Einen Monat nach dem Wahlsonntag ist die Siegerin Giorgia Meloni mit ihren Fratteli d’Italia (FdI) als Ministerpräsidentin installiert nach dem Auftrag zur Regierungsbildung von Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der ihre Kandidatur für den Vorsitz und alle MinisterInnen akzeptiert und das Team vereidigt hat. So steht der Vertrauensfrage des Parlaments nichts mehr im Wege, in denen das Mitte-Rechts-Wahlbündnis jeweils über eine klare absolute Mehrheit verfügt.
Die Phase der Postenvergabe- zuerst in den Parlamenten die für die Präsidien und Fraktionsvorsitze, dann die für das Kabinett- hatte wegen überraschender Winkelzüge und staunenswerten Äußerungen eines der Protagonisten, Silvio Berlusconi, einen hohen Unterhaltungswert. Sie erlaubte aber insbesondere Einblicke in die Interessenlage, die Taktiken zur Durchsetzung und die Machtverhältnisse, mit dem Schluss, dass Meloni im Bündnis das Sagen hat und es sich nicht nehmen lässt.
Es wurden 24 MinisterInnen ernannt, 23 Fachminister und der Büroleiter der Ministerpräsidentin, vergleichbar mit dem Kanzleramtsminister. Vizeminister und Unterstaatssekretäre werden folgen. Den Juniorpartnern „Lega Salvini Premier“ (Lega) „Forza Italia Berlusconi Presidente“ (FI) hat Meloni je eine Handvoll Ministerien zugestanden, für ihre eigenen FdI neun besetzt, außerdem fünf parteilose „Techniker“ einbezogen, die den drei Partnern nahestehen. Den „Moderaten“ um Maurizio Lupi als vierte und kleine Gruppe im Bündnis hat sie kein Ministerium gegeben, aber ein paar ihrer FdI-Senatoren ausgeliehen, damit sie im Senat eine Fraktion bilden können.
Weder hat Salvini für die Lega sein Wunschministerium Innen bekommen noch Berlusconi die Ressorts Justiz und Medien, die ihm für seine Partikular- Interessen wichtig sind. Berlusconi hat vergeblich noch einmal Querschüsse abgezogen, auf die aber Meloni persönlich bemerkt hat, dass sie „non riscattabile“, nicht erpressbar sei. Sie hat ihm, Salvini und Lupi für den gemeinsamen Antritt zu Konsultationen beim Staatspräsidenten und dem Auftritt vor der Presse danach einen Knebel verpasst.
Was für eine Politik steht zu erwarten?
In Konkretisierung der Programme sind die Persönlichkeiten der MinisterInnen und die Umbenennungen der Ressorts für die Ausrichtung aufschlussreich. Statt „ökologische Transition“ heißt das Amt jetzt „Umwelt und Energiesicherheit“; statt „wirtschaftliche Entwicklung“ heißt ein anderes jetzt „Unternehmen und made in Italy“. Bei Landwirtschaft wird “Souveränität“ der Ernährung eingeführt. Zu Chancengleichheit und Familie gesellt sich „Natalita“ hinzu, übersetzbar in „Geburtenfreundlichkeit“. Bei Bildung wurde „Merito“ hinzugesetzt, das „Verdienst“. Die daran zum Ausdruck kommende Ausrichtung in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mit der Kurzformel: Italien und Italiener zuerst, Familie, Meritokratie statt sozialer Stützung, hat Meloni auch mit der Wahl der Personen unterlegt.
