1. Das Geld liegt für den Staat auf der Straße – der aber bückt sich nicht
Deutschland ist ein Schlaraffenland für die Reichen mit illegitim erworbenen Vermögen. Das ist seit langem so, auch unter Regierungen mit sozialdemokratischer Beteiligung (unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und zwei GroKos mit sozialdemokratischen Finanzministern) war das nicht anders. Warum, ist schwer zu begreifen. Dabei braucht eine frisch ins Amt gelangte Regierung zur politischen Gestaltung Geld.
Die Regierung Schröder setzte deshalb die europäische Schuldenbremse außer Kraft. Die rot-gelbe Koalition mit dem Finanzminister Schäuble wollte aus diesem Grunde eine Laufzeitverlängerung der AKW ins Werk setzen, um den „Übergewinn“ daraus im Verhältnis 50:50 zwischen Unternehmen und Bund zu teilen.
Wenn es in der Staatskasse knapp wird, so ist die habituelle Reaktion in Deutschlands Medien und politischen Sonntagsreden aber, dass entweder gespart oder die Steuern erhöht werden müssen – gemeint sind damit nicht nur Verkehrs- und Ertragsteuern, sondern auch die Wiedereinführung einer Vermögensteuer oder eine Schärfung der Erbschaftsteuer, so dass diese greift.
Mit dieser Engführung geht man von einer Illusion aus: Dass die Welt der Wirtschaft, von Einkommen und Vermögen, mit der legalen bzw. begrifflich eindeutigen Welt identisch sei. Das aber ist offenkundig nicht der Fall. Es gibt die Welt der Selbstvornahme und es gibt die Welt des Illegitimen bis zum eindeutig Illegalen, die Welt der Schattenwirtschaft. Das Phänomen ist, dass die Politik in Deutschland darauf nicht recht zugreift.
Warum wurden weiland in Hessen, dem Bundesland, in dem die Finanzmetropole Frankfurt/M liegt, erfolgreiche Konzernsteuerprüfer vom Dienstherrn für geisteskrank erklärt und aus dem Verkehr gezogen? Warum verdienen die erfolgreichen Steuerprüfer aus Wuppertal, die die Finanzfestung Schweiz geknackt haben, heute außerhalb des Staatsdienstes ihre Brötchen?
Klar, es gibt auch noch die Option, den Weg in die Verschuldung der deutschen Staatskasse direkt zu gehen, an der Schuldenbremse vorbei – der Schuldendeckel nach Art. 9 Abs. 2 GG, wie er in Deutschland formuliert wurde, gilt nur für den Normalbetrieb; „für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen,“ eine Ausnahmeregelung vorzusehen, ist legitimiert. Die zweite Option, auf die man verfallen ist, im Zeichen der Corona-Krise: Man etablierte die EU als neues kreditwürdiges Subjekt und holt sich aus dessen Verschuldung das fehlende Geld in die Kassen der Nationalstaaten.
Warum nur lässt man den illegitimen Reichtum ungeschoren?
Dabei wäre es so einfach: Das Geld liegt für den deutschen Staat eigentlich gleichsam auf der Straße, er müsste sich nur bücken. Das zeigen die Geldwäscheberichte des Europarates (GRECO) und die seltsam zögerlichen Einzugs-Verfahren zu Cum-Ex- bzw. Cum-Cum-Fällen oder dem Mehrwertsteuerbetrug auch noch dem letzten Wähler – kein Wunder, wenn er dann zur AfD gleichsam durch treuloses Verhalten getrieben wird. Von symbolischer Bedeutung ist, dass das Schwarzgeld der Familie eines im Korruptionsgeruch stehenden ehemaligen Bayerischen Ministerpräsidenten immer noch nicht eingetrieben worden ist, vermutlich also seinen Erben zur Verfügung steht. Eine seltsame Lähmung scheint das Land im Griff zu haben, wenn es um dieserart Vermögenswerte geht.
Der Ruf „Es muss ein Ruck durch’s Land gehen“ wird gelegentlich erhoben – bislang ohne große Resonanz. Vermutlich liegt es daran, dass „der“ deutsche Staat eine Chimäre ist – in Wahrheit gibt es Bundesstaaten, die in Konkurrenz zueinander stehen, insbesondere um Cash Cows auf ihrem Gebiet. Treue gegenüber den Partnern im Steuerverbund, den übrigen Bundesländern und dem Bund, wird da von Bundesländern nicht als erste Bürgerpflicht empfunden – die Bundesebene sieht all das treulose Verhalten, darf aber nichts sagen. Das ist nicht erst im Cum-Ex-Fall zu besichtigen, das war im Flowtex-Fall auch schon so. Wer Anschauung sucht, greife zum unvermindert aktuellen Büchlein von Josef-Otto Freudenreich (Hg.): „Wir können alles.“ Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle. Tübingen: Klöpfer & Meyer 2008.
