Seit 65 Jahren mahnt der Antikriegstag am 1. September: Nie wieder Krieg! Jahr für Jahr wird seit 1957 am 1. September an die Schrecken der beiden Weltkriege und an die schrecklichen Folgen von Krieg, Gewalt und Faschismus erinnert. In Zeiten des Krieges vor der eigenen Haustür und im Angesicht der Gefahr eines dritten Weltkriegs fallen die Mahnungen besonders eindringlich aus. In der von militaristischem Denken durchdrungenen Debatte werden sie jedoch wenig gehört.
„Die Waffen müssen endlich schweigen“, heißt es in der Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), und „Die Waffen müssen schweigen“ steht auch über dem Aufruf von einigen Dutzend SPD-Politikern zum Antikriegstag. Die Zielsetzungen sind die gleichen, die Argumente ähneln sich und die öffentliche Resonanz schwankt zwischen Ignoranz und Empörung. Das Nie Wieder, das seit Jahrzehnten zu den gesellschaftlichen Grundfesten gehörte, hat seine einigende Kraft eingebüßt.
„Der Krieg fährt sich fest. Diplomatie muss im Vordergrund stehen“, erklärt der langjährige frühere Bundestagsabgeordnete René Röspel aus Hagen, der den Aufruf der Sozialdemokraten als einer der ersten unterzeichnet hat. „Es bleibt nichts anderes, wenn nicht immer mehr Menschen sterben sollen.“ Röspel sieht sich einig mit den Bundestagsabgeordneten Jan Dieren, Rainer Keller, Jens Peick, Tina Rudolph und Carolin Wagner, den Europaabgeordneten Dietmar Köster, Constanze Krehl und Joachim Schuster, dem Dortmunder Oberbürgermeister Thomas Westphal, mehreren Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitikern sowie mit dem Historiker Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, auf den sich der Aufruf ausdrücklich bezieht: „Willy Brandt hatte Recht: Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Weder die SPD-Politiker noch der DGB sparen mit Kritik an dem „völkerrechtswidrigen und durch nichts zu rechtfertigenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“. Der Aufruf aus der SPD kritisiert, Kriegsverbrechen wie die Angriffe auf Wohnhäuser, Einkaufszentren, Krankenhäuser, Universitäten und andere zivile Einrichtungen zeigten „die ganze Abscheulichkeit des russischen Vorgehens“. Er versichert, Deutschland und die EU seien solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, er betont das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und bekräftigt die Unterstützung politischer, finanzieller, wirtschaftlicher und militärischer Maßnahmen, „die zu einem schnellen Waffenstillstand und einem Ende dieses Kriegs beitragen“.
Zugleich warnen die Unterzeichner davor, dass die NATO oder einzelne westliche Staaten zur Kriegspartei werden, „weil dies unvermeidlich die Ausdehnung des Kriegs zu einem Dritten – möglicherweise atomaren – Weltkrieg bedeutet“. Die Eskalationsspirale müsse gestoppt werden. Bei jeder Lieferung von Waffen sei die „rote Linie“ zu bedenken, die als Kriegseintritt wahrgenommen werden und entsprechende Reaktionen provozieren könnte. „Die Einrichtung von Flugverbotszonen, die Lieferung von Kampfpanzern oder Kampfjets würden diese Grenze sicher überschreiten.“
Dieser Krieg werde keine militärischen Sieger kennen, heißt es. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssten ihre diplomatischen Anstrengungen für einen Waffenstillstand verstärken und den Austausch mit bisher neutralen Ländern wie Indonesien, Indien oder Südafrika, aber auch mit China intensivieren, um sie für eine Vermittlerrolle zwischen den Kriegsparteien zu gewinnen. Auch die Vereinten Nationen müssten neue Initiativen starten. „Eine Fortsetzung des Kriegs wird nur noch mehr Tote und Zerstörung zur Folge haben. Wir brauchen einen schnellstmöglichen Waffenstillstand als Ausgangspunkt für umfassende Friedensverhandlungen.“
Mit Verweis auf die innenpolitischen und internationalen Folgen fahren die Autoren fort und formulieren politische Forderungen: „Der Krieg droht die Welt in eine Rezession mit wachsender Arbeitslosigkeit zu stürzen. Schon jetzt gibt es weitgehende Auswirkungen auf den Alltag, auch hier in Deutschland. Inflation und knapper werdende Energieressourcen treffen vor allem die Ärmsten. Deshalb müssen wir Kriegsgewinner zur Kasse bitten und hohe Einkommen stärker besteuern. Das stärkt nicht nur den Sozialstaat, sondern ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.“
„Weitaus dramatischer sind die Auswirkungen auf die Länder Afrikas. 50 Millionen Menschen stehen laut UN-Welternährungsprogramm kurz vor einer Hungersnot, 750.000 drohen in einigen Ländern Afrikas zu verhungern. Auch um diese Hungersnöte zu verhindern, muss der Krieg so schnell wie möglich gestoppt werden.“
Angesichts der Dramatik der globalen Krisen wie die Zunahme des Hungers, der Klimawandel, andere schreckliche Kriege, die Migrations- und Fluchtbewegungen, brauche es eine neuen Anlauf einer globalen Entspannungspolitik, „die auf der Basis gemeinsamer Interessen die Kooperation sucht und zugleich robust imperiales Vorgehen wie das Russlands in der Ukraine zurückweist“. Sicherheit und Frieden könnten „nicht gegenseitig errüstet werden“, schreiben die Sozialdemokraten und betonen: „Den Aufrüstungsplänen stehen wir skeptisch bis ablehnend gegenüber. Wir brauchen eine globale Sicherheitsarchitektur auf Basis des Rechts und nicht auf der Basis militärischer Stärke.“
Eine grundsätzliche Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und der EU und dem Westen werde erst in einer Nach-Putin-Ära möglich sein. „Aber solange muss auf der Basis der Zurkenntnisnahme von Realitäten, die einem nicht gefallen, mit der russischen Regierung ein Modus Vivendi gefunden werden, der eine weitere Eskalation des Kriegs ausschließt. Am Ende wird es eine Vereinbarung zwischen der Ukraine und Russland geben müssen.“
„Die europäische und internationale Friedens- und Sicherheitsordnung liegt in Trümmern“, heißt es auch in der Erklärung des DGB. „Diese tiefe Zäsur zwingt uns, neue Antworten zu finden.“ Dabei warnt der DGB vor einer weiteren Militarisierung der Debatte – „Der Ukraine-Krieg darf uns nicht zu dem Irrglauben verleiten, Frieden ließe sich mit Waffen schaffen.“ – und schlägt ebenfalls den Bogen zur Sozial- und Klimapolitik. Jeder Euro, der zusätzlich für Aufrüstung ausgegeben wird, drohe an anderer Stelle zu fehlen. „Die Finanzierung militärischer Friedenssicherung darf weder auf Kosten der Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates gehen und die soziale Ungleichheit in unserem Lande verschärfen. Noch darf sie dazu führen, dass die dringenden Zukunftsinvestitionen in die sozial-ökologi- sche Transformation ausbleiben.“
Die Festlegung der Bundesregierung, den deutschen Rüstungshaushalt dauerhaft auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO oder darüber hinaus aufzustocken, lehnt der DGB „entschieden“ ab. Er fordert die Bundesregierung auf, mit dem angekündigten Rüstungsexportkontrollgesetz „umgehend für eine deutliche Beschränkung von Waffenexporten zu sorgen“, für „eine weltweite Ächtung von Atomwaffen“ einzutreten und dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.
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