Ich habe die Gründung der Grünen 1980 erlebt. Eines ihrer Kernthemen war Pazifismus, sie waren gegen Waffen, hatten ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr und sie waren gegen jede Art von Krieg. Wer gut 40 Jahre später die heutige Generation der Grünen erlebt, wer einen Anton Hofreiter hört, oder Ralf Fücks, oder dessen Ehefrau Marie-Luise Beck, reibt sich die Augen. Aus den friedensbewegten Ökofreunden sind Zeitgenossen geworden, die an der Spitze derjenigen stehen, die schwere Waffen von Deutschland für die Ukraine fordern. Die SPD, an der Spitze ihr Kanzler Olaf Scholz, zögert dagegen aus Sorge, der Krieg von Putins Russland gegen die Ukraine könne dadurch eskalieren. Gerade schrieb mir ein guter Freund und Kenner der Ökopaxe: „In den Reihen der Grünen findest du die größten Bellizisten.“
Gestern verfolgte ich die Debatte bei Maybrit Illner im ZDF. Es war der Ex-General Erich Vad, einst militärischer Berater der Ex-Kanzlerin Angela Merkel, der sich gegen die Lieferung von schweren Waffen, gemeint Panzer, nach Kiew aussprach. „Die Lieferung von Kampfpanzern, Schützenpanzern ist militärisch unsinnig. Weil wir die Ausbildungszeit nicht haben, Techniker mitschicken müssen, Logistikketten aufbauen müssen, die Ersatzteilversorgung sicherstellen und den Transport.“ Letzterer ist ein großes Problem, Panzer auf Zügen in die Ukraine, also ins Kriegsgebiet befördern, auf Strecken, die die Russen kennen und angreifen könnten. Vad gab dem Kanzler mit seiner zögerlichen Haltung Recht, die ich als besonnen empfinde, weil sie seine eigene Unsicherheit beschreibt, seine Sorgen um den Krieg, den er möglichst schnell beenden möchte und alles dafür tun würde, ihn nicht in einen Atom-Krieg ausweiten zu lassen. Vad, der frühere General, weiß um die Gefährlichkeit von Waffen, anders als jene, die früher den Dienst an der Waffe verweigerten und statt dessen Zivildienst leisteten. So ähnlich hat es Vad bei Illner gesagt. Gerade heraus, undiplomatisch. Das ist nicht zu kritisieren, erklärt aber manches. Damit das nicht missverstanden wird: Ich habe weder gedient noch war ich Zivi. War damals so.
Was soll an der Denke von Scholz falsch sein? Wir wollen die Ukraine mit Waffen unterstützen, damit sie sich gegen die Übermacht der Russen verteidigen können. Doch Deutschland verfügt nur über bestimmte Waffen, unsere Panzer gelten als marode und nicht sofort einsatzfähig. Über einen Ringtausch sollen Panzer aus Slowenien geliefert werden, Berlin würde bezahlen. Sigmar Gabriel, wie Scholz Sozialdemokrat, stützte in der Illner-Sendung die Haltung des Kanzlers Scholz. Er muss ihn verteidigen, weil Scholz wegen seiner zögerlichen Politik in dieser Frage attackiert wird vom Ausland, von Nato-Partnern, von Politikern der Ampel-Koalition. Hofreiter tritt dabei am stärksten in Erscheinung. Gerade er hört sich so an, als könne er es gar nicht abwarten, dass deutsches militärisches Gerät gegen Russen in Stellung gebracht wird. Was ihn antreibt, versteh ich nicht, es sei denn, er hat seine Klamotten getauscht und trägt statt grün nur noch olivgrün. Oder es steckt die Enttäuschung dahinter, bei der Regierungsbildung übergangen worden zu sein.
Ein General mahnt zur Zurückhaltung
Der Ex-Brigadegeneral Vad macht deutlich, dass er es für schier unmöglich halte, dass die Ukraine gegen die Weltmacht Russland den Krieg gewinnen könne. In der Runde wird der Satz des Kanzlers zitiert, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen. Dies ist auch die Sprache des Militär-Experten. Man müsse alles daran setzen, einen Waffenstillstand zu erreichen, damit wieder geredet und verhandelt werde. Noch einmal: Gegen die stärkste atomare Macht der Welt, eben Russland, sei ein Krieg nicht zu gewinnen. Die deutsch-ukrainische Journalistin Marine Weisband reagiert entsetzt, weist auf die Verbrechen Putins hin, den Völkermord, das Gemetzel russischer Soldaten an Kindern und Frauen, das dürfe man nicht akzeptieren. Vad ist genauso tief getroffen von den Menschenrechtsverletzungen, die er gar nicht in Abrede stellt. Aber Vad erkennt die militärische Überlegenheit Moskaus an und diskutiert auf dieser Basis. Er ist Realist.
Immer wieder wird die Kommunikation von Scholz angesprochen, kritisiert. In der Tat zeigt er da Mängel, müsste er endlich ein Format für sich finden, um den Menschen seine Politik zu erklären. Rechtzeitig. Hinter dieser Kritik versteckt die Union etwas anderes: in der nächsten Woche will sie einen Initiativ-Antrag in den Bundestag einbringen, um über die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine abstimmen zu lassen. Sie könnte versuchen, mit Hilfe der Stimmen von Grünen und der FDP Scholz eine schwere Niederlage beizubringen, die der Anfang vom Ende der Ampel-Koalition sein könnte. Es bräuchte dann nur noch ein Misstrauensantrag der Union mit dem Kandidaten Friedrich Merz, der gegen Scholz antreten würde. Misstrauensantrag? Da war doch was vor 50 Jahren. Am 27. April 1972 versuchte es die Union mit Rainer Barzel gegen Willy Brandt. Es ging um dessen Entspannungspolitik, die Aussöhnung mit dem Osten, Verräter nannten die CSU-Schreier den Friedensnobelpreisträger Brandt, weil er die Oder-Neiße-Grenze als Polens Westgrenze anerkennen wollte.
