Emmanuel Macron hat die Stichwahl gegen Marine Le Pen gewonnen und bleibt weitere fünf Jahre Frankreichs Präsident. Europa ist vor einem Alptraum bewahrt. Das unerwartet deutliche Ergebnis für eine zweite Amtszeit im Élysée hat auch in Deutschland große Erleichterung ausgelöst. Mit einer Rechtsextremistin im Präsidentenamt hätte den deutsch-französischen Beziehungen eine Eiszeit und der Europäischen Union ihr Zerfall bevorgestanden. Macrons Sieg hingegen bietet Europa die Chance zu einer vertieften Zusammenarbeit. Der furchtbare Krieg gegen die Ukraine mahnt eindringlich dazu, diese Chance zu ergreifen.
Das Aufatmen über Macrons Erfolg kann aber nicht über die Gespaltenheit der französischen Wählerinnen und Wähler hinwegtäuschen. Mehr als 40 Prozent von ihnen haben ihre Stimme der Herausforderin gegeben, die mit ihrer äußerst rechten, nur scheinbar weichgespülten Programmatik im Vergleich zu 2017 noch einmal erschreckend zugelegt hat. Zugleich stecken in den knapp 60 Prozent für den Gewinner viele Stimmen, die ihm nicht aus Überzeugung galten, sondern der Abwehr von Le Pen dienten.
In seiner ersten Ansprache machte Macron deutlich, dass er verstanden habe. Er, dem im Wahlkampf Überheblichkeit und Arroganz vorgeworfen wurden, wandte sich an die Enttäuschten, die Nichtwähler, die Rechten, die Populisten. Er sei auch ihr Präsident, sagte Macron unter dem Eiffelturm, zu dem ihm die Klänge der Europahymne begleitet hatten, und bekannte mit ungewöhnlichem Pathos, er liebe das französische Volk.
Das ist nach fünf Jahren Macron zerrissen zwischen den Extremen. Die traditionellen großen Parteien, die jahrzehntelang die französische Politik bestimmt und im Mehrheitswahlsystem praktisch unter sich ausgemacht hatten, sind bedeutungslos. Macron hat mit seiner wirtschaftsliberalen, europafreundlichen Bewegung die Mitte besetzt. Rechts und links davon starten vor den Parlamentswahlen Mitte Juni die Versuche, Blöcke zu bilden, um die Kräfte gegen Macron zu bündeln.
Der hat in seiner ersten Amtszeit nichts unternommen, um den Rechtsextremisten das Wasser abzugraben, und er hat über die Protestbewegung gegen die zunehmende soziale Ungleichheit kühl hinweggesehen. Mit seiner zweiten und letzten Amtszeit bekommt er die Chance, die innenpolitischen Versäumnisse gutzumachen. Die Gefahr einer weiteren Radikalisierung ist nicht gebannt.
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