Man könnte es kurz machen mit der Bewertung der Niedersachsen-Wahl: Stephan Weil, der amtierende Ministerpräsident des Landes, ein Sozialdemokrat, hat die Wahl klar gewonnen. Bernd Althusmann, der Herausforderer und Mit-Regierer in der großen Koalition, hat sein Wahl-Ziel nicht erreicht. Die FDP zahlt offensichtlich die Zeche für die Politik ihres Vormanns auf Bundesebene, Christian Lindner, der immerhin Bundesfinanzminister in der von Olaf Scholz geleiteten Bundesregierung ist. Klarer Gewinner in Niedersachsen sind auch die Grünen, man sollte aufhören damit, Wahlergebnisse mit Umfrage-Ergebnissen aus den letzten Monaten zu vergleichen. Aber man darf ergänzen, dass auch für sie die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und noch eine Bemerkung: Ja, der Kanzler und die SPD können aufatmen, denn eine Niederlage hätte Scholz doch sehr in die Bredouille gebracht.
Es war ein Sieg des Regierungschefs, der beliebt ist im Land und anerkannt. Dass seine SPD in allen Kompetenzfragen den Mitbewerber CDU überflügelt hat, sogar in Fragen der Wirtschaft wie der inneren Sicherheit, verdankt die Partei ihrem Ministerpräsidenten. Weil ist ein pragmatischer und bürgernaher Zeitgenosse, aber auch machtbewusst, der davon profitiert hat, dass er keine bundespolitischen Ambitionen entwickelte. Er blieb im Lande und ließ sich nicht locken, seinen Hut zum Beispiel in den Ring zu werfen, als es um den SPD-Bundesvorsitzenden ging. Auch die Frage des möglichen Kanzlerkandidaten hat Stephan Weil vor längerer Zeit von sich gewiesen. Das haben die Wählerinnen und Wähler ihm mit ihrer Stimme gedankt. Weil gilt als berechenbar, als ein Mann, der sich um die Sorgen der Menschen im Land kümmert, erdverwachsen, wie es im Niedersachsen-Lied heißt. Die Leute vertrauen ihm und seiner Politik, er ist kein Sprücheklopfer, fast möchte man sagen, ein ehrlicher Makler, dem die Dinge in Niedersachsen am Herzen liegen.
Kriegs-Angst
Es spricht nicht gegen Stephan Weil, wenn man zu seinem guten Ergebnis-trotz einiges Verlustes von wenigen Prozenten- hinzufügt, dass die Menschen ihn gewählt haben, weil wir in schweren Gewässern sind, weil Kriegs-Angst herrscht, überhaupt große Sorge sich in weiten Teilen der Bevölkerung breit macht, wie wir über den Winter kommen. Reicht das Gas, haben wir genug Geld, um die Rechnungen für Energie zu begleichen, überfordern uns die hohen Mieten, die teurer gewordenen Lebensmittel, können wir den Diesel, das Super-Benzin für das Auto noch bezahlen. Wie sieht es aus mit Urlaub oder mit Weihnachten?
Die Wahl ist ein Vertrauensvorschuss für Stephan Weil, verbunden natürlich mit entsprechend hohen Erwartungen, dass ihr Ministerpräsident sie nicht hängenlässt, sondern sich auch in Berlin im Bundesrat und in der Ministerpräsidenten-Runde engagiert, dass man den Bürgerinnen und Bürgern hilft, dass die Gasbremse kommt, möglichst bald klar wird, welche finanzielle Hilfe sie vom Bund und Land zu erwarten haben, dass sie kalkulieren können, was ihnen am Ende noch im Geldbeutel bleibt, wenn etwas übrigbleibt.
