Seit die Soziologie den Aufstieg und Fall besonderer Jugendkulturen beschrieben hat, die seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts beobachtet werden konnten, gibt es immer neue mediale Versuche, die jeweils gegenwärtige junge Generation in eine zuvor etikettierte Schublade zu stecken.
Die Rocker, Halbstarken, Beatniks, Hippies, Mods und Punks einte über die Jahrzehnte vor allem das Bedürfnis, sich von der Generation der Eltern abzusetzen und zu unterscheiden. Ein bißchen Vatermord schien von Nöten – und war es auch, wenn man an die 68er und ihre Nazi-kontaminierten Eltern und Großeltern denkt. In USA waren die unmittelbaren Vorfahren zwar die Sieger über den Nationalsozialismus, waren aber in den sehr gegenwärtigen Vietnamkrieg verwickelt und schickten ihre Kinder und Enkel nach Indochina in den Tod.
Zumindest in deutschen Feuilletons waren später hilflose wiewohl manchmal unterhaltsame Versuche zu lesen, der jeweiligen Jugend ein Etikett zu verpassen, So sind die Generationen „Golf“, „X“, „Y“ und „Z“ am Beobachter vorbei erwachsen geworden, ohne dass die immer phantasie- und inhaltsloser gewordenen Etiketten besondere Aufmerksamkeit verdient hätten.
Aber jetzt fällt doch etwas auf. Wir haben diesen grässlichen europäischen Krieg seit nun bald 8 Monaten und neben der allseitigen und berechtigten Empörung über den russischen Diktator, der die Ukraine angegriffen hat, fällt auf, dass sehr viele Publizisten und Politiker beiderlei Geschlechts
eine moralisch verbrämte Lust am Kriegstreiben befallen hat. Vorsicht wird als Angst diffamiert, Sorgfalt bei der Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit dem Krieg gilt manchen schon als unterlassene Hilfeleistung und die offensichtliche – und also freche – Lüge, dass Waffenlieferungen dem Frieden oder wenigstens der Begrenzung der Opfer des Krieges dienen würden, wird täglich vorgetragen zuletzt am letzten Wochenende auf dem Parteitag der „Grünen“ in Bonn.
Ein flüchtiger Überblick über diejenigen, die besonders bellizistisch argumentiere offenbart, dass deren Geburtsjahre doch recht nahe beieinander liegen. Ob sie Baerbock, Michael Roth, Toni Hofreiter, von Rohr oder wie auch immer heißen, sind sie zwischen Mitte 40 und Anfang 50. Man könnte geradezu von einer Generation Krieg sprechen. Allein Frau Strack-Zimmermann ist laut Jahrgang erwachsener. Dafür tritt sie ganz besonders Erkenntnisse mit Füßen, die im Nachgang früherer europäischer Kriege einmal fast Gemeingut waren, dass nämlich manifeste Feindbilder das Kriegführen erleichtern und das Beenden von Kriegen erschweren. Sie fordert, dass der Bundeswehr Russland als Feindbild vermittelt werden solle.
Der Verfasser dieser Zeilen hat den WeltkriegII nicht mehr erleben müssen, kennt nur die Trümmergrundstücke, die es noch bis in die 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts gab und die Angst, die seine Mutter bei jedem Probealarm (die es jetzt wieder gibt) befiel, weil sie an die tatsächlichen Fliegeralarme und die sie traumatisierenden Aufenthalte in Luftschutzkellern erinnert wurde. (Sie war wenige Wochen vor dem 8. Mai 1945 vierzehn Jahre alt geworden). Der Verfasser hatte auch Gelegenheit, die Städte Hiroshima und Nagasaki zu besuchen, wo man Eindrücke gewinnt, die sehr sensibel für jede Verharmlosung von Atomwaffen machen.
Wahrscheinlich haben zwischen 1958 und 1980 (sowie bislang auch später) Geborene noch abstraktere Kenntnisse von modernen Kriegen als der Verfasser und vielleicht halten sie auch diesen ewigen (die Ewigkeit zählt allerdings nicht einmal 80 Jahre) westeuropäische Frieden für langweilig; vielleicht sind sie an John-Wayne-Filmen geschult, wo das Gute stets mit der Knarre in der Hand gewinnt – na, es wird wohl eher Tarantino gewesen sein. Offenbar glauben sie ehrlich, in der Ukraine würde „unsere“ Freiheit verteidigt. Wenn unzählige Ukrainer und russische Soldaten getötet sein werden und der Krieg ein Ende gefunden hätte, ist diese Freiheit unverändert von den Orbans, Koszinskys, Melonis, Le Pens, Flamse Belangs, AfDs, Schwedendemokraten und US-Republikanern etc. bedroht, die sich alle bestens mit den Xis und Putins dieser Welt verstehen – selbst, wenn sie mit denen um den Einfluss in der Welt wetteifern wollen.
