Wir führen gegen Russland nach dessen Einmarsch in die Ukraine einen Krieg, nicht der „verbundenen Waffen“, nein weit anspruchsvoller: einen Krieg des Verbunds von Militärischem und Wirtschaftssanktionen. Das ist neuartig. Entsprechend schwer ist die Koordination, entsprechend desorientiert sind die Medien in ihren Darstellungen.
Besonders schwierig ist es auch mit dem „wir“. Geführt wird dieser Kampf verbundener Waffen von einer Allianz. Der Frontstaat Ukraine, auf dessen Territorium und zulasten dessen Bevölkerung dieser Krieg militärisch stattfindet, ist Mitglied unserer Allianz. Innerhalb dieser Allianz gibt es deutlich unterschiedliche Vorstellungen von der angemessenen Strategie gegenüber Russland. Ein allianzübergreifendes Koordiniationsgremium, vergleichbar dem im Anti-IS-Kampf, existiert nicht. Also gibt es unabgestimmtes Handeln in der Allianz zuhauf. Das aber offen zuzugeben, wird als allianzschädlich verstanden. Deshalb geschieht es nicht – „unsere“ Medien halten sich an diesen Komment.
Die Ukraine hat am 10. Mai 2022 den Hahn für Gas-Lieferungen von Russland nach West- und vor allem nach Südeuropa an einem wichtigen Knotenpunkt zugedreht. Das geschah ohne Vorankündigung geschweige denn Abstimmung mit den betroffenen Allianzpartnern. Es geht um etwa ein Drittel der buchbaren Leitungs-Kapazität von Russland durch die Ukraine hindurch nach Westen und vor allem nach Südwesten.
Die kurzfristigen Folgen in Form von mangelnder Gas-Verfügbarkeit sind in Nordeuropa anscheinend gering, in Südosteuropa bis Italien schein es gravierender zu sein. Insbesondere Rumänien ist betroffen, mit einem Lieferrückgang um ein Drittel.
Komuniziert wird allenthalten: Kein kurzfristiges Problem, der Mangel ist durch anderweitige Lieferungen ausgleichbar. Strategisch entscheidend aber ist der Effekt auf die Füllung der Gasspeicher diesseits der Ukraine. Der „Lagebericht Gasversorgung“ der Bundesnetzagentur zeigt nach dem provozierten Ende der Gasbelieferung an Polen und Bulgarien bereits einen Rückgang der Füllaktivität in Deutschland. Die entscheidende Verletzlichkeit und damit Erpressbarkeit Europas liegt im Winter, wenn der Gasbedarf hoch ist. Wenn Russland in dieser Situation die Gasversorgung einstellt, entsteht ein existentieller Gasmangel, sofern er nicht durch Lieferungen aus den Gasspeichern auszugleichen ist – nur Gasspeicher sind dazu kurzfristig in der Lage. Das maximale Volumen der Gasspeicher in Europa (diesseits der Ukraine) liegt bei etwa 20% des Jahresverbrauchs. D.h. davon möglichst viel in die Scheuer einzufahren, aus russischen Quellen, ist aus westeuropäischer Sicht das Gebot der Stunde. Das aber kommunizieren die Verantwortlichen nicht. Die Priorisierung dieses Ziels torpediert die Ukraine. Wir haben einen massiven Konflikt mit der Ukraine, welche gaspolitisch andere Prioritäten verfolgt. Wir werden sehen, ob diese jetzt schon für kommunizierbar gehalten wird. Die Ukraine hat noch mehr Pfeile im Köcher, auch der weiter westliche gelegene Teil des Ukrainischen Gas-Transportsystems (UGTS) könnte von heute auf morgen unbenutzbar werden. Erst Laut zu geben, wenn es zu diesem vollständigen Kappen des UGTS gekommen sein wird, erscheint nicht klug. Wehret den Anfängen hat die Devise kluger Konflikt-Kommunikation sein.