Mit ihren Umfragen vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl haben die Meinungsforschungsinstitute wieder einmal kräftig daneben gelegen. Sie fügten ihrer stattlichen Serie von Fehleinschätzungen eine weitere an. Doch, wie die noch frische Erinnerung an die Landtagswahl von Sachsen-Anhalt zeigt, ist mit Konsequenzen nicht zu rechnen. Die Medien lassen von ihrem beliebten Spielzeug nicht, die Politik lässt sich weiter von behaupteten Stimmungen treiben, und die Demoskopen machen munter weiter Kasse. Meinungsumfragen sind ein Milliardengeschäft; die gehandelte „Ware“ ist flüchtig, fragwürdig, nicht greifbar.
Wochenlang hatten sie für NRW ein „Kopf-an-Kopf“-Rennen zwischen Hendrik Wüst und Thomas Kutschaty vorausgesagt. Tatsächlich betrug der Abstand satte acht Prozent. Sogar doppelt so groß war er 2021 zwischen CDU und AfD in Sachsen-Anhalt, wo die Meinungsforscher die beiden Parteien noch bis zum Wahltag gleich auf gesehen hatten. Die alte Skepsis gegenüber solchen Wahlprognosen erwies sich aufs Neue als ratsam. Wenn es „Kopf an Kopf“ heißt, bedeutet das nur, dass die Demoskopen es auch nicht wissen.
Trotz der regelrechten Überflutung mit Umfragen, die keineswegs mehr nur vor Wahlen verbreitet und bis zum Überdruss ausgeschlachtet werden, lässt die Qualität zu wünschen übrig. Die Methoden mögen noch so ausgeklügelt sein, die Datenfülle noch so groß, die Gewichtungen und Rechenoperationen noch so raffiniert: den Anspruch, die Wirklichkeit abzubilden, lösen Umfragen nicht ein, und es ist absurd, ihre Ergebnisse für ein verlässliches Meinungsbild der Bevölkerung zu halten.
Gewiss, es wäre wünschenswert, wenn die Politik die Einstellungen der Menschen besser kennen würde. Doch die gängigen Umfragen sind dazu nicht der geeignete Weg. Wenn es um einen Blick in die Köpfe der Befragten oder gar um die Vorhersage von Verhalten geht, sind die Forschungsinstitute allzu oft mit ihrem Latein am Ende. Das gilt beileibe nicht nur für die deutschen, sondern auch anderswo, man denke nur an die grandiosen Irrtümer beim Brexit oder der Wahl von Donald Trump.
Ein Mathematiker der Universität Wuppertal hat die ganze Meinungsforschung schon in den 1990er Jahren als „Hokuspokus“ abgetan und ihre Zuverlässigkeit mit der einer Lotterie verglichen. Unzureichend geklärt ist auch die Frage, wie Umfragen selbst Einfluss auf Wahlergebnisse nehmen. Die Hypothese von der Mobilisierung jedenfalls hat sich bei der jüngsten Landtagswahl nicht bestätigt.
Es fällt also insgesamt schwer, einen echten Mehrwert für die Demokratie auszumachen. Statt der inflationären Präsentation von vielleicht unterhaltsamen, aber nicht wirklich aussagekräftigen Säulendiagrammen wäre eine Besinnung auf seriöse und informative politische Berichterstattung wünschenswert. Wahlen, nicht Umfragen, sind das entscheidende Element der Demokratie.
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