Gabriel entschuldigt sich nicht
Man darf daran erinnern, weil diese Entspannungspolitik der SPD von ihren Gegnern aus dem Unions-Lager diskreditiert wird. Die Vermutung liegt nahe, dass es einem Teil der Christdemokraten vor allem darum geht und deshalb wird eine Melange angerührt aus Putin, Schröder, Steinmeier, Platzeck, Schwesig, deshalb wird so getan, wie es Gabriel bei Maybrit Illner anklingen ließ: jeder, der mit einem Russen geredet habe in den letzten Jahren, wird als Putin-Versteher verunglimpft, nahezu als Vorbereiter eines Kriegs. Als hätten einzig Sozialdemokraten die Politik bestimmt, als wäre Angela Merkel nicht 16 Jahre Kanzlerin gewesen, als wären nicht allein Unions-Mitglieder Verteidigungsminister gewesen, die die Bundeswehr ruiniert hätten. Und es wird schlicht unterschlagen, dass diese Entspannungspolitik erfolgreich war, dass davon viele profitierten. Gabriel räumt erneut bei Illner ein, dass er Fehler gemacht, sich getäuscht habe, auch in Putin. Man habe im Westen den Fehler gemacht, zu glauben, man könne besser als die anderen Osteuropäer mit Russland und Putin umgehen, ihn einhegen. Nein, widerspricht er der Moderatorin, er habe sich nicht entschuldigt.
Es mutet schon mehr als merkwürdig an, wenn der ukrainische Botschafter Melnyk durch alle Sender tingeln darf, um Sozialdemokraten anzugreifen, um einen angesehenen Bundespräsidenten wie Frank-Walter Steinmeier zu verunglimpfen, dem Melnyk vorwarf, ein Spinnennetz gewoben zu haben mit Putins Russland. Gabriel greift das bei Illner auf und attackiert seinerseits den Botschafter, der längst seine eigentliche Aufgabe in Deutschland verlassen hat und der sich massiv in die deutsche Innenpolitik einmischt. Dass dieser Melnyk das deutsche Staatsoberhaupt beleidigt habe, nannte Gabriel zu Recht „eine Unverschämtheit“. Man hätte sich auch von anderer parteipolitischer Seite Äußerungen gewünscht, um Steinmeier zu verteidigen. Aber die Parteipolitik geht für viele wohl vor, zumal Wahlen anstehen, bald in Schleswig-Holstein und dann in NRW, wo es Spitz auf Knopf steht. Wo der gewiss nicht unumstrittene Hendrik Wüst von der CDU kämpfen muss gegen den SPD-Mann Thomas Kutschaty.
Scholz verweist auf seinen Amtseid
Gerade bekomme ich ein Spiegel-Interview mit Olaf Scholz in die Hand. Darin hat er seine Politik verteidigt, auch seine Zurückhaltung gegenüber der Lieferung schwerer Waffen, um nicht die Gefahr eines Nuklearschlags Russlands heraufzubeschwören. „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt.Es darf keinen Atomkrieg geben“, so der Kanzler im Hamburger Nachrichtenmagazin. Er lasse sich dabei nicht von der Angst leiten, sondern von der politischen Verantwortung. Wörtlich fügte er hinzu: „Ich habe einen Amtseid geschworen. Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischend der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden.“ Schon die Einführung einer Flugverbotszone hätte die Nato zu einer Kriegspartei gemacht. Scholz sieht zudem Putin in einer Zwangslage. „Russland steckt in dramatischen Schwierigkeiten, die Sanktionen richten gewaltige Schäden in Russlands Wirtschaft an, die Kette militärischer Niederlagen kann von keiner Regierungspropaganda schöngeredet werden.“
Und was die Verantwortung des Kanzlers betrifft: Er hat erneut betont, dass Deutschland an der Seite der Ukraine steht, dass Berlin im Rahmen seiner Möglichkeiten Waffen liefert, sich abspricht mit den Bündnispartnern, mit Amerika, Frankreich, dass Deutschland sich finanziell erheblich engagiert, um Kiew zu helfen, dass man Flüchtlinge aufnimmt und solche, die schwer verletzt sind, in den Kliniken behandelt, dass man den Angriffskrieg Putins verurteilt, aber der deutsche Bundeskanzler hat mit seinem Amtseid auch bezeugt, dass er sich dem Wohl aller 83 Millionen Bundesbürger verpflichtet fühlt und dem von Hunderttausenden Unternehmen und nicht in erster Linie den Wünschen der Ukrainer. Jetzt und in der Zukunft. Bei jeder Entscheidung muss er abwägen, dass damit Schaden vom deutschen Volk abgewendet werde.
Der Bundeskanzler müsste häufiger kommunizieren, damit die Leute von ihm erfahren, was er will. Und nicht von seinen Kritikern.
Kleines Update, das war 1999 auch schon so. Wo waren Sie die letzten 23 Jahre? Ach ja, die Türkei ist völkerrechtswidrig in den Irak einmarschiert, der Angriffskrieg wird bestimmt einen Genozid an den Kurden nach sich ziehen. Irgenwelche Maßnahmen gegen NATO-Partner Türkei geplant? Sportler und Geschäfte boykottieren und sanktionieren? Vermutlich nicht, soviel zu den westlichen Werten wie „Menschenrechte“ sie sind nur eine Art greenwashing….Widerlich.