Vor wenigen Monaten hat die EU-Kommission Atomkraftwerke für „nachhaltig“ erklärt, und in der Europäischen Union gibt es nicht genügend Mitgliedsländer, um diese Entscheidung zu kippen.
Der Wirtschaftskrieg zwischen dem „Westen“ und Russland als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine hat zu grossen Verwerfungen auf den Energiemärkten geführt. Dramatisch gestiegene Preise für Gas, aber auch für Strom gehen vor allem zu Lasten von Menschen mit niedrigen und durchschnittlichen Einkommen. Die Bundesregierung hat darauf schon im Frühjahr mit ersten Entscheidungen reagiert. Bis heute fehlt aber ein umfassendes Konzept, das Preissteigerungen begrenzt, Sondergewinne abschöpft, einen Preisdeckel für einen Mindestverbrauch an Gas und Strom und Anreize für weniger Verbrauch schafft, damit die sozialen Folgen beherrschbar werden.
Stattdessen versuchen politisch Verantwortliche aus CDU, CSU und FDP eine Renaissance der Atomenergie herbeizureden. Sie verdrängen oder leugnen ihre eigenen Argumente, die zum schrittweisen Verzicht auf Strom aus Atomkraftwerken geführt haben. Jetzt wird wieder – gegen alle wissenschaftliche Erkenntnisse und gegen einen in vielen Jahren gewachsenen gesellschaftlichen Konsens – behauptet, Atomenergie oder, wie man in diesen Kreisen formuliert „Kernenergie“, sei sicher, klimafreundlich und nachhaltig.
Mit einem „Streckbetrieb“ von wenigen Monaten über das geplante Datum der Abschaltung hinaus, wollen viele sich nicht mehr zufrieden geben. Sie wittern die Chance, in Deutschland eine Wende zurück ins atomare Energiezeitalter zu organisieren. Manchen wird das besonders leicht fallen, weil sie aus Opportunismus und nicht aus eigener Einsicht für den Verzicht auf Atomenergie gestimmt haben. Das sind die gleichen, die in den vergangenen Jahren verhindert haben, dass die erneuerbaren Energien, vor allem Sonne und Wind, so ausgebaut worden sind, wie das möglich gewesen wäre. Stattdessen haben sie durch ihre Politik mehr als hunderttausend Arbeitsplätze in der Industrie der erneuerbaren Energien zerstört und Deutschland auf diesem Feld in die Abhängigkeit von China geführt.
Wie aberwitzig die Vorstellung ist, weiter auf Atom zu setzen, macht eine Stellungnahme deutlich, die schon am 6. Januar 2021 veröffentlicht worden, aber ohne spürbares öffentliches Echo geblieben ist. Die ehemaligen Chefs der staatlichen Behörden für Atomaufsicht und Strahlenschutz aus den USA, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien warnen eindringlich vor dem Irrglauben und vor Propaganda-Parolen, dass Atomenergie ein Beitrag sei, die dramatischen Veränderungen des Klimas zu verhindern oder zu begrenzen. Ihre Kernaussage lautet:
„Die zentrale, wieder und wieder wiederholte Botschaft, dass eine neue Generation von Atomkraftwerken sauber, sicher, klein, smart und billig sein werde, ist Fiktion. Die Wirklichkeit ist, dass die Atomenergie weder sauber, sicher noch smart ist, sondern eine sehr komplexe Technologie mit dem Potential grossen Schaden anzurichten. Die Atomenergie ist nicht billig, sondern extrem teuer. Vielleicht am wichtigsten ist die Tatsache, dass die Atomenergie nicht Teil einer realisierbaren Strategie zur Begrenzung des Klimawandels ist und aus objektiven Gründen auch nicht sein kann.“
Mehr denn je müssen die Bürgerinnen und Bürger heute erwarten können, dass alle politisch Verantwortlichen zur Kenntnis und Ernst nehmen, wenn ehemalige Chefs staatlicher Behörden für Atomaufsicht und Strahlenschutz aus ihrer Erfahrung und aufgrund ihres Wissens eindringlich vor einem Rückfall in die Atomenergie warnen.
Hier die Erklärung vom 6. Januar 2021 im Wortlaut:
Öffentliche Stellungnahme
Ehemalige Leiter von Atomaufsichtsbehörden und regierungsamtlichen Strahlenschutzkommissionen erklären: Atomenergie ist keine praktikable Maßnahme um dem Klimawandel zu begegnen
Dr. Greg Jaczko, ehemaliger Leiter der U.S. Nuclear Regulatory Commission.
Prof. Wolfgang Renneberg, ehemaliger Leiter der Abteilung Reaktor Sicherheit, Strahlenschutz, Ver- und Entsorgung im Bundesumweltministerium.
Dr. Bernard Laponche, ehemaliger Generaldirektor der französischen Energiemanagement-Agentur, ehemaliger Berater des Französischen Ministers für Umwelt, Energie und Nukleare Sicherheit
Paul Dorfman, ehemaliger Leiter des Komitees der Britischen Regierung zur Bewertung von Strahlenrisiken
Die Temperaturen auf unserem Planeten steigen. Das sich entwickelnde Wissen über die Auswirkungen der Klimaveränderungen und die Geschwindigkeit des Abschmelzens der Pole zeigen deutlich, dass der Meeresspiegel steigt, zerstörerische Stürme an Stärke zunehmen und häufiger werden – zusammen mit höheren Niederschlägen und Überschwemmungen – und dass Waldbrände immer häufiger auftreten und ungeahnte Ausmaße annehmen.
Im Rahmen wachsender Besorgnis und wachsendem Erkennen darüber, dass der Übergang zu einer weitgehend CO2 freien Energieversorgung immer dringender wird, ist die Atomenergie als Klimaretter in die öffentlichen Debatten zurückgekommen. Aber im Kern der Debatte stehen ungelöste Fragen, ob die Atomenergie überhaupt gegen die Klimaerwärmung helfen kann, ob Atomenergie eine ökonomisch machbare Alternative darstellt, wie sich die Folgen von nuklearen Unfällen auf das Leben, auf die Umwelt und die Wirtschaft auswirken, was mit dem radioaktiven Abfall geschehen soll und wie die Atomenergie zu dem sich entwickelnden Markt erneuerbarer Energien passt.
Die zentrale, wieder und wieder wiederholte Botschaft, dass eine neue Generation von Atomkraftwerken sauber, sicher, klein, smart und billig sein werde, ist Fiktion. Die Wirklichkeit ist, dass die Atomenergie weder sauber, sicher noch smart ist, sondern eine sehr komplexe Technologie mit dem Potential, großen Schaden anzurichten. Die Atomenergie ist nicht billig, sondern extrem teuer. Vielleicht am wichtigsten ist die Tatsache, dass die Atomenergie nicht Teil einer realisierbaren Strategie zur Begrenzung des Klimawandels ist und aus objektiven Gründen auch nicht sein kann.
Um es auf den Punkt zu bringen, wäre Atomenergie als Teil einer Strategie gegen den Klimawandel:
• Zu teuer, um einen relevanten Beitrag zur globalen Energieerzeugung zu erbringen
• Teurer als die CO2 Vermeidung durch erneuerbare Energie, selbst wenn man die Kosten des Netzmanagements beispielsweise auch durch Energiespeicher berücksichtigt
• Zu teuer und zu risikobehaftet für Finanzmarkt-Investitionen und deshalb abhängig von sehr großen öffentlichen Subventionen und Kreditgarantien
• Nicht nachhaltig wegen der ungelösten Probleme des langlebigen radioaktiven Abfalls
• Finanziell nicht nachhaltig, weil keine Versicherung bereit ist, Atomkraftwerke gegen die möglichen Unfallkosten von Schäden radioaktiver Freisetzungen ausreichend zu versichern
• Sicherheitspolitisch gefährlich, weil eine Vielzahl neuer Reaktoren und gerade auch neu vorgeschlagene Reaktortypen dazu beitragen, das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu erhöhen
• Inhärent gefährlich wegen unvermeidbarer Unfälle aufgrund von menschlichen Fehlern, technischen Fehlern und äußeren Einwirkungen; das Risiko wird erhöht durch die Auswirkungen des Klimawandels wie z.B. den Anstieg der Meeresspiegel, vermehrte und stärkere Stürme, Überflutungen mit Auswirkungen auf die internationale Wirtschaft
• Konfrontiert mit zu vielen ungelösten technischen und Sicherheitsproblemen sogenannter „neuer“ Reaktorkonzepte, einschließlich „fortgeschrittener“ und kleiner modularer Reaktoren (SMRs)
• Als Projekt gegen den Klimawandel viel zu groß und komplex, um industriell, technologisch und operativ in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit und in dem notwendigen Ausmaß bewältigt werden zu können. Wegen der ungeheuer großen Zahl der benötigten Kernreaktoren, die gebraucht würden, um einen relevanten Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels zu leisten, der langen Entwicklungs- Planungs- und Bauzeiten sowie der dafür benötigten Kosten ist Atomenergie bereits deshalb keine realistische Option.
06.01.2021