Sie hassten die Weimarer Republik und mordeten auf offener Straße, 1921 erschossen sie den liberalen Politiker Mathias Erzberger, der saß 1918 im Wald von Compiegne mit am Tisch, als die Sieger des 1. Weltkrieges den Deutschen den Waffenstillstand diktierten, was zum Ende des Krieges führte. Erzberger, einer der machtlosen Unterhändler des Versailler Vertrages, war eine Hassfigur der Rechtsradikalen. Sie hassten nicht weniger den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, doch der Versuch, ihn mit Blausäure zu töten, scheiterte. Scheidemann war die Person, die im November 1918 vom Balkon des Reichstags die Republik ausgerufen hatte. Am 24. Juni 1922 wurde Walther Rathenau, der Außenminister, in seinem offenem Auto auf dem Weg von seiner Villa im Grunewald ins Auswärtige Amt in Berlin erschossen. Die Täter waren Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, einer 170000 Mitglieder zählenden militanten antisemitischen Vereinigung, und der rechtsradikalen „Organisation Consul“.
Republik war erschüttert
Die noch junge Republik war erschüttert. Seit dem Ende des Krieges hatten Rechtsextreme rund 400 Morde verübt, sie hatten Politiker umgebracht, Arbeiter, Frauen, Personen, die sie hassten wie Rosa Luxemburg, Juden wie Rathenau, Sozialdemokraten wie Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern nach dem Sturz der Monarchie, den sie am 21. Februar 1919 umbrachten. Polizei und Justiz verfolgten diese Mörder meist nicht, sie zählten nicht zu den eifrigsten Verteidigern der Demokratie.
Rathenau, ein Intellektueller und Industrieller, sein Vater Emil war der Gründer der AEG, verkörperte in den Augen seiner Mörder die Erfüllungspolitik und eben die Weimarer Republik, „er war der Repräsentant alles dessen, was sie hassten“(Heinrich August Winkler). Er war zudem Jude, ein Kritiker des alten, untergegangenen Deutschlands, das nicht wahrhaben wollte, dass man den Krieg verloren hatte. Sie hatten ihn ja auch in Belgien und Frankreich geführt, dort standen die deutschen Truppen und im Reich erzählte man sich die Geschichten vom bevorstehenden Sieg, aus dem dann die bittere Niederlage und der Waffenstillstand mit all den schweren Lasten wurde, was man als Demütigung empfand. Dabei war Rathenau eine Persönlichkeit, ein deutscher Patriot, der Versailles überwinden wollte(Winkler). Er wusste um die Gefahr eines Anschlags, es fehlte ja nicht an Drohungen gegen ihn, die er kannte und sie Wochen vor dem Attentat einem britischen Offizier anvertraut hatte: „In einigen Teilen meines Landes marschieren Kompanien von Männern im Rhythmus der Worte: Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau.“ Dennoch verzichtete Rathenau auf Schutzmaßnahmen. Die Mörder Rathenaus wurden gestellt, ein Oberleutnant zur See und ein Leutnant der Reserve, der eine starb durch Kugeln seiner Verfolger, der andere nahm sich das Leben.
Fanatischer Antisemitismus
Es herrschte im Land ein fanatischer Antisemitismus, der eine der Grundlagen war für die beispiellose Hetzkampagne gegen den jüdischen Außenminister. In einem Brief des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes Württemberg an den Reichskanzler wurde die Berufung Rathenaus zum Außenminister als „Provokation“ bezeichnet. „Dr. Rathenau kann schon deshalb nicht die Belange des deutschen Volkes vertreten, weil er ja kein Deutscher, sondern ein Jude ist..Wir fordern daher den sofortigen Rücktritt Dr. Rathenaus und die Berufung eines deutschblütigen Mannes auf diesem Posten.“ Die Juden wurden damals schon, wie später noch verstärkt bei den Nazis, für alles verantwortlich gemacht, was den Leuten nicht gefiel oder weil sie selber nicht erfolgreich waren. Die Juden galten als die Urheber der Niederlage im 1. Weltkrieg, „weil sie angeblich die deutschen Arbeiter systematisch mit pazifistischen, marxistischen oder bolschewistischen Ideen zersetzt oder sich auf Kosten des deutschen Volkes bereichert hatten.“(Winkler) Sie waren die Sündenböcke für das eigene Scheitern. Besondern stark ausgeprägt war der Antisemitismus bei Studenten und Akademikern, weil viele die Juden als Konkurrenten um gehobene Positionen ansahen.