Die SPD kann sich einen Moment zufrieden und glücklich zurücklegen, aber nur einen Moment. Denn die Analyse der Wählerwanderung muss den Verantwortlichen im Willy-Brandt-Haus zu denken geben. Ihren Wahlsieg verdankt die Sozialdemokratie den älteren Wählerinnen und Wählern über 60, viele der Jüngeren haben ihr einen Korb gegeben und sich zumeist den Grünen zugewandt. Dafür kann man den Grünen gratulieren, die SPD muss sich Gedanken machen, wie sie wieder für junge Wählerinnen und Wähler attrativ wird. Gerade in diesen Tagen darf man in diesem Zusammenhang an Willy Brandt erinnern, der vor 30 Jahren gestorben ist. Der Kanzler und Friedensnobelpreisträger hatte eine Mehrheit in allen Altersklassen, vor allem aber liebten ihn die Jüngeren, weil er sich früh den Fragen der Zukunft stellte, wie der Umwelt, dem Frieden, dem Nord-Süd-Konflikt, der sozialen Gerechtigkeit, für den das Motto „Aufstieg durch Bildung“ kein loser Spruch war.
Merz´ verbale Entgleisung
Die CDU wird darüber nachdenken müssen, wie sinnvoll Sprüche sind, wie sie ihr Vorsitzender Friedrich Merz wieder mal losgehauen hat, indem er im Zusammenhang mit ukrainischen Flüchtlingen von Sozialtourismus sprach, also Geflüchteten vorwarf, sie würden in deutsche Sozialsysteme einwandern, hier also abstauben. Mies fand ich das, Herr Merz, unsozial ist das und für eine christdemokratische Partei, die immer auch soziale Fragen ins Zentrum ihrer Politik gestellt hat, unwürdig. Solche Äußerungen vertragen sich nicht mit einer Partei wie der CDU, die doch stets größten Wert darauf legt, dass wir in Deutschland die soziale Marktwirtschaft haben, erfunden von Leuten wie Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister unter dem Kanzler Konrad Adenauer und kurzzeitiger Bundeskanzler. Dass die rechtsradikale AfD, in deren Reihen auch Faschisten sind, in Niedersachsen soviel Zustimmung erfahren hat, verdankt sie auch solchen verbalen Entgleisungen wie denen des Friedrich Merz.
Christian Lindner gab noch am Wahlabend das Versprechen ab, dass die FDP und er persönlich zur Verantwortung in der Berliner Ampel stünden. Also zumindest vorerst kein Gedanke an ein Abtauchen der FDP. Wohin sollen sie sich auch wenden, die Freien Demokraten? Die Opposition dürfte kein lohnenswerter Weg für sie sein. Aber sie könnte natürlich versucht sein, den politischen Mitstreitern in Berlin das Leben noch schwerer zu machen. Sie sollte aber bedenken, dass die Menschen Politik erwarten, Entscheidungen in schweren Zeiten, die ihnen das Leben erleichtern. Für Profilneurose ist kein Platz, vielmehr sollten die Liberalen um ihren Porschefahrer Lindner überlegen, inwieweit sie mit ihrer Politik der freien Fahrt für freie Bürger, also auch Vollgas auf der Autobahn, richtig liegen und ein Tempolimit ablehnen. Auch die Steuerpolitik, Herr Lindner, Fragen, wie wir die Reichen stärker an den Belastungen beteiligen und die weniger Betuchten entlasten, wäre eine Sache des Liberalismus, der nicht nur mit dem Bekenntnis zum puren Kapitalismus verheiratet ist. Die Sozialliberalen, die einst mit Brandt und Schmidt regierten, verstanden das besser.
Olaf Scholz kann sich bei Stephan Weil bedanken. Der hat einen sauberen Wahlkampf geführt und sich nicht zu Lasten seines Kanzlers profiliert, was er hätte machen können. Er hat stattdessen Scholz sogar bescheinigt, dieser habe in den schweren Gesprächen um Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger und die Gaspreisbremse konstruktiv verhandelt, geführt. Scholz sollte dies zum Anlass nehmen, seine Informationspolitik zu überdenken. Er muss mehr erklären, damit die Menschen verstehen, was er wirklich will. Auch seine Zukunft hängt davon ab, wie seine Politik und die der Ampel die Bürgerinnen und Bürger über den Winter bringen. Er selbst hat gesagt, wer bei ihm Führung bestellt, bekommt sie auch. Herr Scholz, ich warte darauf, dass dies endlich passiert.
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