Die Wiesn? Die Wiesn! Dazwischen liegen Wahnsinn und Freude. So muss man das wohl sehen, wenn man selbst in Pandemiezeiten wie diesen das größte Volksfest der Welt feiert. In München, am Samstag gehts los. Erwartet werden zwischen sechs und sieben Millionen Besucher aus aller Welt. „0´zapft is,“ ruft der Münchner OB Dieter Reiter, wenn pünktlich um 12 Uhr das erste Faß Bier angeschlagen-nach wieviel Versuchen?- und die erste Maß eingeschenkt ist. Oder soll man, wie es die „Süddeutsche Zeitung“am Dienstag auf ihrer berühmten Seite 3 meisterhaft ironisierte, eher davon reden, dass: „0gsteckt is“. Weil sie dieses Mal auf dem Oktoberfest nicht nur zählen, wieviele Ochsen geschlachtet werden, um die hungrigen Mäuler zu stopfen, und wieviele Maß Bier getrunken werden, sondern wie viele sich infizieren. Mit Corona, denn die Seuche ist ja nicht vorbei. Und damit muss man rechnen, muss befürchten, dass bei diesem Massenfest, wo es keinen Abstand gibt, keinen Mundschutz, wo gesungen wird und sich untergehakt und umarmt wird, an Spitzentagen mit 600000 Besuchern es auch Spitzenwerte von Corona angesteckten Zeitgenossen geben wird. Ein Fest der Rekorde, wie immer, nur anders. The Games must go on. Oder wie es im Feuilleton heißt: München braucht jetzt dringend ein wenig mehr Exzess. Aber was heißt schon München, wir alle- oder?
Man könnte ergänzen, um den Besuchern noch ein bisschen mehr Wasser ins Stark-Bier zu kippen, dass wir in Kriegszeiten leben, dass die Ukraine mit Unterstützung des Westens sich mit aller Macht und Kraft gegen Russland zur Wehr setzt. Mit Tausenden von Toten und Verletzten, massiven Zerstörungen. Man könnte daran erinnern, dass wir wegen des Krieges mit Gas sparsam umgehen müssen, weil Putin uns den Gashahn ohnehin schon fast zudreht, um uns klein zu kriegen, zu erpressen. Gaskrieg kann man das nennen des russischen Diktators gegen den Westen, gegen Deutschland, um uns wegen der Sanktionen, die man über ihn und sein Land verhängt hat, zu bestrafen. Alles kein Thema, die Wiesn findet statt in diesem Jahr, nachdem sie 2020 und 2021 wegen Corona ausfallen musste. Kalt duschen ja, die Heizung auf 19 Grad runter, aber die Spiele gehen weiter.
Beim Käfer sehr fein
Das mit den Energiekosten will die Stadt München nicht gelten lassen. Die Wiesn-Pressestelle betont, das Oktoberfest verbrauche vier Gigawattstunden Strom und zwei an Gas. Dies seien nur 0,6 und 0,1 Promille des jeweiligen Gesamtverbrauchs der Stadt pro Jahr. Der Gastronom Schottenhamel, der ein eigenes nach ihm benanntes Fest-Großzelt hat und Vorstand des Münchner Gastro-Verbandes Dehoga ist, relativiert im „Bonner Generalanzeiger“ die Kosten an einem Beispiel: In einem modernen Grill einer Großküche ließen sich 150 Hendl mit der Energie braten, die vier Privathaushalte für je zwei Hendl im Backofen benötigten. Dann ist es ja gut, oder? Auf gehts.
Wie auch immer, diese Debatte wird keine Gewinner haben. Und es stimmt ja, es gab immer Befürworter und Gegner der Wiesn, schon wegen der Größe, des Lärms, des Umweltschutzes. Ich habe früher des Öfteren die Wiesn besucht, als Student haben wir uns nur eine Maß leisten können, das Hendl war zu teuer. Später, als wir Geld hatten, um selber bezahlen zu können, war man eingeladen im Käfer-Zelt. Genau bei dem. Sehr fein. Der Ort der Schickeria, zumindest der Leute, die sich dafür halten. So ist das Leben. Es war laut, stickig, eng, es wurde gesungen, mehrere Kapellen wechselten sich ab, damit ja keine Stille aufkam, die hätte ja gestört. Es wurde in den engen Reihen getanzt, getrunken. Es war was los. Am Ende hatte man keine Stimme mehr, der Kopf dröhnte. Und draußen vor der Tür zum Zelt standen viele Menschen Schlange, die gern mit uns getauscht hätten, um im Zelt dabei zu sein, wo das in München stehende Hofbräuhaus besungen wurde oder andere deutsche Volkslieder.
Gutes Signal in schwerer Zeit
Die Freunde des sogenannten Volksfestes lassen sich durch nichts den Spaß an der Wiesn nehmen. O´zapft is, das ist für manche der Auftakt für ein Freudenfest, das Tage dauern kann. Der Rheinländer hat ja schließlich auch seinen Karneval, den nicht alle außerhalb der närrischen Regionen verstehen. Dass die Wiesn stattfindet, hat sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder als „ein gutes Signal in schwerer Zeit“ begründet. Andere ergänzten, nach all den Zurückhaltungen der letzten Jahre, wenn man so will auch mancher Entbehruungen wollen es die Leut mal wieder krachen lassen. Und wer es kleiner will, leiser, kann ja auf die alte Wiesn gehen, die oide. Freunde tun es. Damit es nicht falsch verstanden wird: die Wiesn ist ein Ereignis in München, in Bayern. Man sieht ganze Familien in Tracht herumlaufen, in Dirndln und in Lederhosen, es müssen nicht immer Einheimische sein, die Zugezogenen machen oft auf echter. Der FC Bayern stattet seine hochdekorierten Kicker extra zur Wiesn mit eigens dafür entworfenen Trikots aus. Mia san mia oder mia san Bier? Jeder, der meint, dass er wer wär, will dabei sein. Volksfest oder Treff der Schickeria? Wohl beides.