Bei einer Trauerfeier für Rathenau(liberale Deutsche Demokratische Partei) griff Reichskanzler Josef Wirth(Deutsche Zentrumspartei) unter stürmischem Beifall der Mehrheit des Reichstags die Rechten an: „Da steht(nach rechts) der Feind, der sein Gift in die Wunde eines Volkes träufelt. Da steht der Feind- und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts.“ Ein Bild, das nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Christdemokraten wie Armin Laschet aufgenommen wurde: Der Feind steht rechts. Und zu demonstrieren, dass man den Taten von Rechtsextremen in der Bundespublik entschlossen entgegentreten müsse. Man darf sie nicht unterschätzen, zumal die Rechten in allen Parlamenten in Deutschland wie im Europa-Parlament politisch vertreten sind, die AfD will diese parlamentarische Demokratie nicht. Aber anders als in den 20er Jahren sind die Gruppen wie die NSU, Freital und wie sie heißen mögen, viel kleiner.
Damals, 1922, war die Weimarer Republik bei den Rechten verhasst, die Bundesrepublik ist ein erfolgreicher Staat, der 2. Weltkrieg wurde von Hitler und Co angezettelt mit Millionen Toten und massiven Zerstörungen. Es mag Enttäuschungen in den Reihen von ehemaligen DDR-Bürgern geben, weil sie sich von der neuen Republik übergangen fühlen, nicht erfolgreich sind, wie sie es sich möglicherweise erhofft haben, ein „gespenstisches historisches Echo wahrzunehmen“, wie ich das gerade in einem SZ-Beitrag las, dazu reicht meine Vorstellungskraft nicht. Auch wenn die Anschläge auf Henriette Reker, die versuchte und verhinderte Entführung von Karl Lauterbach und die Ermordung von Walter Lübcke abscheuliche Taten von Rechtsextremen waren.
Und doch sind wir aufgerufen, wachsam zu sein. Wehret den Anfängen. Damit sich nicht wiederholt, was damals passierte und die halbe Welt nahe dem Abgrund brachte. Der Feind steht rechts. Und der will diese parlamentarische Demokratie zerstören. Wir brauchen eine wehrhafte Demokratie- gegen Verfassungsfeinde. Die Demokratie, so hat es mehrfach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesagt, braucht Demokraten, die für sie eintreten, die für sie kämpfen. Nichts geschieht von selbst. Oder wie ich es gerade gelesen habe in einer sehr guten Darstellung der Umstände des Mordes an Rathenau durch Wolfgang Kaesim Bonner Generanzeiger. Kaes zitiert aus der jüngsten Biografie „Berlin, 24. Juni 1922: Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland“ durch Spiegel-Reporter Thomas Huetlin: „Die Wut habe begonnen, zum guten Ton zu gehören.“ Was ihn erinnert an die zunehmend von Hysterie, Hass und Hetze durchsetzte Gegenwart. Die größte Gefahr für die heutige Demokratie liege, so Huetlin, im „zu schwachen öffentlichen Bewusstsein über die Zerbrechlichkeit demokratischer Institutionen, in einer zu großen Selbstverständlichkeit, mit der die demokratische Verfasstheit betrachtet wird.“ Anders gesagt: Man nimmt alles als selbstverständlich an, ohne Gegenleistung, weder in der Pandemie noch angesichts eines Krieges in Europa, im Grunde vor unserer Haustür, möchte man, dass der Staat einem etwas abverlangt, oder gar zumutet. Kommentiert Klaes. Recht hat er.
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