2. Krise als Chance
Nun gibt es eine Großkrise. Jede Krise ist auch als Chance zu begreifen. Russlands Krieg in der Ukraine wurde vom Westen mit Sanktionen beantwortet. Seitdem will man auf illegitimes Vermögen von Sanktionierten, sprich den berühmten russischen Oligarchen, zugreifen. Dazu muss man wissen, welche Vermögenswerte ihnen gehören. Man ist, soll das gelingen, gezwungen, mit den Sitten der Verschleierung von Vermögens- und Besitzverhältnissen aufzuräumen. Daran wird jetzt endlich gearbeitet. Auch Deutschland ist jetzt dazu verpflichtet, die EU ist der Treiber. Die kann mehr Druck machen als GRECO.
BMF und BMWK haben kürzlich den Referentenentwurf für ein Zweites Gesetz zur effektiveren Durchsetzung von Sanktionen (Sanktionsdurchsetzungsgesetz II) vorgelegt.
Der Entwurf zielt auf strukturelle Verbesserungen bei der Sanktionsdurchsetzung und bei der Bekämpfung von Geldwäsche in Deutschland. Aufgrund der europarechtlich vorgegebenen Fristen muss das Gesetz zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Am 26. Oktober 2022 soll der Gesetzentwurf das Bundeskabinett passieren.
3. Inhalte des Sanktionsdurchsetzungsgesetz II
Unter anderem geht es bei dem Gesetz um folgende Punkte:
- Schaffung einer Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung auf Bundesebene. Diese Zentralstelle soll im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen angesiedelt werden
- Schaffung eines Verwaltungsverfahrens zur Ermittlung von Vermögen sanktionierter Personen und Personengesellschaften sowie eines korrespondierenden Registers
- Einrichtung einer Hinweisannahmestelle
- Bestellung eines Sonderbeauftragten zur Überwachung der Einhaltung von Sanktionen in Unternehmen
- Transparenzmeldungen durch die Notare
- Verknüpfung von Immobiliendaten mit dem Transparenzregister
- Mitteilungspflicht von Vereinigungen mit Sitz im Ausland, die Immobilieneigentum in der Bundesrepublik Deutschland halten (auch Bestandsfälle)
- Einführung eines Barzahlungsverbotes bei Immobilientransaktionen
- Maßnahmen gegen Vermögensverschleierungen
- Maßnahmenpaket zur Geldwäschebekämpfung
Das ist eine „technisch“ formulierte Liste.
4. Fragen, die sich aufdrängen
Liest man diese Liste mit den Augen eines aufgeschlossenen Zeitgenossen, so drängen sich die folgenden drei Fragen auf.
- Warum erst jetzt? Am 7. Dezember 2021 hat Präsident Biden bei seinem Video-Treffen mit Präsident Putin – zu Abschreckungszwecken – angedroht: Marschierst Du mit dem versammelten Truppenaufgebot in die Ukraine ein, so werden präzedenzlose Wirtschaftssanktionen des Westens die Folge sein. Erst ein Jahr später bequemten sich die Europäer, die Waffen, mit denen da in ihrem Namen gedroht wurde, überhaupt erst zu fabrizieren, nein, nicht einmal das, sondern die Fabrikationsstätten zu errichten. Wer meint, das sei damals eine ernsthafte Drohung gewesen, zeigt, dass er keine Erfahrung darin hat, wie ein Krieg durch glaubwürdige Drohung zu verhindern ist.
- Es soll nun ein „Verfahren zur Ermittlung von Vermögen sanktionierter Personen und Personengesellschaften“ etabliert werden, dessen Ergebnisse in ein „korrespondierendes Register“ eingetragen werden sollen. Das Interessante an diesem Vorhaben ist die Begrenzung auf „sanktionierte Personen“. Die erheblichen Vermögensbestände von Personen aus der Organisierten Kriminalität und auch derjenigen Personenkreise, die damals den hilfreichen Hinweisen der Bayerischen Finanzverwaltung gefolgt sind, bleiben so ausgeschlossen und nicht ermittelbar. Warum eigentlich der Ausschluss?
- Die Antwort darauf wird sein: Die Vermögensermittlung wird nur möglich sein bei Mitwirkung des verdächtigten Vermögensbesitzers. Das wird der aber unter normalen rechtsstaatlichen Verhältnissen nicht tun; und zwingen kann man ihn nicht, weil kein Verdacht vorliegt. Das ist bei sanktionierten Personen anders. Da hat man Listen mit Verdächtigten. Da ist Beweislastumkehr möglich. Diese Feststellung mündet in die Frage: Wenn Listenrecht den Weg zur Vermögensermittlung öffnet, warum sollte man es nicht auch ausdehnen auf andere als sanktionierte Personenkreise?
Wem die Staatsfinanzen, die Verteilungsgerechtigkeit und die Stabilität in Deutschland am Herzen liegen, wird das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II davor bewahren, allein die Vermögen der „russischen“ Oligarchen ins Visier zu nehmen. Wer die hiesigen angestammten (westlichen) „Oligarchen“ aus dem Visier nimmt, betreibt Wahlunterstützung für die AfD.