Über 100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor Gewalt, vor einem Krieg, vor einem Diktator, sie machen sich auf den Weg ins ferne Europa oder anderswohin, wenn sie daheim in Afrika keinen Job mehr finden, nichts zu essen und zu trinken haben, weil sie befürchten, ihre Familien würden verdursten oder verhungern. Dann gehen sie los, suchen und finden ein Boot, oder wie die jämmerlichen Kähne heißen, mit denen sie übers Mittelmeer nach Frankreich, Italien oder Deutschland zu gelangen hoffen. Viele ertrinken unterwegs, weil das Boot kentert. Ich habe dem Mittelmeer deshalb den traurigen Namen gegeben: Toten Meer. Und wenn sie am Horizont Land in Sicht erkennen, sind sie immer noch nicht am Ziel ihrer Träume, weil das Schiff, das sie unterwegs in letzter Minute vor dem sicheren Tod im Meer gerettet hat, keine Einfahrt erhält.Alltag in Europa.
Wenn man bei uns die Diskussion über Flüchtlinge und Asylrecht verfolgt, bekommt man hin und wieder das Gefühl, als ginge es den Geflüchteten gut, zu gut. Vom Sofa aus werden diese Leiden und Sorgen der Menschen aus aller Welt betrachtet. Und dann kommt man zu der Erkenntnis: Wir können nicht alle Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Als wenn alle nach Deutschland wollten! Und dann nicken wir zustimmend, wenn wir hören, dass Asylverfahren Jahre dauern. Ich finde das unmenschlich.
Angela Merkels „Wir schaffen das“
2015, als die damalige Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen öffnen ließ und viele Zehntausend ins Land kamen, musste sie sich manche Kritik anhören. Dabei hatte sie Politik mit Herz gemacht, im damaligen Augenblick nicht wissend, wo wir die alle unterbringen sollten. Ihr „Wir schaffen das“ brachte ihr und unserem Land in der Welt viel Anerkennung ein, abert auch die Schelte des politischen Mitspielers aus Bayern, vor allem die Brüder und Schwestern aus der CSU zeigten ihr wahres Gesicht, das mit den Buchstaben ihrer Partei nicht viel zu tun hatte. Oder kann jemand ernsthaft die Haltung von Horst Seehofer als christlich bezeichnen, als der damalige CSU-Chef und Ministerpräsident Bayerns die Kanzlerin auf dem CSU-Parteitag abkanzelte. Beleidigend war Seehofers Auftritt. Wer erinnert sich noch an das Bild, als derselbe Seehofer als Bundesinnenminister seinen 69. Geburtstag feierte und grinsend zur Kenntnis nahm, dass just an diesem Tag 69 Flüchtlinge aus Afghanistan in ihre Heimat nach Kabul zurückgeflogen wurden, abgeschoben in ein Land, in dem Krieg geführt wurde.
Nein, Angela Merkel hatte keinen Grund, sich für ihre Politik zu entschuldigen, eine Politik mit menschlichem Antlitz. Seehofers und Söders Attacken damals fallen auf die christlich-soziale Partei zurück. Ihre Argumentation fand ich damals und finde sie heute noch abstoßend: Flüchtlinge wanderten in deutsche soziale Sicherungssysteme ein, beste AfD-Sprache.
Willkommenskultur? Wir sollten das nicht so groß heraushängen, sondern Menschen in Not aufnehmen, ihnen ein Dach über dem Kopf anbieten, ihnen etwas zu essen und zu trinken anbieten, sie medizinisch versorgen und dann in weiteren Schritten ihnen und ihren Kindern ermöglichen, die deutsche Sprache zu erlernen, damit sie sich später in Deutschland zu recht finden. Einen Schulabschluß erwerben, eine berufliche Ausbildung, ja, wenn möglich hier studieren. Das ist zuviel verlangt? Aber brauchen wir nicht dringend Arbeitnehmer für fast alle Berufe, werden nicht händeringend Arbeitskräfte gesucht? Bitte keine Neiddebatte! Geflüchtete sind in der Regel arme Zeitgenossen, wenn sie es bis hierher geschafft haben. Sie haben ja kaum etwas mitgebracht außen den wenigen Sachen, die sie am Körper tragen. Denken wir immer daran, wie es deutschen Flüchtlingen ging gegen Ende des Kriegs und danach, als 12 bis 14 Millionen Deutsche aus den deutschen Ostgebieten, aus West- und Ostpreußen, Pommern und Schlesien, aus dem Sudetenland vertrieben wurden und im übrigen Deutschland eine neue Heimat suchten.Leicht war das nicht und willkommen waren sie vielfach hier auch nicht, weil vieles zerstört war vom Krieg, man im Ruhrgebiet und in Bayern damals auch nicht viel zu essen hatte und die Wohnungen und Häuser zerbombt waren.
