Der Berliner Karikaturist Klaus Stuttmann spitzte die ganze Peinlichkeit des Falles Friedrich Merz(CDU) in seiner Zeichnung auf: Er zeigte ein zerbombtes Haus in der Ukraine mit der Frage: Wo sind die Bewohner? Und die Antwort gab eine Person vor den Trümmern stehend: Soweit sie noch leben, lassen sie sich in Deutschland gerade von einem Herrn Merz beschimpfen! Die Unterzeile zu dieser bissigen Karikatur lautet: Mitgefühl Made in Germany. Merz hatte Flüchtlingen aus der Ukraine Sozialtourismus vorgeworfen, der Beifall der AfD ließ nicht lange auf sich warten. Auch aus Putins Reich kam Zustimmung. Feinde Freunde. Derselbe Merz ist Vorsitzender der CDU-Bundespartei und auch Chef der Bundestagsfraktion der Christdemokraten in Berlin. Norbert Blüm, der langjährige Sozialexperte der CDU, viele Jahre Vorsitzender der CDU-Soziallausschüsse, Arbeits- und Sozialminister in allen Kabinetten von Helmut Kohl, würde sich im Grabe umdrehen angesichts dieser Wortwahl seines Vorsitzenden.
Dass Merz später, als seine Worte im Umlauf waren von Nord bis Süd und West bis Ost, bedauerte, „wenn ich da jemanden verletzt habe“, kann man zur Kenntnis nehmen. Mehr nicht, das Foulspiel von Merz war pure Absicht, knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen. Dort liegt seine CDU hinter der SPD, er will punkten, auch bei der rechtsextremen AfD. Dort hatte vor ein paar Jahren schon mal sein Freund im Geiste, Markus Söder, von der CSU mit dem Begriff Asyltourismus gewildert, um Wählerstimmen für die Christsozialen einzufahren. Aber Söder scheiterte, die Leute wählen dann doch lieber das Original, die AfD. Eine „strategische Dummheit“, wie die SZ urteilte und dann noch das sprachliche Bild hinzufügte: „Man kann das Stinktier nicht überstinken.“
Mir fällt dazu ein, wie schnell der Friedrich Merz damals nach Kiew reiste, um ein gemeinsames Foto von ihm mit dem Ukraine-Präsidenten Selenskyj der deutschen Öffentlichkeit zu präsentieren nach dem Motto: Sehr her, Ihr Deutschen, ich, der Oppositionschef, fahre an die Front, um dem bedrohten Volk der Ukrainer im Krieg gegen Russland beizustehen. Ganz nebenbei konnte er dem Bundeskanzler von der SPD, Olaf Scholz, noch einen mitgeben, weil der mit seinem Besuch und Waffenzusagen zögerte. Der Schattenkanzler Merz. Und jetzt will derselbe Christdemokrat eine „größere Zahl“ Flüchtlinge ausgemacht haben, die das deutsche Sozialsystem ausnutzten, indem sie zwischen Deutschland und der Ukraine hin- und herreisten. Und damit „unsere“ Hilfsbereitschaft ausnutzten. Nur so kann man das, muss man das auslegen, Herr Merz. Wo ist eigentlich Ihr christliches Menschenbild? Haben Sie das vergessen mit der Nächstenliebe? Menschen in Not zu helfen, ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben, sie mit Nahrung und Wasser zu versorgen und ihnen medizinische Hilfe zu gewähren, ist das nicht Jedermanns Pflicht hier in Deutschland? Merz geht es um die Wahl in Hannover, darum, der Ampel-Regierung vors Schienbein zu treten mit ihrer angeblich falschen Flüchtlingspolitik. In rechten Kreisen kommt das an, der Stammtisch redet ähnlich.
Der Millionär Merz, der gern im eigenen Flieger zu Hochzeiten auf Sylt düst, hat ganz offensichtlich keine Ahnung davon, was sich in der Ukraine abspielt. Es geht doch um das Leid von Millionen Menschen, überfallen auf Geheiß von Russlands Präsidenten Putin, der Abertausende von Häusern in der Ukraine in Schutt und Asche legen ließ, Tausende von Ukrainern wurden bis jetzt schon getötet, von Gewaltverbrechen ist die Rede, Massengräbern, Millionen von Ukrainern sind auf der Flucht vor Putins Bomben und Granaten. Und einer wie Merz vermutet dahinter Sozialtourismus. Wie billig, schäbig ist das denn?! Und selbst das Bedauern gilt nicht grundsätzlich, sondern ist mit der Bedingung verbunden: wenn seine Wortwahl als verletzend empfunden werde, dann bedauere er, aber nicht, wenn dies nicht der Fall sei.
Noch einmal zurück zur CSU, mit dessen Vorsitzendem Söder sich Merz kurz nach seiner Wahl zusammengesetzt hatte. Ausgerechnet mit jenem Söder, der dem Unions-Kanzlerkandiaten Armin Laschet das Leben schwer gemacht und sein Scheitern bei der Bundestagswahl vor einem Jahr mitverursacht hatte. Großes Einvernehmen herrschte bei dem Treffen. Möglich, dass sie dort die Wortwahl abgesprochen hatten. Asyltourismus und Sozialtourismus, das ist die Sprache der Rechten, der AfD. Und hatte nicht gerade der CSU-Vormann in Brüssel, Manfred Weber, Silvio Berlusconi, dem Dirigenten der neuen rechten Mehrheit zusammen mit den Neofaschisten, Wahlkampfhilfe in Italien geleistet? Oh ja, am Tag nach der Wahl fanden sie bei der CSU das Tun des Herrn Weber nicht so angebracht. Das nehme ich denen nicht ab. Erst wird Foul gespielt, danach heißt es, war nicht so gewollt. Übrigens war Sozialtourismus das Unwort des Jahres 2013. Begründung: es diskriminiere Menschen, die aus reiner Not nach Deutschland geflohen seien, in der Hoffnung, hier eine menschlichere Zukunft zu finden für sich und ihre Familien.
Der CDU-Arbeitnehmer-Flügel sieht das Verhalten von Merz genauso. „Merz hat die übliche Methode der Rechtspopulisten angewandt: Erst Grenzen überschreiten, dann zurückzurudern“, kritisiert Christian Bäumler, Vizechef der CDA. Damit schade er sich und der Union. Bäumler stellt im Gegensatz zu Merz klar, dass 90 Prozent der Flüchtlinge aus der Ukraine Frauen, Kinder und Jugendliche seien. Wer diese Menschen als Sozialtouristen diffamiere, schädige das Wertefundament der Union.
Bildquelle: Wikipedia, Harald Dettenborn, CC BY 3.0 DE