In Asien und im globalen Süden braut sich was zusammen. Der chinesische Präsident Xi Jinping gibt Wladimir Putin klare Rückendeckung. Über 50 UNO-Staaten stimmten dem Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen nicht zu.
Immer häufiger taucht der Begriff „Der Westen“ auf, und zwar mit ausdrücklich negativer Bewertung. Der Inder Chandran Nair[1] sagt, dass die Flut von Ukraine-Berichten in den Sozialen Medien von Arabern, Indern, Chinesen, Afrikanern, Lateinamerikanern die Arroganz des „Westens“ sonnenklar gemacht hat. Anlass: die sehr einseitige Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. Die steht im Kontrast zur Berichterstattung über Kriegsopfer in Afrika und sonstwo auf der Welt, wo die Opfer nicht Menschen „des Westens“ sind.
Militärisch gesehen, ist „der Westen“ die NATO. Und die ist für Russland, aber auch für China, der eigentliche Bösewicht.
Das ist nur die aktuelle Seite des Trends. Die „Gruppe der 77 und China“ bei den Vereinten Nationen, sieht sich seit Jahrzehnten als Gegenpol des Nordens. In der Arena der Vereinten Nationen gibt es einen klaren Nord-Süd-Konflikt. Und mit dem Norden ist nicht Sibirien gemeint, sondern der reiche Westen. Der Westen, das sind in erster Linie die ehemaligen Kolonialmächte, die den Süden über Jahrhunderte ausgebeutet haben.
Die Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen, mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen, enthält im Kern 11 Ziele, die Wirtschaftswachstum und Gerechtigkeit für die Entwicklungsländer wollen. Der Westen soll das hauptsächlich bezahlen. Aber den Westen interessieren hauptsächlich die drei ökologischen Ziele: Klima, Ozeane, Biologische Vielfalt.
In den westlichen Medien kommt der negative Beiklang des „Westens“ praktisch nicht vor. Wir sind daran gewöhnt, dass wir die Demokratie, den Rechtsstaat, die ökologische Orientierung, die Achtung der Menschenrechte und die Pressefreiheit vertreten.
Aber die Ukraine-Krise und die für uns überraschende und ziemlich unheimliche Rückendeckung Chinas für Russland kann uns sehr wohl zwingen, uns mit dieser schädlichen Definition des „Westens“ zu befassen.
Wir müssen uns klarmachen, dass der Westen „Dreck am Stecken“ hat. Für Afrika und für Entwicklungsländer in Asien und Lateinamerika ist Europa und abgeschwächt USA und Kanada der „Westen“ und zugleich der Inbegriff der Kolonisierung der Welt, und das für viele Jahrhunderte. Selbst der für uns sehr positiv besetzte Begriff der Aufklärung, auf Englisch Enlightenment, hat in Afrika und anderen Gebieten den eindeutig negativen Beiklang der Kolonialregierungen. Die Sklaverei hatte ihren Ursprung in Europa. Die weltweiten Handelsgesellschaften waren jahrhundertelang rein europäisch.
Und dann im 20. Jahrhundert die Weltkriege: Deutschland war zweimal der Angreifer. Und die Sowjetunion beklagte die mit Abstand größte Zahl der Kriegstoten.
Gut, wir haben gelernt. Nie wieder Krieg, war die klare Parole bei uns und in Westeuropa. Und als die Sowjetunion expansiv und aggressiv wurde, waren wir dankbar, dass die USA die NATO ausrief und uns zum Mitmachen einlud. Und wir vertraten die „westlichen“ Werte, wie oben gesagt: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Umweltschutz, Pressefreiheit. Auch Entwicklungshilfe war angesagt, aber sie bleibt weit entfernt von den Schäden, die die Kolonialmächte und spätere westliche Interventionen angerichtet haben.
Die Charakterisierung des Westens als Bösewicht ist ungerecht. Aber wenn wir den Ukrainekrieg einer friedlichen Lösung zuführen wollen, ist die Beschimpfung des heutigen Russlands unzureichend. Russland und China und die Mehrheit der G77-Länder werden durch diese Beschimpfung und die Sanktionen wenig beeindruckt.
China ist inzwischen zur Großmacht geworden. Wir Europäer sollten uns mit China gut stellen. China ist nahe dran, Druck auf Putin auszuüben, den Krieg zu beenden. China als Friedensvermittler macht in Moskau viel mehr Eindruck als wir „im Westen“. Natürlich wird China nicht die Maximalforderungen der Ukraine vertreten. Wir als „der Westen“ müssten das tolerieren. Wir wollen in erster Linie den Frieden. Und wir sollten dem durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums 1991 „besiegten“ Russland erlauben, sich politisch und ökonomisch wieder in die Völkergemeinschaft einzureihen. Wenn Russland den Krieg beendet.
[1] Chandran Nair. 2022. Wars are only evil when Westerners are the victims. Nikkei Asia. 19.3
Über den Autor: Ernst von Weizsäcker ist Ehrenpräsident des internationalen Club of Rome und hatte zusammen mit Gernot Erler den Vorsitz im Erhard-Eppler-Kreis.
Muss also Russland Teile der Ukraine und Georgien des Friedens wegen überlassen werden um den Despoten zu beseitigen? Dieser Lösungsweg würde abermals Hitler zugestanden, und es ist bekannt, was daraus wurde. Im gesamten Paket der Rückforderung müssen die japanische Curillen hinzugefügt werden.