Es gehört zur politischen Hygiene demokratischer Gesellschaften im offenen Dialog auch um die besten politischen Lösungen zu ringen. In Krisenzeiten geschieht dies mit heftigerer Schärfe als in „normalen“ Zeiten, die überwiegend von immer wiederkehrenden Verteilungsstreitereien gekennzeichnet sind. Entwickelte westliche Industriegesellschaften sind durch ein nervenfeines Netz kommunizierender Röhren aus Parteien, Verbänden, Lobbyisten oder Medien verbunden, die an den Problemlösungen offen aber oft auch verdeckt und rein interessengesteuert mitwirken. Wer den politischen Betrieb von beiden Seiten kennt, der ist sich auch der Abhängigkeiten der Akteure bewusst, wo einer den anderen nicht nur mit Informationen bedient, wo die Grenzen schwimmend sind und die Graubereiche unergründlich. An der Profilierung und der Durchsetzung der unterschiedlichen Interessen schaffen als öffentlicher Beschleuniger vor allem auch die Medien mit, deren Meinungsbildung den Handlungsdruck auf die Entscheider zunehmend erhöhen kann und natürlich auch soll. Dabei geht es offensichtlich nicht mehr nur um reine Informationsvermittlung, sondern auch um deren Steuerung, Inszenierung und Dramaturgisierung und damit Emotionalisierung. Vor allem Sonderberichterstattungen, Infotainment-Sendungen oder bestimmte Gala-shows leben von Rollenverteilungen, personalisierten Gegnerschaften und Reizsetzungen, die auch das Thema Spenden zum Ziel haben. Journalisten als Kriegsanalysten, die mit heimatlichen Agenturinformationen gespickt vor Ort aus dem gesamten Kriegsgebiet berichten, pensionierte Generäle im Loden, die es immer schon besser wussten, ein Anton Hofreiter als oberster grüner Waffennarr und dazu ein offenbar uninformierter Friedrich Merz, der angeblich keine Angst vor dem Atomkrieg hat. Aus Moskau die Szenen eines aufgedunsenen Diktators, der nach dem Vorbild mittelalterlicher Herrscher seine Gäste im Kreml-pomp auf Distanz hält und in Kiew ein Präsident, der seine Rolle als Präsident wohl auch in den täglichen TV-Auftritten gefunden hat.
Eine schaurige öffentliche Posse jagt die andere. Nur kurz dazu ein Zwischenruf: So widerwärtig der russische Überfall auf die Ukraine auch ist, wer berichtet eigentlich vom elenden Schicksal der jungen russischen Soldaten, die hier zu Tausenden sterben? Wer erzählt uns einmal die Geschichte, wie die Raff-Putins ihr Russland zugrunde richten, wer aus der deutschen Industrie bekennt mit allem Freimut, auch wir haben die Parteien gedrängt, russische Energie zu kaufen und wir haben Angst sie schnell zu verlieren? Wer hierzulande ist wirklich bereit zum Verzicht, wenn es ernst wird mit dem Wohlstandsverlust? Erinnern wir uns noch, auf welche Vorbehalte die Flüchtlinge aus Syrien hierzulande stießen und Angela Merkels „Wir schaffen das“?
