Man kann nicht immer nur bedrohliche und gar grausame menschengemachte Katastrophen
besprechen sondern darf sich auch vergleichsweise unbedeutenden Ergebnissen menschlichen Tuns
widmen. Das soll hier geschehen.
Boris Becker sitzt in einem englischen Gefängnis. Ob das der historisch-soziale Zusammenhang ist
für die Renaissance der weißen Tennissocken am weitgehend nackten Männerbein, harrt noch
ernsthaften Forschungsarbeiten.
Schon zu Zeit der Bum-Bum-Boris Wimbledon-Siege wagten zumeist ältere und mit Boris Becker
verglichen eher unsportliche Herren, zu ihren ohnehin anrüchigen kurzen Hosen weiß besockte
Füße in Sandalen zu stecken und so öffentlich herumzulaufen. Es sah verboten aus. Nicht nur, aber
besonders, wenn sich kontrastreich die dunkle Beinbehaarung darüber kräuselte.
Bald stellte sich heraus, dass es sich hierbei um ein deutsches Modephänomen gehandelt hatte, über
das insbesondere die jüngere Damenwelt nach und nach aber fast alle Welt außerhalb
(West-)Deutschlands die Nasen rümpfte. Seitenweise wurde in einschlägigen Frauen- und
Modezeitschriften sowie auf „Panorama“-Seiten der Zeitungen Hohn und Spott über diesen
Missgriff ergossen.
Das männliche Modeideal war eher noch der elegante, italienische Großstädter ohne Bauchansatz,
der unter lässig getragener Anzughose und leicht offenem Hemd Slipper an den Füßen trug – und
zwar ganz ohne Socken . Braungebrannte männliche Fußfesseln lugten hervor, wenn diese Herren
beim Caffé am Nachmittag die Beine übereinander schlugen und den jungen Frauen hinterher
gafften.
Lassen Sie, werte Leserinnen beide hier angedeuteten Bilder vor Ihrem inneren Auge aufscheinen und sie werden selbst nach Jahrzehnten zu dem Schluss kommen, dass die italienische Variante in langen Hosen ohne Socken im eleganten Lederslipper um Längen besser aussieht, als die gekräuselten Beinbehaarung zwischen Kurzhosenbund und Tennissocke in womöglich auch noch grauen oder beigefarbenen Sandalen. Vom Bauchansatz in oder über der Turnhose ganz zu schweigen. Mit dem Klimawandel hat sich ein modischer Wandel dergestalt ergeben, dass die kurze Männerhose ab einer gewissen Außentemperatur einige Grade über Null fast schon obligatorisch ist. Graue Sandalen, Birkenstocks und Holzpantinen sind hingegen von klobigen und schreiend bunten Plastikschuhen abgelöst worden, die auch nicht mehr Turnschuhe genannt werden, wie noch anlässlich einer Landesministervereidigung in den 80er Jahren, sondern Sneakers. Zugegeben: in Einzelfällen beobachtete klassische Lederschuhe zu diesem Kurzhosenauftritt sehen noch verbotener aus. Vor diesem Hintergrund lassen sich nun vor allem jüngere Menschen beiderlei (oder korrekt: sämtlicher) Geschlechter sehen und hören mit der Botschaft, dass weiße Socken einfach gut aussehen, vermutlich erhöht oder vertieft ein eingestricktes, andersfarbiges Logo von Sportartikelherstellern dieses ästhetische Urteil noch. Wie kommt es zu diesem Wandel, wo kommt das her? Einen der bedeutendsten Kleinkünstler überhaupt, Hanns Dieter Hüsch, möchte ich eingangs der Antwort auf diese Frage zitieren, der über seine niederrheinischen Landsleute die sicher landsmannschaftlich übertragbare Beschreibung abgab: „Wir haben zwar keine Ahnung, können es aber gut erklären“. Also: Es könnte an den sogenannten Füßlingen liegen. Der nackte italienische Fuß im Lederschuh konnte sich nicht durchsetzen, weil sowohl geeignete Lederschuhe ziemlich teuer sein dürften als auch die Bereitschaft, aus Eitelkeit beispielsweise unter juckenden oder schwitzenden Füssen zu leiden, dem (deutschen) Manne nicht gegeben ist. Folglich verfiel man(n) auf die Idee, sogenannten Füßlinge zu tragen. Diese Halb- oder Drittelsocken versprechen die perfekte Tarnung. Nur scheinbar sei der Fuß im Schuh nämlich nackt, tatsächlich aber ist er drittelbesockt. Das Problem: die Füßlinge halten das Versprechen nicht. Nie. Immer schauen sie keck oben aus dem Schuh hervor, als wollten sie ihre nackte Füße vortäuschenden Träger dem Spott aller Fußgängezonenbesucherinnen preisgeben.
Dieser Spott blieb jedoch aus, und zwar weil die meisten anderen Fußgänger sofort ahnten, dass sie
unten herum von ihren Füßlingen genauso genasführt werden, wie der oder die anderen Passanten.
Scham breitet sich aus, zunächst heimlich.
Das wird die Geburtsstunde der Wiederentdeckung der Tennissocke gewesen sein.
Sie, die Socke, ist ja auch ehrlicher als der Füßling.
Bestimmt wird irgendein Marketingexperte noch einen neuen Namen für die in Kinderarbeit in
Asien gestrickten Socken erfinden. SneakerSocks dürfte sich vielleicht wegen der historisch
missbrauchten zwei S nicht durchsetzen – oder gerade wegen doch?