Der prorussische Autokorso am Sonntag, von dem aus Ukrainer beschimpft wurden, hat Diskussionen ausgelöst. Wer hat diese Demonstration angezettelt? Pro Putin in Bonn? Man mag es nicht glauben. Die mehreren Hundert Demonstranten fuhren zum Friedhof im Bonner Stadtteil Duisdorf, wo es ein Ehrenmal für sowjetische Kriegsgefangene gibt, das in den 70er Jahren von der sowjetischen Botschaft dort errichtet wurde. Ein wichtiger Ort, der an schmerzliche deutsche Geschichte erinnert. Auf dem wuchtigen Ehrenmal mit riesigen Grabsteinplatten kann man die Zahlen lesen: „1941-1945“.
1941 ist der Überfall von Nazi-Deutschland auf Russland-genannt Unternehmen Barbarossa. Ferner steht auf einer Platte in russischer und deutscher Sprache: „Den im Kampf gegen den Faschismus gefallenen Sowjetbürgern zum ehrenden Gedenken“. Und schließlich findet sich der Satz: „Hier ruhen 102 Sowjetbürger“. Ein paar Meter entfernt davon stoße ich auf einen Grabstein: „Hier ruhen 6 poln. Soldaten, 7 jugosl. Soldaten, 8 ital. Soldaten“. Und auf einem weiteren Grabstein wird der polnischen Opfer gedacht. „Hier ruhen 50 polnische Zivilisten.“
„Das Ehrenmal in Duisdorf ist nur Wenigen bekannt“, schreibt der Bonner Generalanzeiger ergänzend zu seinem Bericht über die Demonstration, „und erinnert an die im 2. Weltkrieg gefallenen Bürger der Sowjetunion.“ Genauer an ein „dunkles Kapitel“ deutscher Geschichte, nicht nur des Bonner Ortsteils Duisdorf und des Stadtbezirks Hardtberg, wo sich während des Krieges eines der größten Kriegsgefangenenlagers mit dem Namen Stalag VI G befand. Stalag heißt Stammlager. Und in diesen Baracken waren in den Kriegsjahren Zehntausende von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, Polen, Jugoslawien, Frankreich, Belgien, Italien und den USA interniert.
So steht es in der Bonner Zeitung weiter, Einzelheiten über die Schicksale der Kriegsgefangenen in diesen Baracken fänden sich nicht. Im Internet heißt es dazu bei Wikipedia: Stalag VI G, Seite nicht gefunden. Man darf davon ausgehen, weil es gängige Praxis war in der Nazi-Zeit, dass Kriegsgefangene an die deutsche Industrie weitergereicht wurden, wo sie als Arbeitskräfte ausgebeutet und miserabel bezahlt wurden. Diese Arbeitskräfte wurden dringend gebraucht, weil Millionen deutscher Männer im Krieg waren.
Die Spitze der Industrie
Den Einsatz von Ausländern als Zwangsarbeiter hatten die Nazis unter Führung von Hitler und Göring mit führenden Leuten der deutschen Industrie vereinbart, es war quasi ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Nachzulesen in dem spannenden Buch von Eric Vuillard „Die Tagesordnung“. Da trafen sich am 20. Februar 1933 auf Einladung von Reichstagspräsident Hermann Göring 24 hochrangige Vertreter der Industrie, die Spitze der Industrie des Reichs, alles, was Rang und Namen hatte, fuhr vor bei Göring, um sich mit Hitler zu treffen. Dessen NSDAP war finanziell fast am Ende, man brauchte Geld für den Wahlkampf, der alles entscheiden sollte über die Zukunft Deutschlands und Europas, wie wir wissen.
Die Herren sind begeistert von Hitlers Auftreten, der keinen Hehl aus seinen Absichten macht, dass die Stunde der Republik schlagen werde, die letzte, dass er dann das Sagen haben werde. Um den Tisch versammelt sind die Herren: Gustav Krupp, Albert Vögler, Günther Quandt, Friedrich Flick, Ernst Tengelmann, Fritz Springorum, August Rosterg, Ernst Brandi, Karl Büren, Günther Heubel, Georg von Schnitzler, Hugo Stinnes Jr., Eduard Schulte, Ludwig von Winterfeld, Wolf-Dieter von Witzleben, Wolfgang Reuter, August Diehn, Erich Fickler, Hans von Loewenstein zu Loewenstein, Ludwig Grauert, Kurt Schmitt, August von Finck und Doktor Stein. „Wir sind im Nirwana der Industrie und Finanz“, schreibt Vuillard. Dann macht Göring, man tagt im Reichstagspräsidentenpalais, seine Hausherrenrunde, schüttelt Hände. Der Wahlkampf naht, am 5. März soll gewählt werden. Hitler natürlich, die NSDAP, und falls die gewinne, „seien die Wahlen die letzten für die nächsten zehn Jahre“, zitiert Vuillard Göring, der sich korrigiert. „Für die nächsten Hundert.“ Hitler kommt herein, redet und begeistert die Herren. Die Gewerkschaften müssten abgeschafft werden, die Kommunisten sowieso. Und als der Führer fertig ist und geht, kommt Hjalmar Schacht und „bittet die Herren an die Kasse.“ Vuillard zu Folge spendiert Krupp eine Million, Schnitzler 400000 und die anderen lassen sich nicht lumpen. Die Nazi-Führer haben ihnen ja im Gegenzug die billigen Arbeiter versprochen, Zwangsarbeiter, die ihnen in die Hände fallen, wenn sie ihre Nachbarn mit Blitzkriegen eingenommen und Kriegsgefangene gemacht haben.
