Wir essen zu viel Fleisch, verbrauchen zu viel Gas, das wir zudem aus Russland beziehen, wir fahren zu schnell und zu viel Auto, wir jetten mal eben nach New York, wir kaufen pausenlos neue Klamotten, verbrauchen zu viel Wasser und Lebensmittel, wir schützen unsere Wälder zu wenig, machen aus Wiesen und Äckern Bauland, wir reden über Klimaschutz, ohne dafür ausreichend etwas zu tun, nur schleppend geht die Energiewende voran. All das wissen wir seit langem und wundern uns, dass es schiefgeht, dass es zu Flutkatastrophen kommt, dass Wälder brennen, dass Wasser knapper wird, dass uns im nächsten Winter eine Gasknappheit droht und damit möglicherweise kühlere Räume, dass unser exzessive Lebensstil unseren schönen Planeten derart strapaziert, dass irgendwann Schluss sein könnte.
Schon am 28.Juli hatten wir das Jahresbudget verbraucht, auf Ende Juli also war der Erdüberlastungstag vorgerückt, heißt, wir hatten mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als die Erde erneuern kann. Dieser Tag rückt jedes Jahr mehr nach vorn. Wir wissen das, nehmen das zur Kenntnis, fordern mehr Sparen und Verzicht, Änderung des Lebensstils, weisen dabei aber in der Regel mit dem Finger auf die anderen. Wir doch nicht. Dabei kann dieses Leben auf Pump, auf Kosten der nächsten Generationen nicht grenzenlos so weitergehen.
Maßhalten predigte Ludwig Erhard
Wenn ich das Wort Maßhalten lese, denke ich sofort an Ludwig Erhard, den Wirtschaftsminister unter Konrad Adenauer, ein wohlbeleibter Politiker der CDU, der den Deutschen gelegentlich das Maßhalten predigte. Daraus entwickelte sich später ein Spruch des Kabaretts: Diese Prediger, wir müssten den Gürtel enger schnallen, sie tragen den Bauch nicht selten darüber. Aber das hilft nicht weiter in dieser Lage. Alle müssen sparen, verzichten, höre ich. Auch die, die bisher schon verzichtet haben, weil sie weniger haben? Also die, die regelmäßig zur Tafel gehen, weil das, was sie im Geldbeutel haben, vorn und hinten nicht reicht? Das Problem wird ja oft und gern verkannt, dabei hat es sich ausgeweitet. Gab es 2003 nur 330 Tafeln in Deutschland, so sind es 2018 schon 941, man kann davon ausgehen, dass inzwischen die 1000er Grenze überschritten ist. Ein trauriger Rekord.
Dieser Entwicklung stelle ich die Lindner-Hochzeit vor ein paar Wochen auf der Insel der Reichen, Sylt, entgegen. Lindner, der FDP-Chef und Bundesfinanzminister, der die Hartz-IV-Sätze kürzen wollte, ließ es angesichts seiner Trauung in einer Kirche, der er selber nicht angehört, ziemlich krachen. Die Braut ließ sich im Porsche vorfahren. Einer der Gäste, CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz, flog mit Gattin im eigenen Flieger zur Feier auf die Insel. Vornehm geht die Welt zu Grunde? Man darf sich schon wundern über den Chef der Volkspartei CDU, der ja ganz offensichtlich den Schuss nicht gehört hat.
Es passt in diese Debatte, dass derselbe Lindner sich vehement gegen ein Tempolimit in Deutschland zur Wehr setzt, obwohl dies der einfachste Weg wäre, Sprit einzusparen. Aber es gilt: freie Fahrt für freie Bürger. Vollgas voraus. Freiheit, die sich einer wie Lindner nicht nehmen lassen will. Obwohl eine solche Maßnahme der verpesteten Luft helfen würde, man würde zudem weniger Unfälle mit weniger Schwerverletzten bauen. Hilft alles nicht, die FDP lehnt das ab.
Wenn sich die Welt ändern soll, müssen alle mitmachen. Klar, aber wir sollten dennoch zunächst bei denen anfangen, denen das alles kaum etwas ausmacht, weil sie genug Geld haben, um die Teuerung durch die Inflation gut wegzustecken, denen der teure Diesel im Grund egal ist, weil sie das aus der Portokasse bezahlen, die für teures Fleisch gern mal ein paar Kilometer mit ihrem Auto fahren, weil das Fleisch eben bei diesem entfernteren Fleischer besser ist. Der Preis ist wurscht.
