiern, könnte sich von den guten Umfragewerten für seine Union dazu verleiten lassen, dem Kanzler Olaf Scholz nicht nur das Leben schwer zu machen, sondern ihn über den Bundesrat scheitern zu lassen. Kassandra, Herr Merz, wird nicht gewählt.
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