Nach der ersten Aufregung, mit Jubel und Verdammnis im politischen Raum, über den Wahlsieg der Postfaschistin Giorgia Meloni sind in Italien und im Ausland viele Beobachter eher um Gelassenheit bemüht, auch die Korrespondenten der deutschen Medien. Es wird daran erinnert, dass es eine Art Rückkehr zu einem demokratischen Normalzustand ist, wenn nicht mehr eine (fast-) Allparteienregierung eines Nichtgewählten im Amt sein wird, und dass Melonis „Brüder Italiens“ schon mehrfach an der Regierung waren, allerdings als Juniorpartner von Silvio Berlusconis Forza Italia oder als Teil einer gemeinsamen Partei.
Am zweiten Tag nach der Wahl im komplizierten Kombiverfahren mit Mehrheits- und Verhältniselementen sind Stimmenanteile und Sitzverteilung in beiden Häusern geklärt, aber vieles Weitere noch nicht. Die strategisch gemeinsam zur Wahl angetretene Mitte-Rechts-Gruppe wird in beiden Häusern mit fast 60% der Sitze vertreten sein, bei einem gemeinsamen Wahlstimmenanteil von jeweils nur ca. 44%. Der Gruppe ist es durch Verzicht auf konkurrierende Kandidaten gelungen, fast 80% der nach Mehrheit vergebenen Sitze einzunehmen.
Fehler der Sozialdemokraten
Die Führung der Sozialdemokraten (Enrico Letta des Partito Democratico) muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dieses Missverhältnis wahlstrategisch und -taktisch nicht vermieden zu haben. Letta hat dem stärksten möglichen Partner, der Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle), eine frühe kategorische Absage erteilt und dann weitere wahltaktische Fehler begangen, sodass der PD nur mit kleineren Partnern ein Bündnis zustande gebracht hatte. Die Mitte-Links Gruppe kann so nur auf 20% der Abgeordneten bzw. Senatoren zählen, bei 26% der Stimmen.
Die M5S haben sich aus der Ächtung – wegen der Nicht-Abstimmung und Enthaltung zu Gesetzen der Regierung Draghi – erholt, und unter Führung von Giuseppe Conte es mit sozialpolitischen Themen allein noch auf 13% der Delegierten gebracht. In der „Mitte“ haben sich zwei prominente Ex-Sozialdemokraten (Carlo Calenda und Matteo Renzi) jetzt als „Liberale“ geoutet und noch 5% der Sitze ergattert. Nicht nur ist die Opposition klar in der Minderheit, sie ist auch tief gespalten. Es wird Rücktritte und Bedauern brauchen, bevor es gemeinsame Initiativen geben kann.
Man kann davon ausgehen, dass Staatspräsident Sergio Mattarella (ehemals PD) Frau Meloni mit der Regierungsbildung beauftragt. Sie wird dann voraussichtlich mit dem Rechtsbündnis eine Koalition bilden. Welche Personen aber Schlüsselministerien erhalten, ist ungewisser als erwartet. Da ihre eigene Partei (FDI) im Verhältnis zu den Partnern Lega/Salvini und FI/Berlusconi viel stärker geworden ist und das Sammelsurium der „Moderaten“ bedeutungslos geblieben ist, kann Meloni sicherlich mehr von ihren eigenen Leuten durchsetzen.
Das mögliche erwartete Personaltableau wird viel über die Ausrichtung der Politik aussagen, gerade in den wichtigen Ministerien.
Möglicherweise wird Salvini (nach dem Absturz der Lega bei den Wahlen) nicht Innenminister, was weniger Aufsehen um Flüchtende und Kriminalität mit sich bringen würde, aber nicht unbedingt eine weniger ausgrenzende Politik. Es wird eine „harte Hand“ sein. Bedauerlicherweise hat Europa Italien jahrelang allein gelassen mit der Bewältigung der erneut wachsenden Migrationsproblematik über das Mittelmeer, und bietet bis heute wenig an.