Als Adenauer mit Mantel ins Bett kroch
Wir reden darüber, dass die Heizungen in Wohnungen auf 18 Grad reduziert werden könnten im nächsten Winter. Das ist auszuhalten, lese ich an anderer Stelle und könnte ergänzen, dass Konrad Adenauer im kalten Winter 1945/46 schon mal mit einem Mantel ins Bett gegangen sein soll. Nur ein Beispiel, um zu zeigen, was zumutbar ist. Nicht zumutbar ist es allerdings, wenn den Leuten eine Gasumlage von rund 1000 Euro jährlich droht, die sie nicht bezahlen können, weil sie gerade mal 1500 Euro Netto im Monat verdienen. Alle müssen ran. Heißt, auch der Geringverdiener muss nicht jeden Tag sein Schnitzel essen. Er kann auch kalt duschen, kürzer, er kann das Auto öfter stehen lassen und mit dem Rad zum Einkaufen fahren. Es ist zumutbar, dass der Bäcker, weil er Energie sparen muss, nur noch die Hälfte der sonst üblichen Backwaren anbietet. Unzumutbar ist es nur, wenn das Brot so teuer wird, dass es sich manche nicht mehr leisten können. Heißt wiederum auch: Der Staat muss die Vermögenden und Besserverdiener stärker zur Kasse bieten, damit er die kleinen Leute mit den geringen Einkommen stützen kann. Sie dürfen nicht abstürzen. Dafür muss die Ampel-Regierung sorgen, so verstehe ich den Satz von Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir lassen niemanden allein. Solidarität ist dringender nötig als je zuvor. Wir brauchen kein grenzenloses Warenangebot und auch keinen Lieferservice rund um die Uhr. Der Urlaub kann auch im Lande stattfinden.
Die Folgen der Klimakrise spüren wir schon lange, wir werden sie noch stärker spüren, Hitzeperioden nehmen zu. Wir alle, die Politik und die Wirtschaft voran, müssen dafür sorgen, dass dieses Land umgebaut wird, grüner wird, gerade in den Zentren der Städte fehlt es an grünen Inseln. Wir müssen vorsorgen, damit Flutkatastrophen wie an der Ahr verhindert werden. Wasser muss ablaufen, versickern können. Experten wissen, was zu tun ist. Der Ruf von Markus Söder nach der Kernenergie ist eine Frechheit und ein Armutszeugnis. Warum hat die CSU-geführte Landesregierung in Bayern denn die Windkraft verhindert? Große Teile des Freistaats könnten geothermisch versorgt werden, geschehen ist so gut wie nichts. Klar, auch die Wirtschaft muss mit weniger auskommen, mit weniger Energie. Die Abhängigkeit von russischem Gas haben wir alle gewollt, es war ja so billig. Jetzt haben wir den Salat, müssen umsteuern, handeln, damit wir nicht frieren. Der Tankrabatt war falsch, er kostete Milliarden, solche Maßnahmen verzögern nur den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Das Dilemma des öffentlichen Nahverkehrs ist in allen Städten zu besichtigen. Hier ist dringender Handlungsbedarf. Das gilt auch für das marode Schienennetz. Es muss vieles geschehen, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werden kann.
Bei vielen Dingen geht es auch um soziale Gerechtigkeit. In Vierteln, in denen zumeist Menschen mit niedrigerem Einkommen leben, gibt es oft engere Bebauung, weniger Bäume und Wiesen, weniger Brunnen, mehr lautere Straßen und kleinere Wohnungen. Mehr soziale Gerechtigkeit heißt nicht unbedingt mehr Pendlerpauschale, sondern besserer öffentlicher Nahverkehr und genug bezahlbarer Wohnraum für alle, bessere Schulen und mehr Lehrer.
Alles hängt mit allem zusammen
Es stimmt, wir haben einiges zu verteidigen. Das zeigt der Ukraine-Krieg, den Russlands Präsident Putin führt. Auch gegen das übrige Europa, wenn auch seine Bomben und Raketen uns nicht direkt treffen. Aber er zielt auf unser Modell von Freiheit und Demokratie, weil er Rechtsstaatlichkeit verachtet wie eine unabhängige Presse und eine kritische Opposition, überhaupt jede Form von Pluralität. Die Verschleppung der Energiewende und die törichte Abhängigkeit von Russlands Gas haben dies alles mit in den Vordergrund gestellt. Der Krieg und die Klimakrise sowie die Bekämpfung der Covid-Pandemie erfordern viele Kräfte, sie werden uns nicht überfordern, wenn wir uns ihnen endlich mit aller Macht stellen.
Alles hängt mit allem zusammen. Es geht um unseren Planeten, darum, wie wir ihn unseren Kindern überlassen, damit sie ihn in Solidarität mit dem Süden des Erdballs weiter bewohnen können. Im anderen Fall machen sich weitere Millionen auf den Weg ins vermeintlich bessere Europa, weil sie daheim in Afrika keinen Job haben, nichts zu essen, anfällig sind durch ihre körperliche Schwäche für jede Krankheit, weil ihnen Wasser fehlt, drohen sie zu verdursten. Verzicht muss kein Verlust sein, sondern er kann eine Chance bedeuten, dass diese Erde lebenswert bleibt. Verdrängen wir nicht, dass auch der Kollaps möglich ist, wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen.