Der Ernstfall ist der Frieden; das sagte einst Bundespräsident Gustav Heinemann an die Adresse jener, die ständig vom „Ernstfall“ sprachen, wenn sie Krieg, Mord und Zerstörung meinten.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, sie heißt Britta Haßelmann, ließ sich folgendermaßen ein:
„Wo sollen Kompromisse sein, wenn Putin völkerrechtswidrig ein freies europäisches Land überfällt, Städte dem Erdboden gleichgemacht, Zivilisten ermordet werden und Vergewaltigung systematisch als Waffe gegen Frauen eingesetzt wird?“
Eine Formulierung, die einerseits eine niederschmetternd realistische Beschreibung von modernem Krieg gibt, ganz gleich, wer ihn führt oder begonnen hat. Andererseits ruft sie sofort einen alten Begriff aus dem kriegsbesoffenen deutschen Kaiserreich wach: Siegfrieden. Das war das ausgegebene Kriegsziel bei Eintritt des Kaiserreichs in den Krieg, der der erste Weltkrieg werden sollte, 1914.
Als man Ende 1917 gewahr wurde, dass es mit dem Sieg wohl nichts mehr werden würde, beschloss der Reichstag eine neue Friedensart: Verständigungsfrieden.
Als der Krieg verloren war, nannte man den Siegfrieden der Alliierten dann Diktatfrieden. Dieser aber führte zum deutschen Kriegsverbrechen Weltkrieg II.
Kluge Leute, wie der Ökonom John Maynard Keynes, der auf britischer Seite an der Aushandlung des Versailler Friedensvertrages beteiligt war, warnten, dass dieser Vertrag neue Gewalt provozieren werde.
Kluge Leute, wie der Erfinder der US-amerikanischen Eindämmungspolitik gegen Stalins Sowjetunion, George F. Kennan, haben gewarnt, dass die US-Politik gegenüber Russland nach dem Ende des Kalten Krieges (G.W.Bush: was wollen die? Wir haben gewonnen!) zu Gewalt führen werde.
Beide, der noch junge britische Beamte Keynes 1918 und der altersweise, erfahrene Historiker, Diplomat und Russlandkenner Kennan, der 2005 kurz nach seinem 101.Geburtstag starb, haben mit den zitierten Aussagen Recht behalten.
Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass in modernen Zeiten industrialisierter Kriege Siegfrieden kein realistisches Konzept und vor allem ungeeignet ist, nachhaltig Sicherheit zu schaffen.
Wieso also wird das Konzept des Siegfriedens jetzt, im Jahr 2022 verfolgt? Das tun ja nicht die Grünen allein, sie plappern vielmehr nur nach, was die USA und die NATO offensichtlich im Schilde führen.
Unanständig ist die Methode, mit der die Zustimmung zu diesem mörderischen Konzept quasi erschlichen werden soll: man packt uns beim Grauen und bei der Empörung, die die Bilder aus dem Krieg völlig zu Recht hervorrufen; sie packen uns bei der Wut, die wir völlig zu Recht auf den Aggressor und Kriegsverbrecher Putin haben und bei der Ohnmacht, die die Wut ja nur noch verstärkt. Dann erzählen sie uns, dass die russische Armee ganz schlecht motiviert und schlecht ausgerüstet sei, wohingegen die US-geschulte ukrainische Verteidigung viel besser funktioniere als erwartbar gewesen sei. Vor diesem Hintergrund erzählen sie uns, dass viele Menschenleben gerettet und viel Leid vermieden werden könne, wenn wir bloß der Ukraine noch mehr Waffen liefern würden. Weil, so heißt es allüberall, mehr Waffen den Krieg verkürzen würden.
Dabei ist das Gegenteil richtig. Das aber darf nicht mehr gesagt werden weil es von Botschafter Melnyk als zynisch gescholten würde, die Ukraine den Krieg verlieren zu lassen. Zynisch ist aber nicht das Argument, dass mehr Waffen den Krieg verlängern, zynisch ist diese Realität.
Das wird noch gesteigert, wenn man fragt, was die Ukraine denn verliert, wenn sie verliert. Ein kluger Mensch hat in anderen Zusammenhängen darauf verwiesen, dass man nicht verlieren kann, was man gar nicht hat.
Um das nicht bis in die Köpfe der Beobachter*innen dringen zu lassen, lässt man die alte – und widerlegte – Dominotheorie aus dem Vietnam-Krieg wieder aufleben. Damals glaubten McNamara, Kissinger, Präsident Lyndon B. Johnson und die ganze „freie Welt“, dass ganz Asien kommunistisch werden würde, wenn Vietnam als erster Dominostein fallen würde. Ergebnis dieser Theorie war die unglaubliche Grausamkeit von Napalm, Agent Orange und Maschinengewehrfeuer aus Hubschraubern auf zivile Feldarbeiter*innen. Wir wissen heute: Vietnam ist „gefallen“, aber die anderen damals nicht-kommunistischen Länder Asiens sind immer noch nicht kommunistisch.
Vor dem Hintergrund der These, dass moderne Kriege nicht mehr „gewonnen“ werden können, bedeutet die Politik des „Westens“, dass der Krieg sich zu einem langen Abnutzungskrieg entwickeln wird, die Opferzahlen immer höher und die Eskalationsgefahr immer größer werden.
Es ist heuchlerisch, Kriegsverkürzung zu versprechen und Kriegsverlängerung zu planen.
Was bedeutet Eskalationsgefahr konkret?
Erstens kann Russland gegen schwere Waffen schwerere Waffen einsetzen und Angriffe aus der Luft vermehren. Zweitens kann Russland entscheiden, den Krieg regional auszuweiten und drittens kann Russland Atomwaffen einsetzen. Wir wissen aus diversen Giftanschlägen in London, im Berliner Tiergarten und gegen Herrn Nawalny, dass es auch über Chemiewaffen verfügt. Drittens kann der NATO die Kontrolle über das eigene Verhalten entgleiten. Das „Framing“ bei der Kriegsministerkonferenz in Rammstein und danach lautete, Putin dürfe den Krieg nicht gewinnen. Das ist etwas sehr Verschiedenes von „Der Westen darf nicht Kriegspartei werden“, wie es bis dahin hieß. Was ist der nächste Schritt? Kann man das wieder zurückholen oder wird man noch eins darauf setzen? Putin kann kleine Atomsprengköpfe einsetzen. Reagiert die NATO – nein in dem Fall: die USA dann mit größeren oder nur mit schärferen Sanktionen?
Kremlnahe Politik“berater“ und längst der Aussenminister Lawrow selbst, reden ganz offen über die Atomkrieg“sgefahr“. Die einschlägigen Armeeeinheiten befinden sich in besonderer Kampfbereitschaft. Niemand weiß, ob das Drohkulisse oder ernst gemeint ist. Niemand kann behaupten, das es ganz sicher keinen Atomkrieg geben wird.
„If the russians love their children too“ heisst es in dem Anti-Atomkriegssong „The Russians“des britischen Musikers Sting. Das klingt wirkungsvoll, weil die Kinderliebe der russischen Eltern außer jeglichen Zweifels steht. Aber haben unsere Kriegspropagandisten Putin nicht für einen fast schon Verrückten erklärt? Da kann man nur spekulieren.
Die angebliche „Verrücktheit“ Wladimir Putins und seines „abgehobenen“ Lebens unter lauter Jasagern lässt sich nur schwer vereinbaren mit der Hoffnung, er werde keine Atomwaffen einsetzen. Das würde ja rationales Handeln voraussetzen. Ein angeblich verrückter Putin hat hingegen den unschätzbaren Vorteil, dass sich niemand mehr mit seinen machtpolitischen Motiven auseinandersetzen muss. Es könnte ja hier und da etwas Wahres dabei sein. Putin verstehen wäre jetzt eine gute Voraussetzung dafür, mit Russland ins Gespräch zu kommen. Aber Putinversteher sind schon lange in Deutschland verpönt. Da half auch der zutreffende Hinweis des heutigen Bundespräsidenten Steinmeier nichts, dass verstehen eine andere Bedeutung hat als billigen oder zustimmen.
Vielfach kann man bei Experten und auch bei Fachleuten nachlesen, wie falsch die Weltsicht Putins sei. Im politischen Umgang hilft diese Erkenntnis kaum, solange Putin und seine Machtclique glauben, ihre falsche Weltsicht sei die richtige. Da wäre eine Vorgehensweise klug, die sich ein Beispiel an Betreibern von Tiefgaragen nimmt: die installieren besondere Sicherheitsvorkehrungen gegen die Angst ihrer Kund*innen, obwohl statistisch Gewaltverbrechen in Tiefgaragen kaum stattfinden.
Außerhalb der medialen Kriegsberichterstattung kann man erfahren, was der Ukraine-Krieg außerhalb der Ukraine und jenseits europäischer Befürchtungen noch alles anrichtet. Erstmals erscheinen mir manche Börsennachrichten wertvoll. Man erfährt, was Energie- und vor allem Lebensmittelpreise anrichten in Gegenden der Welt, die überhaupt gar nichts mit dem Krieg zu tun haben. Je ärmer das Land, desto verheerender die Hungerkatastrophen. Presseerklärungen de UN-Ernährungsprogramms oder der Welthungerhilfe machen deutlich, dass selbst den Hilfsorganisationen die Nahrungsmittel auszugehen drohen, weil es keine Ernten in Osteuropa geben wird und die Handelswege für den Weizen schon jetzt vielfach blockiert sind.
Es leiden Millionen Menschen an den Folgen diese Krieges, die – könnte man Unschuld steigern – noch unschuldiger sind, als die ukrainischen Kinder, die vor dem Grauen geflohen oder schon darin umgekommen sind.
Es ist zynisch, angesichts diese Leids, eine Verlängerung des Krieges auch nur in Kauf zu nehmen!
Was tun?
Es gibt grob gezählt nur drei theoretische Möglichkeiten, die Nachbarn oder Verbündete von Kriegsparteien haben: auf die Beendigung des Krieges zu drängen oder selbst Kriegspartei zu werden oder dafür zu sorgen, dass der Krieg nicht auf andere Länder /das eigenen Land ausgeweitet wird. Praktisch kann man den Opfern helfen, den Krieg als Sache der Kämpfenden betrachten oder selbst in den Kampf eingreifen.
Nach dem Völkerrecht wird man erst zur Kriegspartei, wenn man die eigenen Soldaten in den Krieg schickt oder eventuell die eigenen Staatsbürger zum kämpfen auf einer der Seiten auffordert. Das Völkerrecht gehört jedoch zu den besonders dynamischen Rechtsgebieten und wird besonders häufig einfach ignoriert. Russlands Angriff auf die Ukraine ist – wie manch andere Militäroperation Russlands auch – bekanntlich völkerrechtswidrig (Es nützt der Argumentation hier wahrscheinlich wenig, auf die ungesühnten Völkerrechtsverletzungen der USA und anderer hinzuweisen).
Diplomatie im Vorfeld hat offensichtlich nicht zum gewünschten Ergebnis geführt; Sanktionsandrohungen haben den Einmarsch auch nicht verhindert; Sanktionen haben bisher weder die russische Kampfkraft beeinträchtigt, noch die Bevölkerung von Putin weg oder gar auf die Seite der Sanktionierer gezogen. Seine Mehrheiten scheinen im Gegenteil sehr stabil.
Will der Westen also tatsächlich weitere Eskalation – und, moralisch geboten – Leiden in Folge des Krieges auf anderen Kontinenten vermeiden, muss er den Krieg regional eingrenzen und zu verkürzen anstreben. Dabei gilt zweifelsfrei das Völkerrecht. Es definiert ein Recht auf Selbstverteidigung. Mehr nicht.
