1. Die aktuelle Kaperung der Lana und die Retorsion des Iran
Am 14. April 2022 herrschte in der Ägäis ein schwerer Sturm. Der aus dem türkischen Marmaris kommende russischen Tanker „Lana“ hatte einen Maschinenschaden und suchte deshalb Zuflucht in einer Bucht der griechischen Insel Euböa vor dem Kleinhafen von Karystos. Der Tanker gehörte, so der Stand der Datenbanken, der russischen Promswjasbank, gegen die die EU Sanktionen verhängt hatte. Folglich wurde der Tanker von griechischen Behörden gestoppt. Die Bank konnte zeigen, dass sie den Tanker, der bis dahin Pegas hieß, bereits zum 1. März an eine nicht sanktionierte russische Bank (TransMorFlot) weitergegeben hatte – honi soit qui mal y pense. Eigentlich gelten die EU-Sanktionen auch für russische Schiffe, die nach dem 24. Februar umgeflaggt worden sind – aber es gibt Ausnahmen, für Öl-Transporte z.B.. Daraufhin sollte der Tanker eigentlich weiterfahren. Dass die US-Behörden die „Pegas“ bereits am 22. Februar sanktioniert hatten, übergingen die griechischen Behörden anscheinend.
Dann aber meldeten sich die USA auf der Basis dessen, dass der Tanker Öl iranischer Herkunft an Bord hatte. US-Behörden forderten, dass die Griechen Unterstützung leisten und die „Lana“ weiter festhalten. Auf Basis der von den USA gegen den Iran verhängten Sanktionen soll das Öl auf einen anderen Tanker gepumpt und auf US-Kosten in die USA gebracht werden. Die Umladung auf den Tanker „Ice Energy“, der der griechischen Rederei Dynacom gehört, geschieht gegenwärtig (Stand 27. Mai 2022) im Golf von Karystos.
Die iranische Küstenwache hat daraufhin am 27. Mai 2022 zwei griechische Tanker im Golf von Persien mit einem professionellen Einsatz mit Militär-Hubschraubern festgesetzt. Es handelt sich um die Delta Poseidon sowie die Prudent Warrior.
Der Vorgang läuft gemäß dem Drehbuch ab, welches aus dem Sommer 2019 bekannt ist.
2. Die Kaperung des Grace 1 im Juli 2019
Anfang Juli 2019 hatte der Supertanker „Grace 1“, voll beladen mit 2,1 Mio. Barrel Rohöl im Wert von etwa 120 Mio. US$, seinen langen Weg aus der Golfregion um die Spitze Südafrikas herum gerade hinter sich gebracht und war in die Straße von Gibraltar eingebogen, um ins Mittelmeer zu gelangen. Die Piraterie-gefährdeten Seegebiete vor Westafrika hatte man unbeschadet durchfahren, die Vorräte an Bord waren auffüllungsbedürftig. Mit einem Versorger in der Kronkolonie Gibraltar war vereinbart, dass der bei der Passage beibords ginge und Nachschub brächte – deswegen hatte der Tanker Fahrt herausgenommen und einen Kurs gewählt, der näher an der nördlichen Küste verlief, als bei direkter Passage erforderlich gewesen wäre. Die Grace 1 befand sich in Gibraltars Hohheitsgewässern, es waren die nächtlich-dunklen Morgenstunden des 4. Juli 2019 ….
Da war an Bord plötzlich Hubschrauber-Knattern zu hören; parallel fuhren schnelle Boote, sog. RHIBs (rigid-hulled inflatable boats; dt. „Festrumpfschlauchboote“), an den Tanker heran. Gut 30 Kämpfer enterten das Schiff über Strickleitern, die die Hubschrauber-Besatzung bordwand-abwärts gelassen hatte. Unter vorgehaltenen Waffen wurde der Besatzung mitgeteilt, dass es sich bei den Enterern um britische Marinesoldaten handle, im Auftrag der Administration der britischen Kronkolonie. Die Crew des Tankers wurde an Bord festgenommen.
Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Tanker noch unter der Flagge Panamas – dass er dort vor wenigen Tagen von Knall auf Fall ausgeflaggt worden war, wusste man an Bord noch nicht. Als durch die Medien ging, dass ein Tanker von einem britischen Marinetrupp in den Hochheitsgewässern Gibraltars gekapert und festgesetzt worden sei, war sofort von einem „iranischen“ Tanker die Rede. Dabei war der Eigentümer hinter einer eigentlich, wenn es um Geldflüsse geht, als undurchschaubar geltenden komplexen Unternehmensstruktur verborgen, bei der Management- und Firmen-Sitze in Russland, Singapur, St. Kitts and Nevis sowie Dubai, also den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), im Spiel sind. Es musste also einen ziemlich allwissenden koordinierenden Akteur im Hintergrund gegeben haben.
Auch damals beschlagnahmte der Iran schließlich im Golf von Persien ein Schiff, die „Stena Impero“. In diesem ersten Fall war das von Ajatollah Chamenei persönlich vorher angekündigt worden, Großbritannien hatte daraufhin zum Schutz ein Kriegsschiff in den Golf entsandt, die Fregatte „HMS Montrose“. Doch das half nicht. Am 18. August 2019 kurz vor Mitternacht nahm der in Gibraltar festgesetzte Supertanker, voll beladen, seine Fahrt in Richtung östliches Mittelmeer wieder auf, unter dem neuen Namen „Adrian Darya 1“ und nun unter iranischer Flagge. Auch die „Stena Impero“ durfte dann ihre Reise fortsetzen. Wir schließen von 1 auf n: Demnach wird das Öl auf der „Ice Energy“ nicht die USA erreichen. Die iranischen Behörden hatten schon mitgeteilt, dass sich im Golf gegenwärtig 16 griechische Schiffe befinden … Auch die Wirtschaftskriegsführung wird beherrscht von der Sitte „Wie Du mir, so ich Dir“. Und wie beim Schach kann man sich vorehr die Züge durchdenken, die der Gegner auf eigene Züge hin machen wird. Kalkuliert man ein Remis vorher, muss man nicht anfangen – nur: wie argumentiert man das rechtlich?