Ein Gespräch mit einem wahrhaftigen Amateur aus Lust & Liebe zur Klangkunst
M.B.: Bernd Kleiner, Sie haben einen Youtube-Kanal mit inzwischen über 50 ziemlich ungewöhnlichen Filmen. Irgendwo zwischen lang-atmig und kunstvoll, das Wort Dilettant bedeutet ja, jemand erfreut sich, und setzt sich nicht selbst unter angestrengten Leistungs-Druck!
Ja, Dankeschön – „ungewöhnlich“ gefällt mir. Und langatmig ist auch gut. Ich will ja bewusst nicht aufregen – sondern eher abregen – aber dann doch auch ein bisschen anregen. Vielleicht wäre „staunen und sich dann auch mal verlieren“ auch eine schöne Beschreibung. Das Staunen scheint mir doch ein bisschen verloren gegangen zu sein. Staunen braucht Zeit, denn ohne sich dabei in solchen Augenblicken auch zu verlieren ist es kein richtiges Staunen. Ein Philosoph (ich weiß leider nicht mehr wer) hat es mal drastischer ausgedrückt: „Wenn wir nicht mehr staunen, werden wir Angst bekommen“. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie er diesen Zusammenhang hergestellt hat. Ich denke, wenn wir staunen, öffnen wir uns – mit geöffnetem Mund und offenem Herzen, nehmen wir auf. Das ist in jedem Fall ein sehr angstfreier Moment.
Eines der zentralen Probleme unserer Gesellschaften ist ja, dass wir die Komplexität nicht aushalten – was uns dann Angst macht. Und dann finden wir plötzlich einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte gut. Und für „einfache Antworten“ gibt es derzeit leider vielseitige Angebote – da ist für jeden was dabei.
Staunen – sich öffnen – und das Wunder der Vielfalt erleben, wäre ja auch eine schöne Herangehensweise.
M.B.: Staunen braucht Zeit – Ihre Filme brauchen auch Zeit.
Wenn ich mein eigenes so genanntes Nutzerverhalten auf YouTube beobachtete, habe ich recht schnell von einem auf das nächste Video gewechselt – auf der Suche nach dem nächsten spannenden Inhalt. Und ich denke, dass das ein typisches Userverhalten ist. Dies war einer der Gründe, warum mir die Idee zu meinem ganz eigenen Kanal so gefallen hat. Etwas anzubieten, was bewusst keine Inhalte transportiert – um sich, seinen Alltag – auch mal zu verlieren. Und eben nicht zu konsumieren.
M.B.: Erinnern Sie sich an Ihren ersten Film?
Ja. „Lichtbilder“. Ich hatte etwa zwei drei Jahre lang sehr intensiv versucht, das Leuchten von Pflanzen zu fotografieren, wenn die Sonne durchscheint. Das fasziniert mich immer noch. Als hätte die Blume eigene LED´s eingebaut. Für den Film hatte ich dann die besten Fotos zusammengestellt. Als Musik habe ich von verschiedenen Musiker*innen was Schönes zusammengeschnitten und dann bei YouTube hochgeladen. Das war schon sehr aufregend. Und dann kam in roter Schrift: „Urheberrechtsverletzung“. Mein Kopf wurde heiß, sicherlich leuchtend rot, bis ich endlich den Knopf für „Film Löschen“ gefunden und mit verkrampfter Hand und pochendem Herz geklickt habe.
Am anderen Tag fragte ich mich, ob ich nicht selbst den Sound machen kann. Und damit öffnete sich eine neue Welt. Wie schön doch dieser Ausdruck ist. Ein vermutlich urmenschliches Glück, eine neue Welt zu betreten: zu staunen, zu stolpern und unendlich zu verzweifeln, weil man es nicht hinbekommt – um dann doch – irgendwann – eine neue Heimat gefunden zu haben.
M.B.: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche. Ein schöner wahrer Satz!
Haben Sie bei all Ihrer musikalischen Kunstfertigkeit eigentlich gelernt, ein Instrument zu spielen?
Nein, ich habe keine professionelle Ahnung von Musik. Ich kann keine Noten lesen und verstehe nichts von Musiktheorie. Auch mein Gehör ist oft nicht in der Lage zu hören, ob ein Ton niedriger oder höher ist.
Aber: Seit ich denken kann, habe ich mich für Musik interessiert. Und habe immer nach seltsamen neuen Sounds gesucht. Und es gab immer viel zu entdecken. Musik ist also schon lange meine Leidenschaft – die mit dem „selber machen“ eine neue Ebene gefunden hat. Und wenn es geht, versuche ich, diese ursprüngliche Lust auf „neuen Sound“ immer von Neuem in mir aufleben zu lassen.