Der Krieg in Europa ist nicht nur ein obszönes Bühnenstück für Mord und Gewalt im Osten Europas sondern auch ein Beispiel für die hybride Moral im Westen, die nach immer schwereren Waffenexporten ruft, wo das Zögern vor Gewaltlösungen als Schwäche ausgelegt wird, wo durchsichtige Forderungen der Waffenindustrie fast nahtlos von Teilen der Opposition übernommen werden. Manche auch aus der Ampel schämen sich nicht, wohlabgestimmt im Chor dem dreisten Dirigenten und Ukrainebotschafter Melnyk zu folgen. Will er, in dessen Heimatland das korrupte Oligarchensystem immer noch nicht abgeschafft worden ist, vielleicht die Nato-Staaten mit in den Krieg ziehen? Hat die Ukraine nicht auch bei aller jetzt gebotenen Solidarität die Demokratisierung vor allem ihrer Wirtschaft erst vor sich ? Dies gilt es bei jeder politischen Entscheidung im Westen auch immer mit zu beachten, so brutal und ungerecht der Krieg in der Ukraine auch ist. Dies ist im Übrigen ja auch einer der Hinderungsgründe für einen schnellen EU-Beitritt
Die durch-orchestrierten TV-Informationsveranstaltungen mit ihren selbstgefälligen Moderatoren gockeln nach dem Muster eines Markus Lanz über die kompliziertesten Sachverhalte hinweg, als fehle es den Politikern nur an Mannesmut. Mehr Tempo beim Waffenexport, dass fordern oft die, die ihre Söhne und Töchter nicht in der Bundeswehr haben oder gar in den Krieg ziehen lassen. Das Schlachtfeld ist zum TV-Event geworden. Durch die sozialen Medien geschieht dies weitgehend unkontrolliert, wo Übertreibungen und Spekulationen die Fakten verdrängen. Die Folgen davon sind nicht nur im Bedeutungsverlust der traditionellen Printmedien zu finden, sondern auch im zunehmenden Konkurrenzkampf um die Ware Information, der auch die öffentlich- rechtlichen Programme erfasst hat.
Vielleicht sollten in den Medien auch die Fragen gestellt werden, was macht der Krieg mit uns, unserer demokratischen Struktur , unseren politischen Zielen, unserer neuen Rolle in Europa, unserem Verhältnis zu den USA oder China unabhängig von solch „normalen „ Problemen wie Klimawandel oder Armut.
Das Rufen „nach immer schwereren Waffenexporten“ ist nicht allein Ausdruck einer „hybriden Moral im Westen“. Es ist auch „völlig daneben“,“weil einfach nutzlos“ so Erich Vad, Ex-Brigade-General und ehemaliger Berater von Angela Merkel im Kanzleramt, zur Debatte in Deutschland. Geäußert in einem Interview am 21. Mai im Deutschlandfunk. Nachhörenswert ist, wie die Moderatorin mit dieser doch eigentlich aufsehenerregenden Einschätzung umgegangen ist: Einfach die nächste Frage vom Sprechzettel abgelesen. Der Dialog einer aus Angst sich desinteressiert Gebenden mit einem Wissenden.
Fragen wir doch mal keinen deutschen Rentner ohne Gefechtserfahrung, sondern einen amerikanischen General. Mark Hertling hat zudem selbst die Transformation der ukrainischen Armee seit 2014 begleitet:
„Ich werde nicht auf die Switchblade- oder „Ghost-Drohnen“ eingehen, die kürzlich entwickelt wurden (hauptsächlich für US-Spezialeinheiten), aber zusammen mit den türkischen Bayraktar TB2 werden sie alle effizient darin sein, sowohl gepanzerte Fahrzeuge der RU auszuschalten als auch ein Gefühl der Hilflosigkeit der RU-Truppen auf dem Schlachtfeld zu verstärken.“
„Unterm Strich dies:
– UKR kann den Artilleriekampf gewinnen.
– Die RU-Artillerie kann viel Schaden anrichten, wenn sie auf zivile Ziele feuert, da dies keine Präzision erfordert.“
Die Situation der Ukraine würde ich etwa so beschreiben:
„Ein Mörder ist in Ihr Haus eingebrochen, will Ihre Familie töten und Ihr Haus niederbrennen. Versuchen wir, einen Kompromiss zu finden! Du lässt ihn nur ein paar Familienmitglieder töten und brennst nur dein Wohnzimmer nieder. Hurra, das ist eine faire Lösung!“
Es ist ausschließlich Sache der Ukrainer, darüber zu entscheiden, welche Opfer sie für die Gegenwehr gegen den Aggressor zu tragen bereit sind. Und es ist unsere verdammte Pflicht, ihnen zu helfen – selbstverständlich auch mit schweren Waffen.