„Techniker“ als mögliche Minister
Der von Meloni vorgesehene Justizminister würde weitere Justizreformen vorantreiben. Richterschaft und Staatsanwaltschaften haben sich in Italien einen guten Ruf erworben, vor allem in der unnachgiebigen Verfolgung der Mafia, aber auch von korruptionsverdächtigen Politikern und deren Verbindungen. Leider hat es in der Selbstverwaltung der Justiz auch Postengeklüngel gegeben, der sich zu einem Skandal ausgeweitet und den Ruf der Justiz beschädigt hat. Angesehene Staatsanwälte aus den Antimafia-Pools haben sich kürzlich schon gegenüber Justizreformen Mario Draghis besorgt geäußert und fürchten von der neuen Regierung weitere Einschränkungen. Ein Referendum zu Justizreformen, vorangetrieben von den Mitte-Rechts-Parteien, ist vor einigen Monaten jämmerlich gescheitert. Mit den neuen Mehrheiten könnten die Pläne jetzt umgesetzt werden. Der Wechsel von der Judikative zur Legislative soll nur auf einmal beschränkt werden. Abhörregeln bei Ermittlungen sollen eingeengt, die Revisionsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft eingeschränkt werden, was Politikern wie Berlusconi und Renzi (auch persönlich) entgegenkommt.
Wirtschaftspolitisch ist Meloni ein unbeschriebenes Blatt. Es wird vermutet, dass sie auf „Techniker“ zurückgreifen wird, oder auf Minister der früheren Regierungen Berlusconi, in der auch sie vertreten war: Es wird eine Fortsetzung der Politik Draghis erwartet mit ein paar Änderungen. Sozialpolitisch ist sie für die Abschaffung des “Bürgergelds“, eine Art Hartz IV, das die erste Regierung Conte eingeführt hat. Das „Bürgergeld“ ist wegen Missbrauchs in die Kritik gekommen, hat aber nach Einschätzung von Fachökonomen wirtschaftspolitisch stabilisierend bei der Überwindung der Pandemiefolgen gewirkt. Die Haltung dazu zeigt, dass Melonis Partei keine linke Agenda zugunsten unterer Einkommensklassen und Schichten hat.
Dazu passt ihre Positionierung zu den sozialen Fragen. Sie wird keine weitere gesellschaftspolitische Liberalisierung betreiben, in ihren Ankündigungen nahm sie eher restriktive Positionen beim Schwangerschaftsabbruch, bei der Elternschaft von Gleichgeschlechtlichen und bei der Sterbehilfe ein, die zuletzt in der Diskussion waren.
Berlusconi ist gebrechlich
Falls sie Antonio Tajani, den ergebenen Sprecher Berlusconis, zum Außenminister macht, wäre das eine klare Botschaft der Zugehörigkeit zur und Kooperation mit der EU. Tajani war EU-Kommissar und EU-Parlamentspräsident. Berlusconi hat zwar immer noch alle Zügel seiner Partei in der Hand, ist aber gebrechlich. Er hat übrigens das Kunststück fertiggebracht, den Mehrheitswahlkreis Monza klar zu gewinnen, dessen Fußballverein er in die Serie A geführt hat. Sollte Tajani zunehmend eigenständige Macht in der Partei Forza Italia gewinnen, wäre das für die EU-Orientierung weiter förderlich. Das alles kann aber anders kommen, wenn Meloni einen ihrer eigenen Leute zum Außenminister machen sollte.
Was kann man mittelfristig erwarten? Die Regierung kann stabil sein wegen der klaren Mehrheit der Sitze in beiden Häusern. Sie könnte es verschmerzen, wenn einige Abgeordnete oder Senatoren wie in der Vergangenheit ihre „Jacke wechseln“ oder wenn diese mal wieder eine neue Partei gründen würden. Die beiden Juniorpartner Lega und FI haben allerdings jeweils genügend Sitze, um die Mehrheit einer Regierung Meloni in Abstimmungen zu kippen.