Wer sich hinter den erwähnten Namen nicht immer was vorstellen kann, hier einige Erklärungen: BASF, Bayer, Agfa, Opel, IG Farben, Siemens, Allianz, Telefunken, BMW. Sie alle profitieren vom Krieg, weil die Zwangsarbeiter ja im Grunde nicht viel kosten. Sie kriegen sie fast umsonst ins Haus geliefert. Sie werden ins Reich verschleppt, die meisten stammen aus Polen-1.9 Millionen- und der Sowjetuion-4,725 Millionen. Die Rüstungsindustrie braucht ausländische Arbeitskräfte, sie läuft auf Hochtouren, um Waffen, Flugzeuge und Panzer und Autos zu bauen für den Krieg. Schon zu Beginn des Kriegs fehlen eine Million Arbeitskräfte, zuerst werden sie angeworben als Freiwillige, das ändert sich aber schnell, wenn die Wehrmacht erst mal das Sagen hat zusammen mit der SS. Ende 1940 werden 1,5 Millionen Kriegsgefangene aus Polen, Frankreich, England und Holland als billige Zwangsarbeier missbraucht. Und als der Blitzkrieg ins Stottern gerät und der Überfall auf die Sowjetunion weitere Soldaten braucht, werden Abertausende von ausländischen Arbeitskräften ins Reich verschleppt, weil sie freiwillig nicht wollen. 1943 fehlen der deutschen Rüstungsindustrie zwei Millionen Arbeitskräfte, die russischen Kriegsgefangenen, von denen sie bis dahin schon 3,7 Millionen haben verhungern lassen, werden eingesetzt, ausgebeutet, sie müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Viele von ihnen sterben völlig entkräftet, weil sie auch kaum was zu essen und zu trinken bekommen. Die Nazis machen richtig Jagd auf Fremdarbeiter, auch KZ-Häftlinge werden rangezogen zu jeder Arbeit.
Rot-Grün gründete eine Stiftung
Die Ausbeutung von Millionen Zwangsarbeitern wird erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu einem Thema. Unter der rot-grünen Regierung des Kanzlers Gerhard Schröder wird der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff beauftragt, eine Lösung zu finden. Deutschland bringt zehn Millionen DM für einen Entschädigungsfonds auf, je zur Hälfte von Bund und Wirtschaft getragen. Die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ soll überlebenden ehemaligen Zwangsarbeitern einen Betrag zahlen, Entschädigung würde ich das nicht nennen. Zumal die meisten von ihnen längst gestorben sind.
13,5 Millionen Menschen waren während des 2. Weltkriegs zur Zwangsarbeit im Deutschen Reich eingesetzt. Noch im Sommer 1944 arbeiteten 6 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und zwei Millionen Kriegsgefangene und Hunderttausende von KZ-Häftlingen im Deutschen Reich. Für deutsche Unternehmen. Weitere Millionen mussten in den besetzten Gebieten für Deutschland schuften. Zu diesem schwarzen Kapitel deutscher Geschichte gehört das Ehrenmal in Bonn-Duisdorf, gehören die Baracken(sie standen auf dem Gelände, auf dem später das Verteidigungsministerium gebaut wird), in denen Kriegsgefangene gehalten wurden wie Sklaven und oft mit dem Tod bedroht wurden. Den Bombenangriffen waren sie ungeschützt ausgesetzt, weil sie nicht in Bunker gehen dürfen, sie wurden nur unzuzreichend ernährt, von Bezahlung konnte keine Rede sein. Wenn sie nach dem Krieg zurück in ihre Heimat gingen, mussten sie sich dort Angriffen erwehren, weil man sie der Kollaboration mit dern Nazis beschuldigte. Übrigens lehnten viele Betriebe, die durch die Zwangsarbeiter reich geworden waren, lange Zeit die Übernahme von Verantwortung für diese Verbrechen ab.
Quellen: Eric Vuillard: Die Tagesordnung. Matthes&Seitz-Verlag. Berlin. 2020. 10 Euro.
Ian Kerschaw: Höllensturz. Deutsche Verlags-Anstalt. München 2015.
Vielen Dank für diesen Artikel. Kürzlich habe ich erfahren, dass mein Ururgroßvater 1946 in Duisdorf gestorben ist. Ich wollte etwas über diesen Ort wissen.