Härten der Flucht und des neuen Lebens
Ich habe gerade das Reportagen-Buch „Refugees Worldwide 3″ gelesen. Bedrückende Geschichten von Flüchtlingen aus Afghanistan, aus Libyen, Syrien, Venezuela, Kamerun. Ihre Fluchtgeschichten sind berührend, sie gehen einem nah. Weil sie doch Menschen sind wie wir. Sie beschreiben die Härten der Flucht und des neuen Lebens in einem Land, in dem sie fremd sind. Gleich, ob sie in Amerika angelandet sind, in den Niederlangen, Jordanien oder Argentinien und Wales oder in Berlin.“Meine Erfahrung hat mir gezeigt“, lese ich in einer Reportage, „dass wir, einmal vertrieben, unser Herz an kein Haus mehr hängen, nie wieder irgendwo heimisch werden.“ Jeder Mensch könne sein Haus verlieren. Und gab es nicht immer in all den Jahrhunderten Krisen und Kriege, die Menschen zwangen, sich auf den Weg zu machen irgendwohin, wo sie leben, überleben konnten? Sind wir nicht alle „auf die eine oder andere Weise Flüchtlinge?“
Das Thema Flucht, über das täglich die Medien berichten, ist d a s Thema des 21. Jahrhunderts. Und wir können hinzufügen, es ist aktueller denn je, man denke an die Geflüchteten aus dem Sudan, Somalia, oder der Ukraine. Und überall werden Zäune errichtet, um die Menschen auf der Flucht aufzuhalten, weil Staaten, in die diese Geflüchteten fliehen, sich sorgen um ihre Stabilität. Aber diese Geflüchteten halten weder Zäune oder die Gefahren des Meeres von ihrer Flucht zurück, auch nicht die Angst vor dem Ersticken in Transportern, nicht die Angst vor Schleusern, die sie als Ware betrachten und mit denen sie ein Geschäft machen wollen.
In einem Beitrag lernen wir drei Gesichter des modernen Menschen kennen: Das erste Gesicht zeigt „Leidtragende der Kriege und der Wirtschaft, die fernab ihrer zerstörten Heimat nach einem würdevollen Leben suchen und in deren Augen sich Trauer, Gewalt und die Wunden der Welt spiegeln.“ Das zweite Gesicht zeigt feige Politiker, wie eben den belgischen Minister, der sagte: „Gebt ihnen nichts zu essen, damit keine neuen Flüchtlinge kommen!“ Wie erbärmlich dieser Mann! Oder der italienische Minister, der, als sich die Aquarius mit Geflüchteten an Bord seiner Küste näherte, sagte: „Euer Fest ist zu Ende“. Welches Fest meinte er wohl!? Mich erinnert das an Äußerungen von Mächtigen, die dazu aufrufen, nun müssten alle den Gürtel enger schnallen, die aber selber den Bauch darüber tragen. Kommen wir zum dritten Gesicht, „ein helles Leuchten in einer dunklen Zeit: Es sind jene Menschen, die an den Prinzipien der Menschenrechte festhalten- unzählige Freiwillige, humanitäre Organisationen und Künstler, die herkamen, um die Geflüchteten zu unterstützen, sie mit Kleidung, Schuhen und Lebensmitteln zu versorgen, und die ihnen in der schrecklichen Lage dieses elenden Gefängnisses Gesellschaft leisteten.“
Ich kann das Buch nur empfehlen, es ist keine leichte Bettlektüre, sondern es sind persönliche Reportagen, einfühlsam und bedrückend, weil das Thema nun einmal schwer ist und keine leichte Kost. Der Leser kann sein eigenes Verhalten bei diesem Problem, das es im Grunde in jeder deutschen Stadt gibt, überprüfen.