Es war alles vorbereitet: 150 Pechfackeln lagen bereit und mussten – nur noch – entzündet werden. Gut 100 Mitglieder der Jungen Union Bonn waren „vorgewarnt“. Am Abend nach Einbruch der Dunkelheit wollten wir – ich war damals Vorsitzender der Jungen Union Bonn-Zentral – zum Wohnhaus des CDU-Vorsitzenden Rainer Barzel auf der Rubensstraße in Bad Godesberg zu ziehen, um dem neuen Bundeskanzler zu gratulieren.
Denn für uns war am Morgen jenes 27. April 1972 eines ganz sicher: Barzel würde das konstruktive Misstrauensvotum für sich entscheiden. Er würde den Bundeskanzler Willy Brandt ablösen… und die Bundesrepubik in eine andere, eine bessere Zukunft führen, in eine christlich-demokratische Zukunft.
Die Demonstrationen weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit und der bundesdeutschen DGB-Gewerkschaften sowie die eindeutigen Bekenntnisse der meisten Medien zugunsten Brandts und der von ihm geführten sozialliberalen Koalition beeindruckten uns nicht. Wir waren fest davon überzeugt, dass „unser Mann“, dass Rainer Barzel der bessere Bundeskanzler für Deutschland sein würde.
Um die Mittagszeit verkündete Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel, dass der Antrag der CDU/CSU abgelehnt worden sei, nach Artikel 67 des Grundgesetzes dem Bundeskanzler Willy Brandt das Mißtrauen auszusprechen und statt seiner den Abgeordneten Dr. Rainer Barzel zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zu wählen“: Es machte sich Verzweiflung breit. Zu sehr hatten wir nämlich den Versicherungen der Unions-Führung vertraut, alles sei “in trockenen Tüchern“.
50 Jahre später also stellt sich die Lage ganz anders dar, nämlich so: Als wäre es eine „List der Geschichte gewesen“, ist festzustellen: Ohne das Weiterbestehen der Regierung Brandt/Scheel, weitergeführt als Kabinett Helmut Schmidt/Hans-Dietrich Genscher hätte es die Entspannungspolitik der 70er Jahre nicht gegeben, ohne diese nicht die KSZE-Schlussakte von 1975. Diese war Voraussetzung für die Freiheitsbewegungen in Polen und den Ländern des Ostblocks in der zweien Hälfte der 80er Jahre, die wiederum auch unter Einfluß des von Helmut Schmidt „entwickelten“ und von Helmut Kohl und – wiederum – Genscher durchgesetzten NATO-Doppelbeschlusses zu einem Ende des vom Sowjet-Kommunismus beherrschten Ostblocks führten.
Es war also – auf lange Sicht gesehen – gut, dass wir von der Jungen Union am 27. April 1972 unsere Fackeln nicht entzünden konnten. Ich erinnere mich allerdings nicht daran, wo die Fackeln abgeblieben sind. Eines ist aber sicher: Wir haben sie nicht den SPD-Anhängern überlassen, die am Abend des 27. April zum Haus von Willy Brandt zogen.