Einige der hier namentlich genannten verbalen WaffenlieferantInnen waren (bis zum schon erwähnten Bonner Grünen-Parteitag Oktober 2022 in Bonn) glaubwürdige Umweltschützer, KlimaretterInnen und AtomkraftgegnerInnen. Zumindest in dieser Hinsicht müsste ihnen doch klar vor Augen stehen, dass diese Ziele nur global und gemeinsam – wenn überhaupt noch – erreicht werden können. Zweifellos bringt der Krieg für diese existenziellen Ziele schwere Rückschläge mit sich. Ob es schon vor diesem Hintergrund klug ist, alle Türen nach Russland (und anderswo hin) zuzuschlagen, wie es zumindest verbal derzeit auch von politischem Spitzenpersonal gemacht wird, kann leicht mit Nein beantwortet werden. Auch, dass ein Frieden nur ohne Putin denkbar sei, ist ein Spruch, der die Sprecherin – oder auch die ganze deutsche Regierung – im Verhandlungsfalle aus dem Spiel nehmen könnte.
Das Thema vom Zusammenhang zwischen Moral und Politik füllt ganze Bibliotheken und wird natürlich bei der internationalen Politik besonders virulent, weil es dort keine Richter und keinen Strafvollzug gibt und also gegebenenfalls mit Mordbuben nett umgegangen werden muss. Wenn der eine Mordbube Putin (vgl. u.a. Urteil im sog. Tiergartenmord) kein Gas mehr liefert, müssen Wirtschaftsminister und Kanzler eben mit einem anderen Mordbuben, bin Salman, die Hände schütteln. Das Gas, das uns im Winter wärmen und die Energie für die Produktion von Sinnvollem wie von Zweifelhaftem liefern soll, wird dabei nicht moralisch sauberer. Und das modische Gerede von der regelbasierten Außenpolitik wirkt angesichts der Wirksamkeit wichtiger eigener Interessen geradezu lächerlich!
Kriege haben eine eigene Eskalationsdynamik; selbst diese Binsenweisheit wird derzeit ignoriert, wenn immer weiter nach Waffenlieferungen gerufen und die angebliche Schwäche der Atommacht Russland herbei geschrieben wird. Wo das Schlachtfeld eines Atomkrieges sein wird, muss nicht allzu umfänglich erörtert werden – es wird weder in Russland noch in den USA liegen, sondern dazwischen. Mancher, der heute schreibt, man dürfe sich von Atomwaffendrohungen nicht einschüchtern lassen, würde gegebenenfalls nicht mehr dazu kommen, seinen Optimismus zu bereuen.
Die Beispiele machen hoffentlich hinreichend deutlich, über was die „Generation Krieg“ noch alles nachdenken muss. Willy Brandt (für die Generation Krieg: der war Nazigegner und einmal deutscher Bundeskanzler) hat zwar auch gesagt, dass jede Zeit ihre eigenen Antworten brauche, aber dass eine Außenpolitik, die dem Frieden Priorität einräumt, höchst moralisch ist, stimmte zu seiner Zeit genauso wie heute. Wer es nicht glaubt, könnte ins Grundgesetz schauen, gleich die ersten Artikel geben Aufschluss. PS: Alle Versuche, Generationen über einen Kamm zu scheren, waren und sind falsch. So sind mir viele Menschen zwischen ihrem 40. und 50. Lebensjahr bekannt, die anders denken als die MeinungsmacherInnen, von denen in meinem Text die Rede ist.
Es mutet in der Tat schon fast tragisch an, dass der Regierung keine Politiker/innen angehören, die über außen- bzw. sicherheitspolitische Erfahrungen verfügen, wie einst Egon Bahr oder Horst Teltschik. Frau Baerbock bedient die Abteilung „Attacke“, was vielen gefällt. Ob sie auch „Diplomatie“ kann, hat sie bisher nicht bewiesen. Ihre „Weltrettungsrhetorik“, basierend auf dem Gefühl der moralischen Überlegenheit des Westens, ist auf die Dauer wenig hilfreich. Die deutsche Außenpolitik hat sich vollständig den geostrategischen Interessen der USA untergeordnet, obwohl die Interessen durchaus nicht kongruent sind. So dreht sich die Eskalationsschraube immer weiter. Vielen scheint die Phantasie zu fehlen, sich auszumalen, was ein Krieg in Europa bedeuten würde. Sie sollten sich die Bilder der zerstörten Städte von 1945 einmal anschauen. Der Unterschied zum nächsten Krieg wäre wohl, dass es danach nicht einmal mehr Bilder davon geben wird.