Die neue Regierung wird umgehend mit der vollen Wucht der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Ukraine-Konflikts konfrontiert werden, den Sorgen wegen hoher Energierechnungen für Haushalte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen und wegen der allgemeinen Inflation. Dadurch werden die in den Programmen versprochenen haushaltswirksamen Maßnahmen zugunsten Besserverdienender, wie eine Art Flat-Tax sowie Steuervergünstigungen von Geburten mit Ausrichtung auf italienische Empfänger u.a. erst einmal warten müssen, zumal diese nicht unumstritten sind. Selbst der Industrieverband hält nichts von der Flat-Tax, die besonders Salvini vertritt. Der Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti ist auch von der Lega, allerdings eher pragmatisch, was er schon als Minister unter Draghi bewiesen hat. Die Anpassung der Rentenschemata und die Konditionierung das Bürgergelds werden allerdings kurzfristig angestrebt, da sie auch ja Staatsausgaben senken.In der Gesellschaftspolitik ist eher ein Zurückrollen als eine weitere Liberalisierung zu erwarten. Das betrifft Schwangerschaftsabbruch, Lebenspartnerschaften, Sterbehilfe und anderes.
Thema Mafiabekämpfung
In der Sicherheits- und Migrationspolitik steht der neue parteilose Innenminister für Verschärfung und strikte Durchsetzung von Recht und Ordnung, ohne die theatralischen Auftritte, die Salvini so gern mediengerecht vollzieht, dessen Büroleiter er einmal war. Der neue Justizminister Carlo Nordio ist ein erfahrener längst pensionierter Staatsanwalt. Nach jüngeren Äußerungen will er zuvörderst die Gerichts-Verfahren zu beschleunigen anstreben, aber auch die Telefonüberwachung einschränken, die Karrieren von Richtern und Staatsanwälten trennen, die Immunität von Abgeordneten stärken und Verurteilte wieder zu politischen Ämtern zulassen. Dies trifft auf heftige Kritik der aktiven Staatsanwälte, besonders derjenigen, die mit der Mafiabekämpfung befasst sind. Für Verfassungsänderungen wird die Mehrheit in den Parlamenten nicht ausreichen. Daher wird die von Meloni und Salvini angestrebte Direktwahl des Staatspräsidenten wohl so nicht bald kommen.
Während die Regierung in Bezug auf die inneritalienischen Regeln voraussichtlich die Liberalität zurückdrehen wird, dürfte die Außenpolitik erst einmal wenig Änderungen erfahren. Meloni hat trotz der Ausfälle Berlusconis dessen bisher getreuen Antonio Tajani zum Außenminister gemacht, weil der als Ex-EU-Kommissar und Ex-Europa-Parlamentspräsident wie kein anderer Kontinuität mit Europa signalisiert. Der neue Verteidigungsminister Guido Crosetto ist mit Meloni Gründer der FdI, stammt aber nicht aus der postfaschistischen Ecke. Er ist ein Unternehmer in der Flughafen- und Rüstungswirtschaft, somit der Gefahr von Interessenkonflikten ausgesetzt , aber eben auch auf Zusammenarbeit mit der NATO-Rüstungsindustrie ausgerichtet. Der neue Europaminister Raphaele Fitto war Fraktions-Vorsitzender der Europäischen Konservativen und Reformer (Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR)) im Europaparlament, in der die polnische Regierungspartei PiS den Vize stellt.
Zu den Faschismusängsten ist zu beachten, dass die FdI bzw. ihre Vorgängerparteien schon vor Jahren mit den militanten rechten Gruppen wie Forza Nuova und Casapound gebrochen haben. Es ist nicht zu erwarten, dass wieder Schwarzhemden oder Ähnliches für das Bündnis marschieren werden, wohl wird es Großkundgebungen geben. Es wird aber erwartet, dass die demokratischen Spielregeln von dem Bündnis eingehalten werden, auch wenn mit Ignazio La Russa ein Mussolini-Nostalgiker Senatspräsident ist. Gegen die antidemokratischen Tendenzen ist der Staatspräsident ein Garant der Verfassung. Die aktuelle Amtsperiode von Matarella reicht weiter in die Zukunft als die neue Legislaturperiode der beiden Parlamente.
Hält das Bündnis?
