Ich werde die Bilder von Rostock-Lichtenhagen nicht vergessen, Bilder von Neonazis, mit dem brennenden Gebäude mit dem schönen Namen „Sonnenblumenhaus“, den zu Tode erschrockenen Menschen, die einst aus Vietnam gekommen waren, um hier zu arbeiten und die nun Zuflucht suchten, ich werde nie mehr die Bilder der johlenden Schaulustigen vergessen, die Beifall klatschten, als Molotow-Cocktails auf das Haus und in das Haus geworfen wurden, das in Flammen aufging. Deutschland im Jahre 1992. Diese Bilder, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als „Schande“ bezeichnete, gingen um die Welt. Deutschland- eine Kulturnation? Wirklich? Wenn Menschen bereit sind, Häuser anzuzünden, in denen Ausländer leben, nehmen sie in Kauf, diese zu töten. Man kann von Glück sagen, dass niemand dabei umgekommen ist.
„Schändlich“ fand der Bundespräsident jetzt bei einer stillen Gedenkfeier in Rostock-Lichtenhagen nicht nur die Täter, die Rechtsextremisten, die teils mit dem Hitlergruß salutierten, schändlich war auch das Verhalten der Polizei, die nicht eingriff, schändlich die Schaulustigen, die dem Spektakel zuschauten, applaudierten und die Täter ermutigten, Steine und Molotow-Cocktails auf andere Menschen zu werfen, schändlich die Politik und Verwaltung vor Ort, die die Geflüchteten tagelang in menschenunwürdigen Unterschlupfen ohne Sanitäranlagen öffentlich campieren ließen und die dafür sorgten, dass die Stimmung angeheizt wurde. Ein rassistischer Mob trieb sein Spiel und hatte seinen Spaß. Die Würde des Menschen ist unantastbar: der Satz galt in Rostock-Lichtenhagen über Tage nicht, ein rechtsfreier Raum hatte sich breit gemacht. Widerlich.
Wehrhafte Demokraten
Frank-Walter Steinmeier erneuerte den Appell an die Bürgerinnen und Bürger, dass ein funktionierender Staat wehrhafte Demokraten brauche, die diesen Staat gegen seine Feinde verteidige. Rostock-Lichtenhagen war ja kein Einzelfall. Es hatte ja zuvor und danach, eigentlich immer wieder Anschläge von Rechtsextremisten gegeben. Man denke an das Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 mit vielen Toten, man denke an den NSU, an Solingen. Damals. 1993, dachte Johannes Rau daran, angesichts der tödlichen Bilder, die sich ihm am nächsten Morgen boten, aufzuhören mit der Politik. Fünf Menschen türkischer Herkunft kamen ums Leben. Man denke an Mölln, Hoyerswerda, Halle und Hanau. An den Mord an den CDU-Politiker Walter Lübcke. Ja, wir müssen uns einmischen und Ausländer schützen, wir müssen dafür sorgen, dass jeder begreift, dass sie dazu gehören zu unserer Zivilgesellschaft. Deshalb müssen sie mit uns zusammen Aufgaben übernehmen, die sie ausweisen als Mitglieder unserer demokratischen Gesellschaft.
Die Politik muss die Worte wägen, wenn sie über Ausländerpolitik spricht. Das Thema taugt nicht für den Wahlkampf, es verbietet sich eine Formulierung, wonach Ausländer in unsere Sozialsysteme einwanderten, wie führende CSU-Politiker es immer wieder getan haben, es verbieten sich Worte wie, das Boot ist voll, weil wir damit genau diesen Rechtsextremen und Neonazis in die Karten spielen. Es gehört sich nicht, wenn Politiker von Beileids-Tourismus reden,wie das einst Bundeskanzler Helmut Kohl ausgedrückt hatte.
Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es im Grundgesetz. Es heißt absichtlich, die Würde des Menschen und nicht die Würde des Deutschen. Menschen aller Hautfarben, Religionen, jeder Herkunft wollen hier bei uns in Frieden leben. Ja, Rostock-Lichtenhagen wird sich so nicht wiederholen, Deutschland ist in den vergangenen 30 Jahren bunter geworden, offener, toleranter. Das belegen die Entwicklungen nach 2015, als die damalige Kanzlerin Angela Merkel ihren berühmt gewordenen Satz sprach: Wir schaffen das. Und damit die Grenzen öffnete für Hunderttausende. Noch einmal an die Kritiker, die zum Glück in der Minderheit sind: Was hätte Merkel denn machen sollen, die Grenzen dicht und bewaffnete Grenzschützer hinschicken, die die Geflüchteten mit Waffengewalt am Grenzübertritt hätten hindern sollen? Die Bilder wären wieder um die Welt gegangen. Und heute haben wir Tausende und Abertausende von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine aufgenommen und bieten ihnen ein Dach über dem Kopf, Sicherheit, medizinische Versorgung, sie bekommen zu essen und zu trinken, ihre Kinder gehen in deutsche Schulen. So muss das sein.
Der Mob und die Geisteshaltung
Steinmeier erinnerte zugleich an das „Gefühl des Verlassenseins“ der Opfer. Es geht dabei nicht nur um Geld, sondern auch um Worte der Entschuldigung, der Teilnahme. Und an die Mitverantwortung der Politiker dachte er auch. Wegducken und Abwiegeln verbieten sich. Wir dürfen nicht länger zusehen, welcher Hass und Hetze täglich in den sogenannten sozialen Medien verbreitet werden, was zeigt: Der Mob ist nicht weg, die Geisteshaltung gegen Ausländer ist ja verbreitet, sie wird längst von einer Partei in allen Parlamenten vertreten, im Bundestag wie in den Landtagen und im Europa-Parlament. Was auch bedeutet, es gibt Menschen, die so denken, sonst würden sie nicht so wählen. Pegida ist nicht verschwunden, die Reichsbürger sind da wie einige Querdenker und Corona-Leugner, die gegen das „System“, wie sie es verächtlich nennen, demonstrieren. Das System, das ist unsere demokratische Republik, sind unsere Regeln des täglichen Zusammenlebens.
Was einschließt, dass wir Kritik üben an der Politik, an Maßnahmen, die wir als ungerecht empfinden und die korrigiert werden sollten. Dagegen zu demonstrieren, zu protestieren, ist Teil der Demokratie, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Kritik heißt aber nicht Hetze und Hass, Kritik heißt verbessern der Situation, heißt nicht Abschaffung des Systems, was die Neonazis betreiben. Die Politik, Regierung wie Oppositon, bekämpft die Corona-Seuche, um den Menschen zu helfen, sie entlastet sie bei der Teuerung durch Gaspreise, wie wir sie gerade erleben als Folge des Kriegs von Russlands Putin gegen die Ukraine. Aber auch das muss gesagt werden: Nicht die Ampel-Regierung ist schuld an der Gas- und Ölknappheit, es ist Putin, der uns erpressen will, um uns gefügig zu machen.
„Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind- und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts.“ Dieser Satz des damaligen Reichskanzlers Josef Wirth(Zentrum) anläßlich der Ermordung des jüdischen Außenminister Walther Rathenau im Jahre 1922 gilt noch heute. Aber anders als damals sind die Kräfte, die sich zu unserer Zivilgesellschaft bekennen, zu Demokratie und Freiheit, Toleranz und Miteinander, in der klaren Mehrheit. Sie zu stärken gegen den Mob, die Feinde der Demokratie, bleibt eine Dauer-Aufgabe. So wie es der Bundespräsident wieder einmal gefordert hat.
Bildquelle: Verbformen.de