M.B.: Woran arbeiten Sie gerade?
Der neue Film hat den Titel „Space flight over Antares“. In einigen Tagen kann ich ihn veröffentlichen. Antares ist ein „Roter Riese“ im Sternbild „Skorpion“ – also eine Sonne der das Helium ausgeht. Seine Farbe ist ein tiefes gelb, welches leicht ins rötliche geht – seine Größe ist unvorstellbar. Ein Raumflug über Antaris ist natürlich komplett unrealistisch – aber die Vorstellung ist reizvoll. Und wo die Realität nicht mehr mithalten kann, kann die Kunst zum Träumen anregen.
Die Musik hat 54 Spuren – also 54 verschiedene Sounds, die hoffentlich ein Klangkino schaffen und zum Kopfkino anregen.
M.B.: Klingt nach viel Arbeit. Dabei haben Sie sehr wenige klicks – eigentlich könnte man sagen, dass sich das kaum jemand anschaut.
Ja, das stimmt. Und das ist auch in Ordnung so. Das lässt mir die Freiheit, niemandem gefallen zu wollen. Ich kann machen, was mich neugierig macht – was ich selber sehen und hören möchte. Und wenn ich es mal wieder nicht so gut hinbekomme, wie ich das eigentlich möchte, kann ich trotzdem ganz entspannt bleiben.
M.B.: Das wären Sie ja auch, wenn Sie die Filme gar nicht veröffentlichen würden.
Ja, auch das ist richtig. Das Veröffentlichen ist aber tatsächlich ein wichtiger Anteil des kreativen Prozesses geworden. Wenn die Idee des Veröffentlichens nicht wäre, wäre der kreative Prozess ziellos – und es würde vermutlich nichts entstehen. Vermutlich würde ich lustvoll vor mich hin klimpern und hätte auch viel Freude daran. Aber es würde nichts entstehen. Ich denke, ein kreativer Prozess ist immer von der Idee des „Schenkens“ genährt. Und etwas zu verschenken ist vielleicht das schönste, was wir erleben können. Solange wir etwas von uns verschenken, sind wir lebendig.
Und zusätzlich ist das Veröffentlichen auch ein „loslassen“. Einige meiner Musikstücke habe ich bei „Bandcamp“ zum Download bereitgestellt. Da habe ich das mit dem „loslassen“ nochmal deutlich erlebt. Um die Stücke an dieser Stelle loslassen zu können, musste ich vorher noch Soundoptimierungen vornehmen – jetzt ist es gut – und habe losgelassen.
M.B.: Und wollen Sie nun, dass auch wir Ihren Kanal empfehlen oder nicht?
Wir könnten doch gemeinsam „Sternstunde Philosophie“ des Schweizer Fernsehens empfehlen.
Gespräche mit hoher gegenseitiger Sensibilität erweitern den Horizont. Und in dieser Sendung wird das seit Jahren auf höchstem Niveau gelebt.
M.B.: Und wovon leben Sie, ich meine Ihren Lebensunterhalt?
Ich arbeite als Physiotherapeut in einer neurologischen Klinik.
M.B.: Beeinflusst diese Arbeit Ihr künstlerisches Wirken?
Es ist eine sehr schöne Arbeit. Und diese Arbeit hat natürlich auch mein Leben mitgeprägt. Und wo Sensibilitäten geweckt werden, erweitert das den Horizont. Somit hat das auch einen Einfluss auf meine künstlerischen Versuche – was ich aber nicht genau benennen könnte. Vielleicht ist es die Sensibilität für das kleine, feine, unaufgeregte, worauf wir uns hoffentlich besinnen können, wenn sich das Leben durch Krankheit – aber z.B. auch durch den Klimawandel oder durch einen Virus einschränkt.
Und ich denke, dass man das üben und kultivieren kann. Als Teil eines Achtsamkeitstrainings. Auch kleine Dinge können glückliche Momente schaffen. Und wir sollten möglichst viele glückliche Momente schaffen – und wenn einfache Dinge glücklich machen, kann man ja auch viele solcher Momente sammeln.
„Glück haben“ ist mir dabei zu passiv – schön, wenn das Glück herbeigeflogen kommt. Meist müssen wir dafür aber etwas tun. Es ist ein aktiver Prozess. Und manchmal beginnt es damit, dass wir über etwas Schönes ins Staunen kommen…