Das Mitte-Rechts Bündnis hat es durch geschickte Ausnutzung des Wahlrechts geschafft, mit ca. 44% der Stimmen eine deutliche Mehrheit der Sitze (nahezu 60%) zu erhalten. Das ist aber nur scheinbar komfortabel, denn jede einzelne der drei Haupt-Partner hat genügend Sitze, um die absolute Mehrheit bei Abstimmungen zu verhindern. Es ist auch nicht vorstellbar, dass eine der größeren Oppositionsfraktionen Partito Democratico (PD) und Movimento 5 Stelle (M5S) einspringen würde. Der selbsternannte liberale „Dritte Pol“ um Carlo Calenda und Matteo Renzi hätte einstweilen nicht genügend Stimmen, um Lega oder FI als Mehrheitsbeschaffer ersetzen.
Man muss aber die Frage stellen, warum eine der Haupt-Partner abspringen sollte. Fast jedes der oben angeführten programmatischen Anliegen des Bündnisses hat quer durch die drei bzw. vier Partner Antreiber und Unterstützer. In kaum einem Thema gibt es einen Dissens zwischen den Partnern, schon gar keinen scharfen, der groß genug wäre, um ein Platzen der Koalition zu riskieren. Die Winkelzüge Berlusconis dienten zur Erreichung seiner besserer Vertretung, aber keineswegs als Drohung der Aufkündigung des Bündnisses.
Brüche innerhalb der Parteien
Während es also zwischen den Bündnis-Parteien wenig Dissens gibt, sind Brüche innerhalb der Parteien wahrscheinlich, allerdings nur bei den Juniorpartnern. Berlusconi wird mit dem Alter die totale Kontrolle über die FI verlieren. Schon zuletzt musste er nicht nur gegenüber Meloni nachgeben, sondern auch innerparteilich kämpfen. In seinem körperlichen Zustand wird er den Senatssitz kaum oft wahrnehmen können. Seine Macht sinkt. Die Tiraden zu Putin, Selensky und die Entwicklung der Ukraine und seine größenwahnsinnige Einschätzung seiner eigenen internationalen Rolle scheinen wie ein Endkampf gegen den eigenen Bedeutungsverlust. Sein Instrumentarium aus Einladungen, Druck machen, schmeicheln, großzügig sein und entschädigen – im Klartext: bestechen und erpressen – wird immer weniger funktionieren. Die Gruppe der unbedingten Getreuen und VasallInnen steht einer wachsenden Zahl anderer gegenüber, die entweder die Partei Richtung Calenda verlassen werden oder sich emanzipieren. Möglich ist, dass es noch in dieser Legislaturperiode nach Berlusconi eine neue FI gibt mit einem selbstbewussten Tajani oder jemand anderem an der Spitze.
In der Lega sind die Flügelkämpfe längst entbrannt. Die separatistische bis föderalistische Strömung der originalen Lega Nord macht sich nach den hohen Stimmenverlusten der landesweit ausgebreiteten Lega Salvinis wieder bemerkbar. Salvini hat im Süden nicht verfangen können. Verheerend für die Partei ist jedoch, dass FdI sogar in den venetischen und lombardischen Regionen, ihrem Kernland, bei dieser Wahl im Hinblick auf die Stimmen von der FdI abgehängt wurden. Lega könnte bei den kommenden Regionalwahlen selbst in der Lombardei die Präsidentschaft verlieren.
Aber auch eine wieder mehr autonomistische und föderalistische Lega ohne Salvini an der Spitze würde sich vermutlich hüten, aus dem Bündnis mit FdI auszuscheren, ebenso wenig wie eine neue FI. Es gäbe weit mehr zu verlieren als zu gewinnen, und – wie gesagt – arbeiten einige Persönlichkeiten in den drei Parteien über die Parteigrenzen hinweg bei Themen eng zusammen.
Salvini könnte Recht haben damit behalten, dass dieses Bündnis fünf Jahre halten wird
Bildquelle: https://www.quirinale.it/elementi/72694 via Wilipedia