Es ist die 187. Neuauflage der Wiesn, deren Anfänge auf die Hochzeit von Prinzregent Ludwig von Bayern, dem späteren König Ludwig I., mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen zurückgehen. Anlässlich dieses Ereignisses hatte ein Mitglied der Bayerischen Nationalgarde-ein gewisser Andreas Michael Dall`Armi- ein Pferderennen vorgeschlagen, das von Max I. Joseph von Bayern gutgeheißen wurde. Die Hochzeit und das Pferderennen fanden im Oktober des Jahres 1810 auf der Wiese statt, die später nach dem Namen der Braut Theresienwiese genannt wurde. Ohne Bierzelt und Fahrgeschäfte.
Ein Riesengeschäft
Heute sind 487 Betriebe auf der Wiesn zugelassen, die meisten aus der Gastronomie und dem Schaustellergewerbe.
17 Festhallen bieten insgesamt 120000 Sitzplätze. Die Maß Bier kostet zwischen 12.60 und 13.80 Euro, 16 Prozent mehr als auf der Wiesn 2019. Damals wurden 7,3 Millionen Maß Bier ausgeschenkt, 870000 Hendl verkauft und 124 Ochsen gegessen. Der Gesamtumsatz lag bei rund 1,2 Milliarden Euro. Ob es neue Rekorde zu vermelden gibt? Man versteht schon wegen der Zahlen, warum die Wirte und Schausteller, aber auch die Kellnerinnen und Kellner, Taxifahrer und Hoteliers so darauf erpicht sind, dass die Wiesn unbedingt wieder stattfinden müsse. Es ist ein Riesengeschäft.
Und natürlich gibt es auch veganes Essen, Speisen für Vegetarier. Also Essen ohne Fleisch und Wurst, mit Gemüse, fein garniert, habe ich gelesen. Vielleicht auch Champagner ohne Alkohol?Pardon, ich versteh davon nichts. Man geht mit der Zeit, auch auf der Wiesn. So hat Katharina Wiemes, Wiesnwirtin, ihr „Café Mohrenkopf“ umbenannt in „Café Theres“, zu Ehren der einstigen bayerischen Königin. Und der dazu gehörenden Süßspeise, deren Namen wir jetzt einfach nicht mehr erwähnen, weil es sich neudeutsch und überhaupt nicht mehr gehört, klingt ja auch rassistisch, gab die Chefin den Namen „Theresienbusserl“. Süß oder? Im Profil der SZ findet sich ein Porträt der Wirtin, die darin weitere Neuerungen ankündigt wie einen veganen Cappuccino und einen ebensolchen Apfelstrudel. Schön, dass meine Frau ihren Apfelstrudel nach altem Rezept backt.
Ich zitiere zum Schluss noch einmal aus der Reportage des „Bonner Generalanzeigers“: Wolfgang Köbele werde mit seiner populären Band „Münchner Zwietracht“ nach 25 Oktoberfesten dieses Mal nicht auf der Wiesn auftreten. Er wolle in dieser Zeit kleinere Volksfeste besuchen, von Berlin über Braunschweig bis in die Schweiz. „Diese Wiesn wackelt hinten und vorne“, sagt Herr Köbele. „Jeder wird mit einem schlechten Gewissen hingehen.“ Würden sich bei kleineren Konzerten mit 2000 Besuchern 20 infizieren, fiele das nicht weiter auf, so Köbele, bei 600000 an Wiesn-Spitzentagen seien das aber 6000. „Das passt alles nicht, diese Wiesn passt nicht zur Zeit.“ Was noch erwähnenswert ist: während der Wiesn rechnen Kliniken in München mit 25 Prozent mehr Einweisungen pro Nacht, die direkt von der Wiesn-Sanitätsstation kämen, lese ich in der SZ. Andererseits sind die Fußball-Arenen seit Wochen wieder voll, Tausende und Abertausende schreien, singen, trinken und liegen sich in den Armen. Und was passiert eigentlich im Winter, wenn es kalt wird? Bleibt die Rasenheizung aus?
Man könnte manches einwenden, es ist entschieden vor Zeiten: die Wiesn findet statt. Wer hingeht, tut es freiwillig. Die Seite-3-Geschichte in der SZ endet so: „Eine Null gibt es im Leben sowieso nie. No risk, no life.“ Ich habe früher den Spruch so gehört:“ No risk, no fun.“ Meinetwegen. Die Bedeutung des Festes der Münchner, das sie seit Jahren mit der Welt teilen, mindestens, wird auch durch die Aufmerksamkeit einer so großen Zeitung wie der SZ für diesen Aufmarsch der vielen in Lederhosen und Dirndl deutlich. Das Streiflicht auf der Seite 1 widmet sich der Wiesn und das feine Feuilleton mit einer ganzen Seite Titel: Würgen für den guten Zweck. Und: Die Münchner Freiheit.