Über den weiteren Verlauf wird auch die militärische Situation mit entscheiden. Die Ukraine hat ein 2019 in die Verfassung geschriebenes Ziel zur Disposition gestellt: die NATO-Mitgliedschaft. Russland könnte seine Kriegsziele relativieren. Der Westen könnte aufhören, Russland zu dämonisieren und auch die Sorgen ernst zu nehmen, die man für unberechtigt hält.
Man muss bereit sein, eine günstige Situation beim Schopfe zu packen. Mit anderen Worten: man darf die Messlatten nicht so hoch hängen, wie es zum Beispiel die deutschen Grünen tun sondern muss sich bewusst machen: der Frieden ist der Ernstfall, nicht der Sieg.
Ein kluger, intelligenter Beitrag, der inhaltlich meine volle Zustimmung findet. Leider gegendert.
Sie weisen zu Recht auf die Tatsache der industrialisierten Kriege hin. Darüber schrieb Bob Dylan vor ca. 60 Jahren seinen Song Masters of War.
Er richtete sich zunächst vor allem gegen den „industriell-militärischen Komplex“, der immer stärkeren Einfluss auf die amerikanische Politik gewann, wovor sogar der scheidende Präsident Eisenhower damals warnte. Auf die ökonomische Bedeutung des Komplexes wies der ‚sozial-liberale’ Ökonom J.K. Galbraith hin. Diese Aspekte sollte man nicht ausblenden. Brecht schrieb einst: Es wird solange Kriege geben, solange es noch einen Menschen gibt, der daran verdient.
Obwohl nicht primär als „Antikriegslied“ konzipiert, wurde das Lied mehr und mehr zu einem der bekanntesten Protestsongs gegen die atomare Aufrüstung und insbesondere gegen den Vietnam-Krieg.
Als Angehöriger der Generation der sog. Achtundsechziger, wurde ich durch diesen Krieg geprägt. Man hatte zwar auch schon die Zeit um 1962 erlebt, als die Welt während der Kubakrise kurz vor einem Atomkrieg stand. Aber der Vietnam-Krieg ging einem doch unter die Haut. Noch heute sehe ich die Fernsehbilder vor mir, die allabendlich direkt von den Kriegsschauplätzen ins Wohnzimmer geliefert wurden. Zwei haben sich mir besonders eingegraben: die flüchtenden nackten Kleinkinder auf einer Strasse nach Saigon, die verzweifelt versuchten, sich vor den Bomben in Sicherheit zu bringen und die Erschießung eines Vietkong durch den südvietnamesischen Geheimdienstchef per Kopfschuss – vor laufender Kamera.
Später, während des ersten Irak-Krieges, wurden uns technisch-perfekte, teilweise virtuelle Kriegsbilder serviert; präzise Raketeneinschläge auf Bagdad, die einen „sauberen Krieg“ simulieren sollten.
Im Song von Bob Dylan werden die Verantwortlichen für die Kriege benannt; diejenigen, die Kriege inszenieren, an ihnen verdienen und dabei so gern im Verborgenen bleiben.
Hier ein Ausschnitt:
Come you masters of war
You that build all the guns
You that build the death planes
You that build the big bombs
You that hide behind walls
You that hide behind desks
I just want you to know
I can see through your masks
You that never done nothing`
But build to destroy
You play with my world
Like it`s your lttle toy
……..
Like Judas of old
You lie and deceive
A world war can be won
You want me to believe
…….
Das Lied ist von brennender Aktualität; darin heißt es u.a.: Ihr lügt und betrügt/Wie Judas dereinst/Und versucht mir einzureden/Ein Weltkrieg sei zu gewinnen.
Bob Dylan schrieb im Laufe der Zeit über zwanzig Antikriegslieder, zu nahezu allen Aspekten des Krieges. Darin zeigt er die physische und psychische Zerstörung, die Kriege anrichten: für die unschuldigen Zivilisten, die beteiligten Soldaten und für die gesamte Menschheit.
Allein für diese Lieder hat Bob Dylan den Literatur-Nobelpreis verdient. Für mich und viele meiner Generation wurden sie zu Wegbegleitern. Bis heute! Es lohnt sich immer noch, sie sich anzuhören; auch in einer Version von Eddie Vedder.