Als SPD-Parteichef Sigmar Gabriel seiner Partei einst die Große Koalition schmackhaft machen wollte, tat er so, als habe er eine Idee, wie er seine gebeutelte SPD wieder nach oben führen könnte. Heute, 15 Monate später, ist davon nichts zu erkennen. Die SPD liegt in allen Meinungsumfragen irgendwo zwischen 23 und 25 Prozent, also meilenweit von jener Marke entfernt, ab der man von Regierungsfähigkeit sprechen könnte.
Der Politiker aus Niedersachsen, über den es vor vielen Jahren schon mal anerkennend hieß, er sei der Mann nach Schröder, was bedeuten sollte, Gabriel habe das Zeug, Gerhard Schröder zu beerben, ihm eines Tages als Bundeskanzler zu folgen. Man kann über Schröder, dessen politischer Kurs gewiss nicht unumstritten war, sagen, was man will, aber der wusste, was er wollte. Bei Gabriel weiß man im Grunde nie, was er gerade plant. Man ist bei ihm vor Überraschungen nie sicher. Und das ist gewiss. Der Mann ist ein Schwergewicht- leider nicht als Politiker.
Letzte Woche sah man ihn plötzlich locker und lässig im Kreis von Pegida-Anhängern. Er sei privat da, hat er sein Auftreten begründet, als könnte ein SPD-Chef mal eben als Privatmann mit den Islam-Kritikern reden, so von Mann zu Mann, Gabriel der Kumpel in Lederjacke. Dass diese Leute sehr umstrittenen Parolen, die ausländerfeindlich, rassistisch und auch teils antisemitisch klingen, nachhängen, hat ihn offensichtlich nicht gestört. Wie gesagt, er war ja privat unterwegs. Seine Generalsekretärin hatte kurz vorher jedes Gespräch mit diesen Menschen ausgeschlossen, mit Ausländerfeinden will sie nichts zu tun haben. Was ja auch dem Inhalt der SPD-Politik über Jahrzehnte entspricht. Aber Gabriel schien das nicht zu bekümmern.
Richtige oder rechte Adresse?
Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte in ihrem Leitartikel in der Wochenend-Ausgabe aus der Rede Gabriels zum Amtsantritt als Parteichef, um herauszufinden, warum er zu Pegida gegangen sei. Gabriel habe einst davon gesprochen, als Parteichef dahin zu gehen, wo es brodelt, wo es stinkt, wo also die Probleme zu Hause sind. Ob Pegida die richtige Adresse ist oder ehe die rechte Anschrift? Aber so war Gabriel immer, mal hier, mal da. Das einzig Berechenbare an ihm ist seine Unberechenbarkeit.
Wandel durch Annäherung, lautete einst die politische Philosophie der SPD unter Willy Brandt und Egon Bahr, als es darum ging, Türen in den Osten Europas zu öffnen, Löcher in die Mauer zwischen Ost- und Westberlin zu schlagen, das System des Eisernen Vorhangs zu durchlöchern, damit die Menschen es leichter haben. Die Opposition, man frage den damaligen CDU-Generalsekretär Volker Rühe, versuchte die SPD-Linie madig zu machen, indem er daraus „Wandel durch Anbiederung“ machte. Kein schöner Vergleich, den sich Gabriel aber jetzt gefallen lassen muss.
Die SZ verglich Gabriels Umgang mit Pegida mit der Art, wie die Kanzlerin in ihrer Weihnachtsansprache damit umgegangen war. Angela Merkel hatte den Menschen geraten, sie mögen bitte denen nicht folgen, die “Hass im Herzen“ hätten. So klar hatte man die CDU-Chefin selten gehört und sich von den Pegida-Anführern abgegrenzt. Dagegen verhalte sich der SPD-Chef eher als Grenzgänger, der sich fragen muss, ob das noch Annäherung oder schon Anbiederung ist. Mit seinem Schlingerkurs hat Gabriel die SPD- seit 2009 ist er ihr Parteivorsitzender- nicht einen Meter nach vorn gebracht, eher muss man befürchten, dass die SPD noch weiter zurückfällt. Zwar stellt sie viele Ministerpräsidenten in den Ländern, aber das besagt nicht, dass die SPD dort auch die Meinungsführerschaft habe.
Berlin lähmt die Arbeit in den Ländern
Die Mehrheiten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, um nur diese Regionen zu nennen, sind knapp und könnten sich bei der nächsten Wahlrunde ins Gegenteil verkehren. Und das, obwohl zum Beispiel in NRW eine SPD-Chefin wie Hannelore Kraft regiert, deren Beliebtheitswerte im Lande und darüber hinaus überragend sind. Es ist Berlin, es ist der unklare Kurs der Bundes-SPD, es ist Sigmar Gabriel, der die SPD in den Ländern nach unten zieht. Anders ausgedrückt: Die Große Koalition in Berlin drückt auf die Stimmung in Düsseldorf, sie lähmt die Arbeit namentlich der dortigen SPD.
Dass viele Bürger, Tausende und Abertausende möglicherweise unzufrieden sind mit der Politik oder der Darstellung von Politik, unzufrieden sind mit dem, was in der Hauptstadt gemacht und gesagt wird, weil sie vielleicht die Sprache der Politiker nicht mehr verstehen, weil die Politiker zu weit weg sind von den Menschen und deren Sorgen im Alltag, dies alles hätte Gabriel nicht dazu verleiten dürfen, zu Pegida zu gehen, sondern eher die Idee reifen lassen müssen, von sich aus auf die Bürger zuzugehen, Veranstaltungen landauf, landab zu organisieren zusammen mit der Partei, aber offen für alle Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.
Das ist ein beschwerlicher und langer Weg, wenn man die warmen Büroräume in Berlin-Mitte verlassen würde, um nach draußen zu gehen, sich mitten unters Volk zu mischen, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. Das wäre ein eigener Weg, auf den man die Menschen mitnehmen könnte, vielleicht Wähler, vielleicht künftige politische Mitstreiter gewinnen würde. Und vielleicht würde man den Bürger wieder für die Politik interessieren, wenn sich die Politiker wieder für den Bürger interessierten. Eine höhere Wahlbeteiligung, das wäre doch was. Und damit könnte man Bewegungen wie Pegida den Wind aus den Segeln nehmen und einen eigenen Kurs steuern.
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