Die erregte Debatte über den Skandal beim Rundfunk Berlin-Brandenburg wird sicherlich noch einige Zeit andauern. Dafür enthält die Geschichte zu viele Facetten, die den Laien staunen und selbst den Fachmann sich wundern lassen. Auch die reflexartige Kritik der üblichen Verdächtigen am System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war zu erwarten. Sie sollte nicht in allen Fällen leichtfertig abgetan werden, aber wirklich neue Ideen oder realistische Vorschläge sind dabei bisher nicht aufgetaucht. Woher auch, ist die Regulierung des Rundfunks durch die Bundesländer doch seit Jahrzehnten in ziemlich ausgetretenen Pfaden erfolgt, die mittlerweile so tief sind, dass sich das Bild vom Hohlweg aufdrängt, aus dem es so gut wie kein Entrinnen gibt.
Dies ist in erster Linie keine Kritik an den Rundfunkanstalten selbst, denn sie haben nur das umgesetzt, was ihnen Politik und Bundesverfassungsgericht ermöglicht haben. Und die in Berlin zu Tage getretenen Unregelmäßigkeiten und Auswüchse sind nicht der Kern des Problems. Sie sind das Ergebnis von Überheblichkeit, falschem Rollenverständnis und Filz. Das muss aufgeklärt und analysiert werden und sollte in allen Anstalten dazu dienen, das Bewusstsein für die dienende Funktion der handelnden Personen zu stärken. Der eigentliche Kern des Problems liegt woanders, nämlich in der Reformfähigkeit und -bereitschaft des Systems. Alle bisherigen Vorschläge – von innen wie von außen – sind entweder nicht wirklich geeignet, das System gründlich zu erneuern, oder sie sind realitätsfremd, weil sie das Beharrungsvermögen und das Eigeninteresse der Anstalten und der Bundesländer nicht einrechnen (wollen). Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass weder die Privatisierung des ZDF noch die Fusion aller öffentlich-rechtlichen Anstalten unter einem Dach realistische Optionen sind, obwohl sich in der Sache gerade über Letzteres diskutieren ließe. Derartiges setzt eine politische Beweglichkeit voraus, die gegenwärtig (noch) nicht erkennbar ist. Selbst die immer wieder angemahnte Fusion von Radio Bremen oder des Saarländischen Rundfunks mit Nachbaranstalten ist so unwahrscheinlich wie eine Neuordnung der Bundesländer, trotz Artikel 29 des Grundgesetzes, der fordert, dass die Länder „nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.“
Womit die Stichworte genannt sind, um die es geht: die Aufgaben und ihre wirksame Erfüllung. Spätestens seit der Veränderung der Medienlandschaft durch das Internet steht eine Anpassung bzw. Neudefinition der Aufgaben und Strukturen des dualen Rundfunksystems auf der politischen Tagesordnung, aber bisher kreißte nur der Berg. Der gerade novellierte Medienstaatsvertrag ist lediglich ein kleiner und zu wenig ambitionierter Schritt in die richtige Richtung. Bestärkt durch das Bundesverfassungsgericht haben sich die Medienpolitiker in den Ländern anscheinend im eigenen Denken verheddert. Es fehlt der Mut zu größeren Schritten, aber möglicherweise hilft ja die jetzige öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema.
Vielleicht wäre in dieser Lage eine Reform, die von innen kommt, ein vielversprechender Ansatz. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, kritisch mit dem umzugehen, was lange Zeit als selbstverständlich galt. Dazu müssen die bisherigen Aufgaben und ihre Umsetzung hinterfragt werden. Das Stichwort Aufgabenkritik stammt zwar aus der öffentlichen Verwaltung, aber die Fragestellung, ob und wie eine Aufgabe wahrgenommen werden soll und ob die Wahrnehmung der Aufgabe sachgerecht und wirtschaftlich ist, könnte hier gut passen. Es geht um den effektiven, also wirtschaftlichen und sparsamen Einsatz der finanziellen und personellen Ressourcen, wenn Klarheit über die Aufgaben herrscht. Das Ziel muss nicht unbedingt sein, die Beiträge für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu deckeln oder zu senken, obwohl die internationale Perspektive hilft zu erkennen, wie gut und komfortabel unser deutsches System ausgestattet ist. Vielmehr geht es um eine offene und ehrliche Diskussion der bisherigen Leistungen und der zukünftigen Möglichkeiten. Eine derartige gemeinsame, öffentlich sichtbare Reformanstrengung aller Anstalten und ihrer Gremien wäre ein wichtiger und vor allem selbstbestimmter Versuch, die Debatte in ruhigere Bahnen zu lenken. Dafür ist die Bereitschaft erforderlich, nicht nur das Verständnis und die Notwendigkeiten der eigenen Aufgaben selbstkritisch zu hinterfragen, sondern z. B. auch, Sendergrenzen zu überwinden, innerhalb der ARD ebenso wie zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio. Auch das ZDF könnte nämlich organisatorisch und programmlich viel enger als bisher mit der ARD vernetzt werden, genauso, wie die Radioprogramme der ARD und des Deutschlandradios viele Doubletten enthalten und der jeweilige Aufwand reduziert werden könnte. Das zu diskutieren und in ein rundes und nachvollziehbares Gesamtkonzept für die digitale Welt einzupassen wäre eine Aufgabe, die von den Anstalten offensiv angegangen werden müsste. Der Sumpf, in den der RBB geraten ist, ist nicht so tief, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht am eigenen Schopf daraus herausziehen könnte.
Jürgen Brautmeier hat die Situation nach dem rbb-Debakel klug analysiert und einen zutreffenden Blick auf notwendige Schlussfolgerungen geworfen. Er hebt einen Punkt hervor: Reformfähigkeit. Dabei kommt es gar nicht einmal so sehr auf die Politik an. Die Sender haben es selbst in der Hand, sich nicht nur vom Image des selbstzufriedenen Redaktionsbeamtentums zu lösen, sondern neue Wege einzuschlagen. Die Stichworte sind Transparenz, Gremienverantwortung, Aufgaben- und Programmkritik. Alles das kann und muss jetzt von ARD und ZDF beherzt angegangen werden. Die bisherigen Abwehrargumente, der rbb sei ein Sonderfall, das alles gäbe es in den anderen Anstalten nicht, entspringen einem selbsthypnotischen Angstreflex. Damit verharren die IntendantInnen im Staus Quo, bewegungslos wie das Kaninchen vor der Schlange. Es ist zu hoffen, dass der rbb eine Singularität in der ARD ist, aber die rechtlichen Grundlagen, auf denen sich dieses Geflecht entwickleln konnte, ähneln sich bei allen Sendern. Und das muss zu denken geben.